Saubere Machenschaften?

Wladimir Putins Beliebtheit – das dürfte wahrlich kein Geheimnis mehr sein – hat in den letzten Wochen rapide abgenommen, sogar in der SPD und der Linkspartei,von Ausnahmen abgesehen. Sein völkerrechtswidriger Angriffskrieg in der Ukraine hat ihn, abgesehen von zumeist eher zwielichtigen Despoten einiger weniger Staaten, in die internationale Isolation getrieben – und sein Land, das in Mithaftung genommen wird, dazu.

Eher zwielichtig sind auch die Machenschaften Putins und der Clique um ihn herum. Auf genau diese zielen in großem Ausmaß die Sanktionen, die die Europäische Union, die USA und einige verbündete Staaten angesichts der Aggression gegen die Ukraine verhängt haben. Über genau diese Clique, die dem früheren sowjetischen Geheimdienst KGB entspringt, und deren Machenschaften hat die britische Journalistin Catherine Belton ausführlich recherchiert. Ihr nun in der deutschen Übersetzung von Elisabeth Schmalen und Johanna Wais bei Harper Collins erschienenes Buch Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste klärt darüber auf, wie Putin mithilfe von KGB-Netzwerken an die Staatsspitze kam und die alt-sowjetischen Großmachtsfantasien wieder aufleben ließ.

Die große Verschwindeaktion

Dafür geht sie weit in die Vergangenheit zurück, nämlich bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion. In drei Teilen und 15 Kapiteln erläutert Belton ausführlich ihre Thesen, darunter, wie der KGB bereits kurz vor Ende des Kalten Kriegs begann, Finanzmittel durch dubiose Machenschaften ins Ausland zu schaffen, Russland unter seinem Präsidenten Boris Jelzin in den 1990er-Jahren von einer Krise in die nächste schlitterte und die KGB-Leute zum Ende des Jahrtausends Putin zuerst als Minister- und schließlich als Staatspräsidenten installierten. Den nötigen Einfluss hierzu lieferten die zum Ende des Kalten Kriegs abgezweigten Gelder sowie die alten, noch aus dem KGB fortbestehenden Leute, die sich im russischen Staatsapparat „eingenistet“ haben.

Diese Grundprämisse – dass sowjetische Geheimdienstleute bereits vor Ende der Sowjetunion ihre Wiederauferstehung planten – ist durchaus angreifbar. Der seit fast 30 Jahren in Moskau lebende deutsche Publizist Jens Siegert hält das beispielsweise für weit hergeholt. Aber angesichts des Wesens geheimdienstlicher Arbeit, erscheint dies durchaus denkbar – das Parteivermögen der SED ist beispielsweise auch heute noch immer verschwunden und ermöglicht vielleicht so manch unbeschwertes Leben. Ob mit dieser großen Verschwindeaktion direkt ein bestimmter Zeitplan verbunden war oder ob die Mittel im Zweifel sonst einfach den Lebensabend der involvierten KGB-Leute versüßt hätte, ist hierbei zweitrangig. Erst einmal Ressourcen zur Seite zu schaffen und sie anschließend möglichst zielbringend einzusetzen, ist ein durchaus rationales – wenn auch zu verurteilendes – Handeln in den Köpfen von Spionen.

Machtausbau

Putin und sein Ende 1999 erstmals an die Macht gekommenes KGB-Regime, so wird jedenfalls insinuiert, sicherten sich ihre anfangs noch fragile Macht durch brachiale Methoden. Der zweite Tschetschenienkrieg ab 1999 trug dazu bei, Putin bekannt und beliebt zu machen; ein Image übrigens, das im Laufe mehrerer bis heute nur in Teilen aufgeklärter Terrorattacken noch weiter gepflegt wurde und Putin in der Öffentlichkeit zu dem „starken Herrscher“ werden lassen sollte, der Jelzin nicht war und den das Land doch brauchte.

Gleichzeitig trieben Putin und seine Leute die „Machtergreifung“ im Inneren voran. Der Schauprozess gegen den Oligarchen Michail Chodorkowski und die Zerschlagung seines Ölkonzerns Jukos hätten gleichzeitig zu einer Art Gleichschaltung des russischen Justizsystems und zu einem Beutezug in der rohstoffintensiven Industrie geführt, die seither die Kassen des Kreml füllt. Dubiose Geldwäschegeschäfte mit manch bekannter Großbank hätten dazu geführt, dass die Auslandsdevisen dieser kleinen Clique um Putin noch größer geworden seien. Das Ausmaß an Schwarzgeld, oligarchischem Einfluss und auch westlicher Naivität sei enorm gewesen. Am Ende stand eine Art zaristischer Polizeistaat mit gleichgeschalteten Medien, in dem Putin als Alleinherrscher mehr oder weniger alle Fäden zieht und jede/n sowie den gesamten Staatsapparat und die Oligarchen in der Hand hat.

Go West – life is too peaceful there

Der Blick Putins und seiner Oligarchenclique wandte sich sodann ins Ausland. Die Ukraine nimmt – wie unschwer zu erraten sein dürfte – einen wesentlichen Teil sowohl in Putins Überlegungen als auch in Beltons Buch ein. Sie vollzieht sehr gut nach, wie zuerst die Orangene Revolution über das Land schwappte, dann die Maidan-Proteste von 2013 und es schließlich zur ersten Phase des jüngst auf eine neue Eskalationsstufe getriebenen Kriegs – Annexion der Krim und Krieg im Donbass – kam. Die Ukraine, das wird immer wieder deutlich, wurde vom Westen vernachlässigt, für Russland jedoch besitzt sie unschätzbaren strategischen Wert. Das macht eine jetzige Konfliktlösung umso komplizierter.

Aber nicht nur die Ukraine geriet ins Visier – Russlands und Beltons. „Londongrad“, eine wohl mehr als einflussreiche russische Auslandscommunity in London wird ihrerseits aufgedröselt, aber auch manche Verbindung, die Putin und seine Getreuen in andere Staaten aufgebaut haben. Deutschland, Frankreich, Italien sind die prominentesten in der Europäischen Union, während viel des russischen Oligarchenvermögens in der Schweiz und eben Großbritannien liegen dürfte.

Und was wäre ein Buch wie dieses, ginge es nicht auf „den Westen schlechthin“ ein: Amerika – und vor allem Donald Trump. Auch hier geht Belton bis in die frühen 1990er-Jahre zurück, als Donald Trump noch freundlich dem Kevin begegnete, den es allein nach New York verschlug. Bereits damals begannen russische oder post-sowjetische Geschäftsleute mit KGB-Verbindungen, Trump auf die Pelle zu rücken. Er dürfte nicht der einzige gewesen sein, aber das wohl prominenteste und bislang folgenreichste Beispiel. Über 20 Jahre hinweg bugsierte die Clique Trump ins höchste Amt der USA und Catherine Belton rafft diese Ereignisse gut, um diesen Fall darzustellen. Anders als beispielsweise der „Putin-Verklärer“ Hubert Seipel ordnet Belton aber die Machenschaften um Trump doch historisch akkurat ein.

Volle Information – aber woher?

Putins Netz wartet also mit sehr viel Inhalt auf – eigentlich noch mit mehr, denn – das ist sehr positiv hervorzuheben – Catherine Belton geht in ihrem Buch wirklich in die Tiefe. Sie ist als frühere Moskau-Korrespondentin der Financial Times eine intime Kennerin der Szene, konnte auf viele wertvolle Kontakte und Hintergrundinformationen bauen und legt sehr deutlich ein Geflecht an Aktivitäten und Interessen dar, das Putin zuerst in den Kreml führte und ihn anschließend tatsächlich zu etwas wie einem Neo-Zaren werden ließ. Ihre Quellensammlung ist reich – auch eigene Artikel aus ihrer Zeit als Korrespondentin zitiert sie häufig – und die Informationsdichte ist es auch.

Dennoch ist die Glaubwürdigkeitmanch ihrer Quellen zumindest hinterfragenswert. Belton hat wie gesagt eine breite Recherche vorgenommen, anonymisiert viele ihrer Quellen und das vermutlich aus gutem Grund. Etwas fraglich ist aber vor allem ein Informant, auf den sie ihre Aussagen häufig stützt, nämlich Sergej Pugatschow, den „Bankier des Kreml“. Er war lange Zeit Teil des engsten Kreises um Putin, verwaltete die Geschäfte der Männer, die an der Macht saßen (übrigens taucht lediglich im Rahmen des Prozesses gegen Chodorkowski eine russische Frau auf, deren Handeln wirklich entscheidend ist), bis auch er an einem Punkt in Ungnade fiel. Dass er Belton mit Klarnamen und so freimütig heikle Auskünfte gibt, sieht nicht nur der bereits erwähnte Publizist Jens Siegert kritisch.

Mehr als ein stellvertretender Bürgermeister

Äußerst erkenntnisreich sind vor allem die ersten Kapitel zu Putins Jahren vor der Präsidentschaft. Als Spion des KGB in Dresden hat er bekanntermaßen den Fall der Mauer in Deutschland beobachtet, Belton legt außerdem eine Nähe zur RAF und dem todbringenden Attentat auf den Deutsche Bank-Chef Alfred Herrhausen nah. Hierfür wurde sie kritisiert, legt sie doch keine stichhaltigen Beweise vor. Sollte das allerdings wahr sein, wäre bereits früh erkennbar gewesen, wozu Putin tatsächlich fähig ist.

Danach ist in den Medien häufig von Putin als „stellvertretendem Bürgermeister von St. Petersburg“ die Rede. Diese Episode arbeitet Belton sehr detailliert und aufschlussreich auf, zeigt sie doch, wie die Stadt, ihr Hafen und die dortigen Mafiamachenschaften als Blaupause für die spätere Übernahme des gesamten Landes dienten. Ähnlich wie der Syrienkrieg als „Erprobungsfeld“ für die Ukraine gedient haben dürfte. Einer der wohl stärksten Teile in Putins Netz.

Es wird löchrig

Auf dem nationalen Parkett erst noch unsicher festigte Putin seine Macht zusehends, um 2008 erst einmal wieder ein wenig zu verschwinden, da er nicht mehr als Präsident kandidieren durfte. Erst 2012 kam er zurück. Dennoch, jenseits des Tauwetters unter seinem Statthalter Dmitrij Medwedew ist diese Episode eine Art „Schwarzes Loch“ und wie Putin sie nutzte, um seine Macht weiter auszubauen, bleibt leider auch Belton uns Leserinnen und Lesern weitgehend schuldig.

Ebenso hält das Buch nur in Teilen das, was es im zweiten Teil seines Untertitels verspricht: „…und dann den Westen ins Auge fasste“. Wie bereits erläutert, in Kürze werden die Verbindungen Moskaus zu europäischen Randparteien illustriert, aber das bleibt leider sehr rudimentär. Der Begriff „Alternative für Deutschland“ taucht beispielsweise gar nicht auf, der französische „Front National“ (heute: „Rassemblement National“) nur einmal, rechte Parteien in Italien auch nur an einer Stelle und selbst ein gewisser Gerhard Schröder schafft es nur an einer Stelle, Erwähnung zu finden. Ach ja, auch der langjährige russische Außenminister Sergej Lawrow glänzt übrigens mit erstaunlicher Abwesenheit in Putins Netz, die seiner eigentlichen Rolle in Putins System nicht im Ansatz gerecht wird – aber das nur am Rande.*

Die nur in Ansätzen vorhandene Beleuchtung deutscher (und europäischer) Anknüpfungspunkte sollen an dieser Stelle nicht als Germano- oder Eurozentrismus missverstanden werden, aber „der Westen“ ist eben mehr als nur die Geschäftsbeziehungen des Donald Trump. Und die USA sind übrigens auch mehr. Zu möglichen Firmenbeteiligungen der Gazproms oder Rosnefts dieser Welt – oder noch besser: der dahinterstehenden Oligarchen – gibt es leider wenig. Klar, Roman Abramowitsch darf mit seiner Beteiligung am Fußballclub Chelsea FC nicht fehlen – die Hintergründe seines Engagements arbeitet Belton auch sehr anschaulich auf – aber investigativ ist das eben nur bedingt.

Putins Netz – engmaschig, aber nicht immer wasserdicht

Wie ist Putins Netz also einzuschätzen? Es ist ein Buch, das unglaublich viele Zusammenhänge gut lesbar, aber dennoch nicht ohne Anspruch zusammenstellt und sehr anschaulich aufarbeitet, wie der Mann, der nun die Ukraine und ganz Europa terrorisiert, an die Macht kam. Catherine Belton illustriert, warum und mit welchem Ziel Wladimir Putin an die Macht kam und wer die Personen sind, die auch in seinem Umfeld agier(t)en. Die EU und die USA haben nun schon deutliche Sanktionen gegen die meisten dieser Männer erlassen, den sie sind der natürliche Ansatzpunkt, um Druck auf das System Putin auszuüben.

Denn das ist nach der Lektüre von Putins Netz klar: Im Kreml sitzt eine Clique von Oligarchen, die sich Stück für Stück die Kontrolle über Russland gesichert hat. Die Verbindungen des früheren KGB funktionieren noch immer und haben Russland zu einem geheimdienstlichen Terrorstaat gemacht, der erst in den letzten Tagen massive Zensurmaßnahmen unternahm, Menschenrechte unterdrückt und eben daran arbeitet, den ihm vorschwebenden „Platz an der Sonne“ wiederzuerlangen. Catherine Belton illustriert die Machenschaften des KGB sehr gut und eindrücklich und trotz mancher Schwäche ist ihr Buch Putins Netz eine wichtige Lektüre, um Russlands Politik heute zu verstehen – und dieses Wissen einzusetzen, um im nächsten Schritt Putins Krieg in der Ukraine zu beenden. Putins Tiraden über den Krieg stimmen uns zwar offen gesagt nicht sehr optimistisch, aber wenn wir schon kaum eine Chance haben, dann sollten wir diese wenigstens nutzen.

HMS

*Kürzlich sagte Rüdiger von Fritsch, der frühere deutsche Botschafter in Moskau, bei Markus Lanz, Putin entscheide allein. Jemand anderes meinte, Putin wäre der ausschließliche Aggressor, was beinhalten würde, dass alle anderen nur resigniert daneben stünden. Ernsthaft? Ein Sergej Lawrow, der seit nunmehr bald zwei Dekaden Außenminister der Russischen Föderation ist, Angriffspolitik und Großmacht lobt und lebt, soll nur ein Claqueur sein? Seine Wirkung und Einflussnahme auf die Geschicke Russlands scheinen unterschätzt, sind unterbeleuchtet und es bräuchte sicherlich mal eine gut recherchierte Biografie dieses Mannes, der immer schon Projektionsfläche der deutschen und westeuropäischen Gedanken im Sinne einer offenen Außenpolitik war. 

Catherine Belton: Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste; Aus dem Englischen von Elisabeth Schmalen und Johanna Wais; Februar 2022; 704 Seiten, mit Bildteil; ISBN: 978-3-7499-0328-3; Harper Collins; 26,00 €

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