Falls ihr euch das auch im Lauf der vergangenen Monate, des letzten Jahres oder gar darüber hinaus gefragt haben solltet: Ja, es gibt sie noch, diese Bücher, diese Geschichten, die von Beginn an einen unglaublichen Charme ausstrahlen und gerade durch ihre erzählerische Unkompliziertheit eine unglaubliche Nahbarkeit vermitteln. Der schmissige Krimi Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden von Michel Bergmann ist so ein Buch.
„Ich glaube gern an das Böse im Menschen, das ist mein Job“
Rabbi Henry Silberbaum, Typ: Mitte vierzig, eher sportlich und – abgesehen von seinem Verhältnis zu seiner Mamme – recht unkonventionell, ist für die Liberale Jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main tätig, wird von weiten Teilen der Gemeindemitglieder geschätzt und erfährt entsprechendes Vertrauen. So auch von der reichen Ruth Axelrath, die ihm mitteilt, bald zu ihrer Tochter nach Israel ziehen zu wollen, da sie glaube, ihr zweiter Mann, Max, sei ein kleiner Zampano mit Gespielin und zocke sie nur ab. Es müsse nur noch einiges geklärt und ihr Nachlass geregelt werden, der auch eine Spende von einer Million Euro für die Gemeinde zum Bau einer Bibliothek vorsehen solle.
Wunderbar! Leider ist Frau Axelrath kurz darauf tot, das Testament noch nicht geändert und überhaupt glaubt Rabbi Silberbaum, dass da etwas im Argen liegt. An die Todesursache eines natürlichen Herzversagens glaubt er schon mal gar nicht. Und das nicht nur wegen des falschen Tellers für eine Banane. Leider glauben aber nicht wenige, dass er sich was einbilde. So auch Kommissar Berking, den Silberbaum bei einer nächtlichen Friedhofsbegehung unter etwas ungünstigen Umständen kennenlernte. Andererseits: Einen möglichen Mord kann ein Kommissar auch nicht so einfach liegen lassen.
So geht es also los und der Rabbi, der schon kurz zuvor ein anderes Gemeindemitglied tot aufgefunden und dafür ein Pferd geerbt hat, ermittelt mehr oder weniger auf eigene Faust. Im Laufe der Handlung wird eine gemeinsame Nummer daraus, der Titel Der Rabbi und der Kommissar mag so viel verraten. Überhaupt ist nicht allzu viel verraten oder verdorben, wenn an dieser Stelle angemerkt wird, dass der kriminologische Teil recht vorhersehbar ist, was der Geschichte allerdings keinen Abbruch tut, zumal sich in der Auflösung frühe Vermutungen Silberbaums teilweise bestätigen.
„Ich habe hier was Interessantes gestohlen“
Regisseur, Produzent, Journalist, Drehbuchautor und Schriftsteller Michel Bergmann, 1945 als Kind internierter jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz geboren, spart sich dafür auch vermeintliche große Wendungen, die auf ein „Es warst also doch du!“ hinauslaufen würden, sondern erzählt eine recht geradlinige Mordgeschichte. Viel eher sind die Steine auf dem Weg zur ausreichend belegten Auflösung des Falls das, was die Erzählung ausmacht.
Immer wieder gilt es nicht nur juristische Klippen zu umschiffen, sondern auch jene, die das Judentum so bereithält, beispielsweise mit Blick auf eine mögliche Autopsie der Verstorbenen Ruth Axelrath. Dabei springt Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden von einer abstrusen Situation ins nächste ebensolche Gespräch und selbst die kleinsten Nebencharaktere sind von einer wunderbaren schrulligen Abseitigkeit geprägt. Bergmann beschreibt diese dazu sehr plastisch, was uns recht zügig ein Bild von allen Handelnden vor Augen haben lässt.
Dass der Heyne Verlag und sein Lektor Michel Bergmann davon überzeugt haben, seinen Auftakt-Krimi einer möglichen Reihe (die anderen neun Gebote können folgen und der zweite Teil sei bereits in Arbeit, so der Autor in einem Gespräch) von Berlin nach Frankfurt am Main zu verlegen, ist ein kleines Glück, scheint es doch, dass die etwas andere Mentalität, diese recht spezielle Verschrobenheit in Frankfurt der Erzählung gut tut. Außerdem ist es schön, mal ein Frankfurt abseits düsterer Finanzgebaren und Rotlicht-Milieu-Situationen, wie es sich im (Vorabend-)Fernsehen etabliert hat, erzählt zu bekommen.
„Pferde sind nicht koscher.“ – „Sie sollen sie auch nicht essen.“
Neben reichlich jiddischem Witz weiß das Buch noch mit diversen Informationen zum Judentum und jüdischem Leben aufzuwarten. Ob Rabbi Silberbaum dem Kommissar erläutert, was eigentlich Teil seines Jobs ist, wie das Konzept jüdischer Abstammung funktioniert, was nun eigentlich koscher ist und was das mit „milchigem“ und „fleischigem“ Geschirr zu tun hat, das Kaddisch-Gebet, einige Tora-Regeln und Halacha-Gesetze werden spitz eingebunden und auch die Legende vom Golem fehlt nicht, ebensowenig ein Bericht zum KZ-Auschwitz, das Ruth Axelrath als Kind überlebte.
Es ist erstaunlich, mit welch erzählerischer Nonchalance und Selbstironie Bergmann so vieles an Informationen zu jüdischem Leben und den nicht immer ganz nachvollziehbaren Regeln einbringt, ohne dass es sich anfühlte, als würden wir einen Wikipedia-Eintrag mit Handlungsanweisungen lesen. Zusätzlich werden immer mal Fragen, wie jene nach der Trennung von Werk und Autor, aufgeworfen (Henry Silberbaum schätzt die Bücher des Antisemiten Georges Simenon) oder jene danach, wie viel Schutz für jüdische Einrichtungen nötig sein muss. Dazu geht’s nicht selten schnoddrig zu, was ebenso freut wie das ausführliche Glossar und die knappe Erläuterung zu den verschiedenen Formen des Jiddischen vom Hochjiddischen zum amerikanischen Jiddisch, wie ihm unter anderem in Williamsburg, New York, zu begegnen ist.
Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden ist wunderbar unterhaltsam, lehrreich ohne zu belehren, voll von Charakteren, auf deren Fortentwicklung zu hoffen ist und bester Eskapismus ohne Belanglosigkeit. Sehr gern mehr davon.
AS
PS: Ein knutschendes schwules Paar gibts in Tel Aviv auch noch.
PPS: Na, hat es doch Vorteile, dass diese Besprechung seit Januar unveröffentlicht lag: Ein zweiter Band mit dem Titel Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht begehren ist für den 13. Oktober 2022 angekündigt – da besprechen wir’s dann auch prompt.
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Michel Bergmann: Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden; 1. Auflage, November 2021; 288 Seiten, Taschenbuch, Klappenbroschur; ISBN: 978-3-453-44129-3; Heyne Verlag; 11,00 €; auch als eBook erhältlich
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