Manchmal im Leben, da bieten sich Gelegenheiten, bei diesen nicht zuzugreifen, da wäre mensch schön blöde. So geht es auch Jacob Finch Bonner, einem Roman-One-Hit-Wonder, der mittlerweile an einer privaten Hochschule in Ripley Creative Writing lehrt, auf einem Campus, der in etwa so anziehend klingt, wie jener in Simeon Wades Foucault in Kalifornien, und als zynischer Misanthrop sowohl sich, sein Leben, die Menschen um sich herum und eigentlich alles abgeschrieben hat, im neuen, bissigen Thriller Der Plot von Jean Hanff Korelitz.
„Alles kann scheitern. Auf dem Büchermarkt? Alles.“
Abgeschrieben ist hier ein einigermaßen gutes Stichwort, denn die Geschichte, die sich durch diese Gelegenheit, die es nicht zu verpassen galt, im dieser Tage im Heyne Verlag erschienenen Roman, anschließt, handelt von einem möglichen Plagiat. Also eigentlich nicht wirklich einem Plagiat, aber heutzutage, da wird ja alles aufgebauscht! Vielmehr geht es, der Titel mag es verraten, darum, ob Bonner sich für seinen neuen Roman „Krippe“ einen Plot angeeignet hat.
Wir Lesenden haben gegenüber einigen Menschen in seinem Umfeld einen Vorteil: Wir wissen, dass er das hat. Oder hat er eigentlich doch nicht? Fakt ist, dass er einen Studenten namens Evan Parker, Typ Arschloch, hatte, der ihm von seiner famosen Story, die alle und alles erobern würde, erzählte und ein paar Manuskriptseiten zu lesen gab. Fakt ist: Evan Parker hat die Geschichte auch Jahre später nicht veröffentlicht. Fakt ist: Evan Parker ist tot. Fakt ist: Jake überlegt sich, das Grundgerüst des Plots zu übernehmen, aber eine eigene Geschichte, einen eigenen Roman daraus zu machen.
„Es ist kein Irrtum. Es ist eine Lüge.“
Dieser wird ein Bestseller, soll verfilmt werden. Verlag und die Lektorin Wendy, seine Agentin Matilda, die Rezensent*innen und Leser*innen lieben ihn wieder, was ihn wiederum sein Leben und Bankkonto schätzen lässt. Als er dann im Rahmen eines Interviews noch Anna kennenlernt und die sich gar in ihn verliebt, könnte die Welt kaum besser sein. Doch, blöd, ständig tauchen via Mail, Twitter und später auch per Briefpost Nachrichten eines ominösen TalentedTom auf, die besagen, er habe alles nur geklaut und das werde Konsequenzen haben.
Dass TT es ernst meint, daran besteht spätestens dann kein Zweifel mehr, als die Nachrichten postalisch eingehen; wir alle wissen, das gibt’s sonst nur noch von Behörden und Gasanbietern und es ist selten gut. Gut hingegen ist Der Plot, im Deutschen treffend mit dem Untertitel Eine todsichere Geschichte versehen, in jedem Fall. Und in der Tat ein recht besonderer Krimi, der im Ton mal aufrichtig humorvoll, mal lakonisch, mal bitterböse und später auch recht düster ist.
„Die bizarre Weise, auf die Erzählwerke entstehen.“
Etwas, das die Geschichte von Jean Hanff Korelitz (die auch You Should Have Known schrieb, worauf die Serie The Undoing mit Nicole Kidman und Hugh Grant basiert) auszeichnet, ist, dass sie sich anfangs Zeit nimmt, ohne dabei in Längen abzugleiten. Nicht nur zeigt sie uns, wer genau dieser Jacob Finch Bonner ist, der, auch wenn er recht hat, dass Evan Parker ein Arschloch ist oder war, dem in kaum etwas nachsteht, sondern beschreibt ebenfalls recht eindrücklich die Mechanismen des Buchmarktes, eines Geschäfts, in dem es ebenso um Geld wie Aufmerksamkeit geht.
Auch diese Gier nach Aufmerksamkeit, das Wichtig-, das Bedeutendseinwollen, nimmt Raum ein. Dabei ist es geprägt von einer Erzählstimme, die den Businesstümpel und alles darin Lebende (und Verreckende) kennt. Die Egomanie und Angst, Eitelkeiten und Kriecherei, Schreiberei und Zweifelei so gut zu erzählen weiß, wie es selten in einem Buch stattgefunden haben dürfte, das im Grunde schlicht solide Unterhaltung und nicht DAS eine Werk ist.
„Die Migration einer Geschichte“
Das in einer Sprache, die wie erwähnt vielfältig aber nicht inkongruent ist, sondern sich Situation, Gespräch und Denkmechanismus des Protagonisten anpasst (der nicht als Ich-Erzähler auftritt; dennoch erleben wir alles aus seiner Perspektive). Ebenso rekurriert Jean Hanff Korrelitz immer wieder auf die Großen und Mittelgroßen (zumeist übrigens Männer aber auch Patricia Highsmith, was alles früher oder später durch eine Pointe gewürzt wird) der Literatur. Auf die Spitze getrieben wird dies, durch Auszüge aus Jakes großem Roman „Krippe“ (in dem es übrigens eine lesbische Hauptfigur gibt), die sich als Roman im Roman wiederfinden, was dem Ganzen noch eine wunderbare Metaebene gibt, der zu folgen Freude bereitet.
Diese Lesefreude verdankt sich auch der gekonnten Übersetzung von Sabine Lohmann, die den Text im Deutschen fließen lässt und sicherlich an nicht wenigen Stellen genau nach möglichst wirkkräftigen Entsprechungen zu suchen hatte. Außerdem ist es schön, Worte wie „obschon“, „eklektisch“ oder „stibitzen“ zu lesen.
Dialoge der Kunst
Dazu wird die Frage verhandelt: Ist es stehlen, mich an der Idee einer anderen Person zu bedienen? Oder ist es nicht eher so, dass sich Kunstwerke, zu denen Bücher durchaus zählen, im Dialog miteinander befinden? So lesen wir schon vor Beginn der Geschichte und erneut auf Seite 75 das T. S. Eliot zugeschriebene Bonmot „Gute Schriftsteller leihen, große Schriftsteller stehlen“. Dass dieses aber eigentlich von Oscar Wilde stammen könnte, rundet den garstigen Tongenuss natürlich ab und lässt es nur wahr erscheinen, dass Stephen King über Der Plot sagt, es sei eines der besten Bücher, das er je „über Schriftsteller und das Schreiben gelesen habe… bemerkenswert!“
Bemerkenswert ist so einiges an diesem kurzweiligen Buch, das bei allen Gedankenspielen nie ins belanglose Philosophieren driftet. Weniger bemerkenswert ist dann jedoch der sich entfaltende Krimiplot beziehungsweise zieht ausgerechnet dieser sich im zweiten Teil des Buches und wir warten, dass es vorangeht. Die Auflösung dürften nicht nur versierte Leser*innen von Spannungsromanen von sehr weeeeeitem kommen sehen. Dafür wird diese aber pointiert ausgeführt und zum Schluss von Der Plot gibt’s nochmals einen bissigen gut punch aka Schlag in die Magengrube, der Freude bringt und so perfekt zu diesem intelligent-eskapistischen Buch passt.
AS
Das Beitragsbild zeigt die Ortschaft Rutland im US-Bundesstaat Vermont, die im Roman eine wesentliche Rolle spielt.
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Jean Hanff Korelitz: Der Plot – Eine todsichere Geschichte; 1. Auflage, August 2022; Aus dem Amerikanischen von Sabine Lohmann; 352 Seiten; Klappenbroschur; ISBN 978-3-453-27397-9; Heyne Verlag; 16,00 €
Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!
Comments