Beitragsbild: Ein verlassenes Spa in der Slowakei: Mystisch, gruselig, anregend. // © Mirco1/Dreamstime
Deutschland redet übers Bauen. Über das „Recht“, auch künftig noch Einfamilienhäuser bauen zu dürfen. Über ein Volksbegehren in Berlin „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Und auch das unsägliche Baukindergeld läuft in wenigen Tagen aus. Schon spannend, wie das Thema immer wenige Monate vor einer Bundestagswahl in den Fokus der Öffentlichkeit rückt.
In mehr als 80 Ruinen um die Welt
Auch andere Gebäude standen in ihrer Geschichte lange im Fokus. Heute sind viele von ihnen alt und verfallen und gammeln als Ruinen vor sich hin. Der im schottischen Edinburgh lebende Fotograf und Autor Michael Kerrigan hat eine Reihe von Fotografien von alten, verlassenen, teils stark verfallenen Gebäuden zusammengestellt und macht sie in seinem im Verlag Frederking & Thaler erschienenen Bildband Zauber der Vergänglichkeit – Verlassene Villen, Paläste, Hotels und Anwesen einem größeren Publikum zugänglich.

Kerrigan unternimmt dabei eine Reise um die ganze Welt. Von Amerika und der Karibik über West- und Osteuropa, Afrika und den Nahen Osten bis nach Asien und in den Pazifik nimmt er die Leserinnen und Leser auf mehr als 220 Seiten mit. Er zeigt ihnen verlassene Prachtbauten, Villen, Kirchen, Schlösser, Herrenhäuser und Residenzen. Kleine verfallene Einfamilienhäuser in Brandenburg oder im Moseltal sind nicht Teil des Bildbands, auch wenn viele der Gebäude vermutlich einstmals in die Kategorie „Einfamilienhaus“ gefallen sein dürften. Und auch die schön gruseligen, derzeit zum Teil in Sanierung befindlichen Beelitz-Heilstätten sind zu finden. Aber auch alte Hotels, Arbeitersiedlungen oder Stadthäuser finden sich unter den Fotografien.
Unbekanntes wird bekannt gemacht
Die meisten der Gebäude dürften den Leserinnen und Lesern unbekannt sein. Wirklich weltweit im Mainstream populäre Bauwerke finden sich nicht darunter, auch wenn man durchaus das eine oder andere kennen könnte. Dafür bietet Zauber der Vergänglichkeit nun die Chance, diese Gebäude kennenzulernen. Zu jedem gibt es einen kompakten Text, der in aller Kürze die Geschichte des Gebäudes erzählt, wer es wann errichtete, welchen Zweck es hatte oder seit wann und warum es verlassen ist. Dass dies eine sehr umfangreiche Recherche erfordert haben dürfte, ist offenkundig, was für die Leserinnen und Leser mehr als erfreulich ist.

Weniger erfreulich ist leider die an manchen Stellen umgesetzte Praxis, die Texte direkt in das eine oder andere Bild (zum Beispiel in den blauen Himmel) zu integrieren, was den Bildern einen Teil ihrer sonst eindrucksvollen Wirkung nimmt. Es ist glücklicherweise an den meisten Stellen anders umgesetzt worden (die Texte stehen meist daneben oder auf der vorigen/nächsten Doppelseite), aber an ein paar Stellen wird diese Logik zum Nachteil der Betrachterinnen und Betrachter unterbrochen.
Abbilder von Kultur und Geschichte
Auf jedem Kontinent gibt es dabei die zu erwartenden Eigenheiten. Schlösser gibt es eher in Europa, Paläste opulenter Herrscher auf vielen der weiteren Erdteile. In Afrika und Asien und Lateinamerika sind viele der Gebäude durch die Kolonialherrschaft geprägt, in Afghanistan gibt es gar einen Palast, der von Einschusslöchern übersät ist. Im Nahen Osten und Zentralasien finden sich einige Mosaike und arabische Stilmittel, während so manches Herrenhaus aus den USA eher an eine Mischung aus Forrest Gump und so mancher Kulisse aus Horrorfilmen wie Shining oder The Orphanage erinnert.

Auch wenn es von manchen Orten mehr als ein Bild gibt, handelt es sich bei vielen der gezeigten Gebäude um Einzeldarstellungen. Das ist mal schön, manchmal aber auch sehr schade. Wenn man nur die Fassade eines Gebäudes sieht, kommt den Betrachterinnen und Betrachtern sicherlich oft die Frage, wie es wohl in dem Haus aussieht. Oder umgekehrt: Von einem verlassenen Saal muss man oft auf das Äußere schließen – die Fassade, den Garten oder die Nebengebäude. Das gibt zwar der Phantasie großen Freiraum, aber manchmal wäre es sehr schön, zusätzlich noch weitere Bilder ein und desselben Gebäudes zu haben.
Mystischer Verfall
Die Bilder zeigen die Gebäude in ihrem aktuellen Zustand, teils mit ein wenig Nebenbebauung oder verwildertem Garten, teils einfach „nur“ das Gebäude und manchmal auch nur einen Raum oder ein eingefallenes Treppenhaus. Putz und Farbe blättern von den Wänden, das Wasser in Teichen oder Pools ist schmutzig, Sand bedeckt den Boden und Unkraut wuchert an vielen Stellen in den porträtierten Häusern.

Der Verfall zaubert in der Tat eine gewisse Mystik in die meisten der Bilder. Ähnlich wie der Schweizer Künstler Roger Eberhard dies in seinem herausragenden Bildband Human Territoriality schafft, verbindet Kerrigan hier Bild und Geschichte und regt die Betrachterinnen und Betrachter zum Nachdenken an. Darüber, wie die Gebäude einst aussahen, was sich hier abspielte, welche Menschen hier wohnten und warum sie diesen Ort verließen. Wie bei Eberhard ist es überaus spannend zu sehen, wie sich die Natur ihr Reich an vielen Stellen zurückholt und dennoch die Überreste menschlichen Handelns verbleiben.

Der Bildband Zauber der Vergänglichkeit wirkt insoweit wie ein Spiegel der Vergangenheit, auch wenn er eher das erzählt, was sich am Rande des Geschehens abgespielt hat. Gleichwohl erlaubt er einen Blick in die Geschichte, informiert über fremde Regionen und regt die Phantasie der Betrachterinnen und Betrachter an. Trotz einiger kleiner Schwächen bietet Michael Kerrigans Bildband auf jeden Fall eine gute Gelegenheit, eine kleine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen und zu zeigen, wie der Zahn der Zeit an alten Gebäuden nagt und sie mit jedem Tag noch mystischer macht.
HMS

Michael Kerrigan: Zauber der Vergänglichkeit – Verlassene Villen, Paläste, Hotels und Anwesen; 224 Seiten; ca. 170 Abbildungen; Übersetzung aus dem Englischen: Gabriele Lichtner; Hardcover, mit Lesebändchen; Format: 22,5 x 27,1 cm; ISBN: 978-3-95416-327-4; Frederking & Thaler Verlag; 29,99 €
Comments