Eine karibische Ikone

Wenn wir an Widerstand gegen den Kolonialismus denken, fällt vielen zuerst Mahatma Ghandi ein, der sich für die Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien einsetzte. Beim Ende der Sklaverei denken wir vielfach an den Abraham Lincoln, der die Leibeigenschaft in den USA abschaffte – nicht etwa aus humanistischer Überzeugung, sondern vielmehr, um die Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg zu schwächen.

Es gibt jedoch ein Gesicht, das den Widerstand gegen Sklaverei wie auch Kolonialismus in einer Person vereint – und das bereits 70 Jahre vor Lincoln und 150 Jahre vor Ghandi: Toussaint Louverture, Anführer der unterdrückten Schwarzen Bevölkerung in Saint-Domingue, wie Haiti damals hieß. Ein neues, umfangreiches und umfassendes Portrait des Sklavenführers hat der aus Mauritius stammende Forscher Sudhir Hazareensingh zusammengestellt. Im Verlag C.H. Beck ist das Buch unter dem Titel Black Spartacus – Das große Leben des Touissant Louverture in der Übersetzung von Andreas Nohl unter Mitwirkung von Nastasja S. Dresler erschienen.

Vom Sklaven zum Kutscher und Revolutionsführer

Auf mehr als 550 Seiten und in mühseliger, kleinteiliger Recherche entwirft der an der Oxford University lehrende Historiker eine moderne und umfassende Biografie des Wegbereiters der haitianischen Revolution. Toussaint war einen wesentlichen Teil seines Lebens selbst Sklave auf einer Farm im Norden Saint-Domingues, wurde jedoch ca. 1775 mit etwa 35 Jahren aus der Sklaverei befreit. Als freier Schwarzer Mann lebte und arbeitete er weiterhin auf der Bréda-Plantage, wurde Kutscher des Eigentümers und baute ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihm auf.

Als Anfang der 1790er-Jahre die Sklavinnen und Sklaven Saint-Domingues einen Aufstand organisierten, stand er zwar nicht von Anfang an in der ersten Reihe, wurde jedoch über die kommenden Jahre mehr und mehr zu deren Anführer und war Ende jenes Jahrzehnts de facto der mächtigste und einflussreichste Mann der französischen Kolonie – noch weit vor den wechselnden Statthaltern Napoleon Bonapartes auf der Karibikinsel.

Verteidiger des Vaterlandes

Neben Napoleons Männern – auch seiner Armee musste sich Toussaint mit seinen Leuten entgegenstellen – hatte es der „Black Spartacus“, wie er oft genannt wird, mit den Kolonialmächten aus Spanien und Großbritannien sowie den noch jungen Vereinigten Staaten auseinandersetzen. Während die Europäer die Re-Kolonisation und Wiedereinführung der Sklaverei im Sinne hatten, waren die Amerikaner für Toussaint bereits damals eine Chance, mehr Freiheit für seine Bevölkerung zu realisieren.

In einer Finte jedoch nahmen Napoleons Leute Toussaint gefangen und verschleppten ihn nach Frankreich, wo er 1803 schließlich verstarb. Der Mythos um diesen Mann, der den Weg für die Unabhängigkeit des heutigen Haiti und die Abschaffung der Sklaverei in dem Inselstaat bereitete, lebt jedoch bis heute weiter und inspiriert noch immer viele Menschen auf der ganzen Welt.

Ein hierzulande unbeachteter Held

Dieses Leben, das vielen Menschen im deutschsprachigen Raum vermutlich relativ unbekannt sein dürfte – arbeitet Sudhir Hazareensingh in seinem Buch sorgfältig auf. Er analysiert dafür in mühseliger Kleinstarbeit eine Reihe von historischen Quellen, zitiert aus den diversen Briefen und Schriftwechseln, die Toussaint mit seinen Partnern und Gegnern hatte und zeichnet so das Bild eines großen Helden, dem wir bislang vielfach kaum Beachtung geschenkt haben dürften.

Dabei arbeitet er sehr schön heraus, wie Toussaint sich Respekt sowohl unter den Sklavinnen und Sklaven, in seiner Armee, mit bei der lokalen Führung, aber auch an federführenden Stellen der Kolonialmächte erarbeitete. In Saint-Domingue war Toussaint eine Größe, die nach und nach seine Visionen von der Insel und einem Leben der Menschen in Freiheit realisierte.

Ein gewiefter Staatsmann…

Zu Beginn hatte er dazu auch noch breite Unterstützung seitens des französischen Gouverneurs, aber als dieser abberufen wurde, änderte sich die Lage. Die beiden Nachfolger waren aus Toussaints Sicht nicht unbedingt auf das Wohl der Schwarzen Bevölkerung bedacht und es zeigte sich mehr und mehr der clevere Staatsmann, der seine Kontrahenten ausmanövrierte. Hazareensingh macht das sehr schön an einigen Beispielen fest, wie Toussaint seine neuen Partner empfing und mit ihnen agierte – oder eben nicht.

Auch in der Außenpolitik – wenn wir das überhaupt so nennen können, denn immerhin war Saint-Domingue bis zum Tod Toussaints noch immer französische Kolonie und eine vollständige Loslösung vom Mutterland war wohl nicht sein Endziel – sehen wir immer wieder, wie der Black Spartacus seinerseits eigenmächtig Entscheidungen traf, wie den spanischen Ostteil der Insel zu erobern oder Beziehungen zu benachbarten Staaten und Inseln wie Jamaika zu schließen, um den Handel und damit den Wohlstand für die Bevölkerung der Insel zu erhöhen.

…mit autoritären Zügen?

Hazareensingh legt hier sehr schön dar, welch gewissenhafter und angesehener Staatsmann Toussaint Louverture zeit seines Lebens war oder vielmehr aus ihm wurde. Erneut muss hier auf die intensive Recherchearbeit verwiesen werden, die der Autor dieses mit mehreren Auszeichnungen gekrönten Buches geleistet hat. Er ordnet dabei auch immer sehr gut ein, unter welchen Voraussetzungen manch eine Entscheidung getroffen wurde oder weiß es, das administrative, politische und auch militärische Genie Toussaints hervorzuheben.

Das gilt umgekehrt auch an ein paar Stellen, an denen sichtbar wird, dass Toussaint mit der Zunahme seiner Macht gleichsam auch manch einen autokratischen Zug erkennen ließ. Gerade wenn es um die landwirtschaftliche Struktur des so fruchtbaren Landes ging, hat er dank seiner Übermacht die eine oder andere Entscheidung getroffen, die seine (All-)Macht demonstriert. Auch ein im Prinzip guter Staatsmann ist also nicht davor gefeit, schnell in leicht autoritäre Züge abzugleiten. Bei Menschen wie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan konnten wir dies in den letzten Jahrzehnten sehr gut beobachten.

Eine Inspiration für viele Menschen

Diese Fülle an Stationen und Informationen, die vielen Perspektiven, aus denen wir das Leben und Wirken Toussaint Louvertures, der am 7. April 1803 starb, präsentiert bekommen, machen aus Black Spartacus ein überaus eindrückliches Buch mit wissenschaftlichem Anspruch. Sudhir Hazareensingh gibt uns mit seiner ausführlichen Biografie über Toussaint Louverture eine harte Nuss mit auf den Weg, aber all das ist nichts im Vergleich zu dem, was Toussaint und seine Leidensgenossinnen und -genossen leisten mussten.

Touissant inspiriert Menschen aus der Schwarzen Community auf der ganzen Welt bis heute. Ob es die Black Lives Matter-Bewegung ist oder aufbegehrende und unterdrückte Minderheiten, Toussaint Louverture ist bis heute ein Vorbild und eine Motivationsfigur für viele Menschen weltweit, auch weil er – wie Sudhir Hazareensingh in seinen abschließenden Kapiteln erläutert in Film, Kunst und Kultur über die vergangenen Jahrhunderte fast schon zur schnell reitenden Ikone geworden ist.

Dass er vielen Menschen hierzulande bisher wenig bekannt sein dürfte, dürfte auch am generellen Desinteresse vieler Deutscher an der kolonialen Vergangenheit liegen – zumal an der Kolonialzeit anderer Imperien. Sudhir Hazareensingh hat mit dieser ausführlichen Biografie über Toussaint Louverture ein überaus detailreiches und komplexes sowie aufwändig recherchiertes Werk vorgelegt, das uns eine der Ikonen der Geschichte des Kampfes gegen Kolonialismus und Sklaverei näherbringen kann und sollte. Black Spartacus ist keine leichte Lektüre, aber eine mit deutlichem Mehrwert.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus — Das große Leben des Toussaint Louverture; März 2022; Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Nohl, unter Mitwirkung von Nastasja S. Dresler; 551 S., mit 38 farbigen Abbildungen auf Tafeln, 30 Schwarzweiß-Abbildungen im Text und 3 Karten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; ISBN 978-3-406-78458-3; C.H. Beck Verlag; 34,95 €

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert