Schwule Singles schwingen

Beitragsbild: Nick (Philemon Chambers) und Peter (Michael Urie) in vertrautem Staunen // Foto: Philippe Bosse/Netflix © 2021

Hach ja! Die Vorweihnachtszeit ist in halbvollem Gange: Deko leuchtet in Stadt- und Dorfbildern auf, Geschenke werden gekauft und verpackt oder verpackt gekauft; die „angesagtesten Hits“ diverser Musik- und Film-Serien-Streaminganbieter zeigen deutlich, dass der Wille zur Stimmung da ist und auch die möglichen Familienbesuche werden geplant. Für einige ist das ganz wunderbar, sehen sie ihre Familie doch nicht ganz freiwillig den Rest des Jahres über kaum; für andere ist es definitiv Pflicht, der sie aus irgendwelchen Gründen nachkommen. Und für wieder andere ist es Freude, aber auch mit Stress verbunden, denn was zu mäkeln gibt es immer.

Fake-Freund oder Blind-Date?

So geht es auch dem in Los Angeles lebenden Peter (*schmelz*: Michael Urie) im Netflix-Weihnachtsfilm Single All The Way: Er freut sich, seine Familie in New Hampshire zu besuchen, doch die ewigen Sprüche, die er sich wegen seines ebenfalls ewigen Singledaseins anhören muss, nerven ihn. Zum Glück will er in diesem Jahr seinen Freund Tim (Steve Lund) mitnehmen, das fällt jedoch ins Wasser. Also warum nicht seinen Mitbewohner und besten Freund Nick (wunderbare Newcomer-Entdeckung: Philemon Chambers) als Freund ausgeben? 

Carole (Kathy Najimy) schickt ihren Sohn Peter (Michael Urie) auf ein date mit Trainer James (Luke Macfarlane) // Foto: Philippe Bosse/Netflix © 2021

Der Plan muss allerdings gar nicht umgesetzt werden, denn Mutter Carole (wie immer fantastisch: Kathy Najimy) hat ihm längst ein Date mit ihrem Spinning-Trainer James (Luke Macfarlane) vermittelt. Widerwillig und nach einigem Schubsen von Mutti geht er aufs Date und tja – irgendwas ist da. Doch seine Nichten Sofia (Alexandra Beaton) und Daniela (Madison Brydges), wie auch Vater Harold (Barry Bostwick) sind der Meinung, dass Peter und Nick füreinander bestimmt seien. So nehmen also Kupplungsversuche aus verschiedenen Richtungen ihren Lauf.

Kitsch, der Freude macht

Zugegeben: Single All The Way ist in mancherlei Hinsicht eine recht klassische und teils zuckersüße Romantic-Comedy-Schnulze. Doch was soll daran falsch sein? Zumal der Film von Regisseur Michael Mayer (The Seagull) und Autor Chad Hodge ganz genau weiß, was er ist und es nicht zu kaschieren versucht. Zusätzlich mag er seine Protagonist:innen und ist einfach liebevoll erzählt.

Nick (Philemon Chambers) zählt nicht nur die Tage bis Weihnachten… // Foto: Philippe Bosse/Netflix © 2021

Diese Grundsympathie vermittelt auch das gesamte Ensemble. Neben den bereits genannten freuen wir uns besonders über Jennifer Robertson, vielen bekannt als Jocelyn Schitt aus Schitt’s Creek, als Peters Schwester Lisa und die immer gern gesehene Jennifer Coolidge etwas entrückte divenhafte Tante Sandy, die an einer Stelle quasi die vierte Wand durchbricht und sich freut und wundert, so viele schwule Fans zu haben (und uns gleichsam als „survivors“, also Überlebende oder eher Kämpfer, bezeichnet).

Und auch Trainer James, durchaus glaubwürdig von Macfarlane dargestellt, wird nie zu einer klischeehaften Trainer-Karikatur oder dem Bad Boy, der der gegenseitigen und in Nick und Peter schlummernden Liebe Steine in den Weg legt. Ein Kniff zur Mitte des Films sorgt im Übrigen dafür, dass wir es nicht mit einem dieser Abzieh-Rom-Com-Schinken zu tun haben, in denen erst auf den letzten fünf Metern entdeckt wird „was schon immer in uns war“. 

Wichtigstes Nahrungsmittel zum Fest mit Familie: Wein und Co. // Foto: Philippe Bosse/Netflix © 2021

Herzerwärmende Notwendigkeit

So funktionieren und Ensemble und Story sehr gut, auch halten sich Romantik, süßer Kitsch und teils beißender Humor die Waage. Manch ein Witz mag da vor allem bei der anvisierten schwulen bzw. queeren Zuschauer:innenschaft verfangen (wie das Foto-Shooting und die Weihnachtsfeier zu Beginn, ein durchgehender Andeutungsreigen und hui, ist das nicht Max Emerson?), andere funktionieren auf breiterer Ebene („I’m not opposed to ghosting.“ – „I know. Maybe that’s part of your problem.“) und manche kommen eher still daher und sind herrlich, wie er Name des Natur-Kosmetik-Labels von Peters jüngerer Schwester Ashleigh (Melanie Leishman): #FarmOnMyFace. Wunderbar!

Ein echter Baum! Carole mit Enkel Simon (Gryffin Hanvelt) // Foto: Philippe Bosse/Netflix © 2021

Dass wir Urie und Chambers die Freundschaft von Beginn an abnehmen, ebenso wie die unausgesprochenen und/oder uneingestandenen Gefühle füreinander, hilft natürlich auch. Die Chemie zwischen den beiden lässt uns trotz aller Vorhersehbarkeit mitfiebern, besorgt und erfreut sein. Zumal sowohl Nick als auch Peter dezent verkorkst menschlich sein dürfen und nicht irgendwelche überzeichneten Torschlusspaniker oder Beziehungsphobiker darstellen. Zusätzlich spielt ihre Sexualität auch eine Rolle, hier werden schwule Männer nicht als semi-asexuelle Wesen dargestellt, wie es in angloamerikanischen (der Film ist strenggenommen eine kanadische Produktion) Familien- bzw. Mainstreamfilmen gern der Fall ist, wenn’s um nicht heterosexuelle Figuren geht. 

Tante Sandy (Jennifer Coolidge) hat immer was zu sagen, egal was // Foto: Philippe Bosse/Netflix © 2021

Single All The Way ist ein wirklich feiner, lustiger und schlicht herzerwärmender und romantischer Weihnachtsfilm – und was könnten wir in diesem Jahr mehr wollen und gebrauchen? Genau. 

QR

PS: „My Only Wish (This Year)“ von Britney Spears und Michael Uries Socken – hart verliebt!

PPS: Etwas sperriger, aber auch recht gut ist Happiest Season mit Kristen Stewart.

PPPS: Wie immer empfehlen wir die englischsprachige Version; die Synchronisation ist allerdings auch recht gut. 

Single All The Way; Kanada, 2021; Regie: Michael Mayer; Drehbuch: Chad Hodge; Musik: Anton Sanko; Kamera: Éric Cayla; Darstellende: Michael Urie, Philemon Chambers, Luke Macfarlane, Kathy Najimy, Barry Bostwick, Jennifer Robertson, Jennifer Coolidge, Alexander Beaton, Madison Brydges, Dan Finnerty, Steve Lund, Melanie Leishman, Gryffin Hanvelt, Viggo Hanvelt, Stefano DiMatteo, Victor Andrés Trelles Turgeon, Adam Capriolo; Laufzeit: ca. 100 Minuten; FSK: 6; seit dem 2. Dezember auf Netflix


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