Barbie – 30 Jahre danach

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Von Alexander Schütz

So lautete im Kindergarten meine Antwort auf die Frage, was ich zu Weihnachten bekommen hatte. Meine Eltern lieben es diese Geschichte zum Besten zu geben, vorzugsweise wenn ich ihnen neue Freund*innen vorstelle und ich muss gestehen, dass auch mir diese kleine Anekdote mit zunehmendem Alter immer besser gefällt. An die Windpocken habe ich keine Erinnerung mehr, an meine erste Barbie aber umso bessere.

Sie war eine Ballerina, trug einen rosa Badeanzug und ein glitzerndes Tütü aus ebenfalls rosa Tüll. Ich war der glücklichste Junge der Welt, bis zu jenem tragischen Tag an dem Barbie ihr Balletröckchen abhanden kam. Ja, die Puppenecke und Kisten voller Bauklötze sind ein gefährliches Pflaster. Später folgten weitere Exemplare, Skipper, Arielle, Jasmin, sogar Kelly aus Beverly Hills, 90210 durfte ich irgendwann mein Eigen nennen. Die Faszination für die Puppe mit den unrealistischen Körpermaßen ist auch heute bei mir ungebrochen.

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So war die Frage ob ich mir Greta Gerwigs Barbie im Kino anschaue rein rhetorischer Natur. Ich gestehe, dass ich trotz großer Filmliebe keine große Affinität zu Gerwig hatte, kannte sie lediglich als Schauspielerin in Maggies Plan – worin ich sie beinahe unerträglich fand. Keine ganz einfachen Voraussetzungen also, doch ich wurde eines Besseren belehrt. Denn Greta Gerwig liefert ab, und wie! Ihrer Verfilmung ist der Transfer vom Spielzeug auf die Leinwand perfekt geglückt. Von der rosa Plastikwelt über die fantastischen Kostüme bis zur superben Besetzung stimmt hier einfach alles.

Schon der Trailer machte deutlich, dass die Regisseurin Barbie verstanden hat und genau weiß, was die Fans wollen wenn sie Margot Robbies wohlgeformten Fuß zeigt, der auch nach dem Ausziehen der Hochhackigen die ikonische, spitze Form behält und sofort viral ging. Ich wette Tarantino ist gleichzeitig neidisch und sehr glücklich. Die gezeigte Welt und die sie bevölkernden Barbies (und Kens) sind der Traum eines jeden Fans, so wunderbar rosa ist dieser pure in Plastik gegossene Kitsch, voller Anspielungen und Easter Eggs. Ikonische Outfits, architektonisch kuriose Traumhäuser und unglaubliche (aber wahre) Variationen der berühmten Puppe ließen mich wieder zu einem staunenden Kind werden und auch beim dritten Kinobesuch noch Neues entdecken.

Doch wenn man Greta Gerwigs Filmographie kennt, weiß man, dass sie sich nicht auf Schauwerte verlässt, sondern stets auch aktuelle, durchaus gesellschaftskritische Themen an- und verpackt. Das geschieht hier so klug, clever und gekonnt, dass einem das niemand glaubt der oder die den Film noch nicht gesehen hat. Ich meine, wenn mir jemand vor Jahren erzählt hätte, dass ein Film über Barbie mit einer Hommage an 2001- Odyssee im Weltall beginnt, hätte ich das auch nicht geglaubt.

So stößt schon der Beginn Zuschauer*innen vor den Kopf, die simple, bonbonfarbene Berieslung erwarten. Die großartige Helen Mirren gibt im wahrsten Sinne den Ton an wenn sie als Erzählerin immer wieder die Handlung kommentiert, durchaus bissig, selbstironisch und mit überraschend spitzen Seitenhieben. Spätestens wenn Barbie ihre heile Welt verlässt und in der echten Welt mit der, leider immer noch omnipräsenten Misogynie sowie Sexismus und dem Patriarchat konfrontiert wird ist der Film endgültig in der Satire angekommen und dazu noch in einer richtig guten.

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Diese Barbie ist klüger als viele bei dem ersten Blick auf das rosa Kinoplakat vermuten. Der ganze Film steckt voller Weisheit und wunderbar hintersinniger Beobachtungen, die wir eigentlich alle sehen aber dennoch darauf aufmerksam gemacht werden müssen, um sie wirklich aktiv zu registrieren. So simpel aber effektiv ist die Szene in der Barbie und Ken in der echten Welt ankommen und die bohrenden und wertenden Blicke jeweils ganz unterschiedlich wahrnehmen. Wenn Barbie dann ohne zu zögern sehr schlagkräftig reagiert, als sie ungefragt angefasst wird, wollte ich im Kinosessel einfach nur laut jubeln. Oder wenn sie einer älteren Dame sagt, dass diese wunderschön aussieht und die Antwort lautet „Das weiß ich doch“, bin ich allen Beteiligten dieser Szene sehr dankbar, dass sie zeigen, wie auf so ein Kompliment reagiert werden kann, nämlich selbstbewusst, stolz, ohne falsche Bescheidenheit. Wenn nur eine Person das Kino verlässt und zu sich selbst sagt „Ja stimmt, ich sehe gut aus“, dann hat Barbie für mich ihr Ziel erreicht, denn genau das sollten wir uns alle viel öfter selbst sagen. Da wird der Werbespruch „Barbie – Du kannst alles sein“ doch noch wahr.

Dabei tappt der Film nicht in die Falle Ken zum stumpfen Bösewicht zu stilisieren, sondern gönnt auch ihm, beziehungsweise allen Kens, eine unerwartete Entwicklung, die zeigt wie das Patriarchat nicht nur Frauen schadet, sondern allen Menschen. Noch unerwarteter, aber sehr willkommen, werden immer wieder giftige, kleine Spitzen in Richtung Mattel und deren Firmenpolitik abgefeuert, von denen jede einzelne voll ins Schwarze trifft. Gerüchte besagen, dass während des Drehs sogar einmal der Chef des Konzerns anreiste, um über einen Witz und ob dieser im fertigen Film enthalten sein soll oder nicht, zu verhandeln. Greta Gerwig setzte sich durch und ich habe das Gefühl, dass sie es sehr genoss ihren Finger hier in die, vermeintlich gut kaschierten, Wunden eines Weltkonzerns zu legen. Und ja, ich bin mir durchaus bewusst, dass letztendlich Mattel den Film abgesegnet hat, mit all seinen Witzen und Seitenhieben und ihn natürlich nutzt um weiter ganz viel Pink und Plastik an Kind, Frau und Mann zu verkaufen, was durchaus kritisch betrachtet werden darf oder muss. Da ich selbst aber eine positive Barbie bin, verbuche ich das ganze als Triumph der Regisseurin, die sich in einem rosa Overall gegen Männer in phallischen Bürotürmen durchsetzen konnte. Ein Schritt in die richtige Richtung. Außerdem freut es mich immer sehr, wenn Kunst es schafft nicht nur zu unterhalten sondern bei dem richtigen Klientel Unbehagen zu erzeugen und anzuecken. Genau das tut Barbie nämlich wenn, ich nenne sie mal freundlich konservative, Zeitgenossen sich von rosa Pumps auf den Schlips getreten fühlen, einfach nur weil ein Film feministisch ist, Missstände aufzeigt, seine Wokeness zurecht feiert, bunt und pink und auch queer ist.

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Das perfekt geformte Plastiksahnehäubchen auf diesem pinken Kuchen ist dann die Besetzung. Diese könnte nicht besser sein. Ryan Gosling darf als Ken sein komödiantisches Talent unter Beweis stellen und mausert sich für einen nicht geringen Teil des Publikums zum heimlichen Helden, die schon erwähnte Schauspiellegende Helen Mirren als Erzählerin erweist sich als Glücksgriff, America Ferrera als Mattel-Angestellte und Barbie-Fan ist wunderbar sympathisch und hält in einem Schlüsselmoment eine Rede die einem Manifest gleicht und von ganz vielen Leuten gehört werden sollte. Wer fehlt in meiner ultimativen Lobhudelei aber noch? Genau, die Frauen der Stunde: die Barbies. Noch nie waren sie so vielfältig, witzig, bezaubernd, klug, fabelhaft. Alle aufzuzählen ist unmöglich darum folgt ein kleines Best-of: Kate McKinnon als „weird Barbie“ ist wie erwartet pures Comedygold, Emma Mackeys Besetzung ist aufgrund der frappierenden Ähnlichkeit zur Hauptdarstellerin ein Geniestreich, Hari Nef war in Assassination Nation schon großartig und ist es ebenso als „Dr. Barbie“, Barbies schwangere Freundin Midge wird gespielt von Emerald Fennell die mit Promising Young Woman ein feministisches Meisterwerk inszeniert hat.

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Dann fehlt nur noch eine, die stereotype Barbie, Hauptdarstellerin und Produzentin Margot Robbie. Wäre ich nicht schon ein Fan – dann spätestens jetzt. Robbie überstrahlt mit ihrer atemberaubenden Präsenz einfach alles und lebt ihre Rolle richtig. Eine fantastische Leistung, sie haucht einer durchaus schwierigen Rolle Leben ein und macht eine oft belächelte Plastikpuppe sehr, sehr lebendig und menschlich [in diesem Sinne ist es erst recht kaum nachzuvollziehen, dass sie nicht für den Oscar nominiert ist; Anm. d. Red.]. Ihr gehört dieser Film, vom Anfang bis zum genialen letzten Satz, der den Film dann mit einem Paukenschlag enden lässt, wie es sich für solch einen perfekten Blockbuster gehört. Barbie ist der Film den wir verdienen und brauchen und der nach mehr als 30 Jahren den Schmerz eines kleinen Jungen wegen eines verlorenen Balletröckchens vergessen macht.

Danke Greta, danke Margot, danke Barbie.

Unser Gastautor Alexander Schütz wurde 1985 geboren und ist gelernter Buchhändler. Auf Instagram betreibt er die Kanäle bookhouse_boy_from_twin_peaks und lets_scare_alex_to_death

Greta Gerwigs Barbie ist auf DVD, BluRay und als Video-on-Demand verfügbar. [UPDATE, 11. März 2023: Der Film war in acht Kategorien für den Oscar 2024 nominiert; u. a. für das Beste adaptierte Drehbuch, als Bester Film sowie Beste Nebdarstellerin (Ferrera) und den Besten Nebendarsteller (Gosling). In keiner dieser Kategorien konnte er den Oscar einheimsen, dafür aber wurde „What Was I Made For?“ von Billie Eilish und ihrem Bruder Finneas O’Connell als Bester Song prämiert.)

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