„Oh, nein! Die schöne Sparvulva.“

Beitragsbild: Vanessa (Luna Kuse, l.), Alma (Fine Sendel, 2. v. l.), Liv (Josie Hermer, 2. v. r.), Mila (Saron Degineh, r.) // Foto: RTL/Hardy Spitz

Nach den Charming Boys und der Doku-Reihe Family of Choice über die Ballroom Community (Rezension folgt) bringt das Streaming-Portal RTL+ im Pride Month mit MEME GIRLS noch eine zweite durchaus queere Eigenproduktion (Odeon Pictures im Auftrag von RTL) an den Start. In der Serie geht es um die arme reiche, ideal egozentrische Influencerin Liv (Josie Hermer), die von ihrer Edel-Privatschule fliegt, da sie die schlechteste Schülerin ever, ever, ever ist. Als Konsequenz nimmt Papa Thomas (in wunderbarer Nebenrolle der immer gern gesehene Tom Keune) ihr alles weg, was ihrem Leben Sinn zu geben scheint: ihr Smartphone. Internet- und somit Postingverbot dazu…

„Ist das Hitlers altes Handy oder was?“

…da scheint es nur noch ein weiterer kleiner Stich, dass sie zusätzlich von nun an auf die „K“iller Gesamtschule gehen muss. Mit Normalos. Ugh! Sie bekommt „ihr Leben“ zurück, wenn sie das Schuljahr mit einem Dreier-Notendurchschnitt beendet. Unfassbare Forderungen ihres oft abwesenden, wenn auch liebevollen Vaters, wie Liv findet. Schnell findet sie Anschluss an die Clique von Queen B Selina (YouTuberin Kayla Shyx). Allerdings wird diese ihr kaum helfen können, ihre Noten zu verbessern…

Queen B Selina (Kayla Shyx, 2. v. r.) mit durchgequeerten Clique // Foto: RTL/Hardy Spitz

…also pickt Liv sich die Schulstreberinnen der wohl recht feministisch geprägten Schülerzeitung „Der Schulmädchen-Report“ Mila (Saron Degineh), Alma (Fine Sendel) und Vanessa (Luna Kuse) als Allys heraus. Der Deal: Beliebtheit, eine Kolumne und womöglich den von Mila angehimmelten Noah (Joshua Kantara) als Boyfriend gegen die Erledigung von Hausaufgaben und Abschreiben lassen bei der Abschlussprüfung. Als ersten Part der Abmachung nimmt Liv die drei Mädchen direkt mal mit zur angesagten (und erstaunlich öden) Party Selinas…

„Two Girls – One Club“

…was direkt in einem Höschenschlürfer und Shitstorm endet. Der jedoch kein Vergleich zu dem ist, der sich gegen Ende der ersten von sechs Folgen ereignet („Teenage Dirtbag“!). In diese haben die Creators Gesa Scheibner und Jonas Zimmermann (die ebenso als Headautorenteam agieren; Co-Autorinnen sind Jule Keller und Markus Rausch) so einiges gepackt. 

SAWommage: Nachdem Vater Thomas (Tom Keune) herausfindet, dass Liv (Josie Hermer) verbotenerweise ein Video gepostet hat macht er seine Drohung war und löscht einen ihrer Accounts… // Foto: RTL/Hardy Spitz

Da geht es mal um ganz „normale“ Teenie-Probleme wie den ersten Kuss, das erste Mal, die erste Liebe, die Monatsblutung und alle damit verbundenen vermeintlichen Peinlichkeiten, die oft gar keine sind, sondern durch Unsicherheit eher als solche erscheinen mögen. Doch auch Problematiken wie Bullying/Mobbing, Diebstahl, gefakte Liebe, Persönlichkeitsentwicklung und ja, auch ein inneres und äußeres Coming Out werden behandelt… 

„Willst Du mich heiraten? Dann können wir auch ficken.“

…dabei bleiben die von Benjamin Gutsche (All You Need) herrlich mitreißend inszenierten MEME GIRLS im Ton immer frisch, verpassen aber auch Chancen der emotionalen und authentischen Annäherung nicht. Das entwickelt sich natürlich im Laufe der Serie. Sind die ersten zwei Folgen noch sehr… nun, eben ein Anfang, gehen alle Beteiligten mit den Folgen drei und vier schon einen Schritt weiter in puncto Charakterentwicklung und Freundschaftsbildung.

Liv (Josie Hermer) erklärt Tom (Max Kruk), dass in ihrer Religion, dem Chrislam, kein Sex vor der Ehe drin ist… oder Berührungen // Foto: RTL/Hardy Spitz

Die letzten zwei Folgen sind dann nahezu perfekt. Sie sind unglaublich lustig (wobei jede Folge diverse große Lacher bereithält — siehe Überschriften), emphatisch, sensibel wenn nötig, derb wenn möglich, romantisch etc. pp. Am Ende steht ein Cliffhanger, der an das Ende des ersten Bandes von Alice Osemans Hearstopper erinnert

„Ich hab gestern zu mir selbst gefunden — schon wieder.“

…natürlich nicht 1:1. Dafür ist die Serie, deren Titel nicht umsonst an den famosen Film Mean Girls angelehnt ist, doch zu eigenständig. Wendet sich für eine Coming-of-AgeComedy selbstbewusst von manch tradierten Erzählmustern ab. Etwa jenem, einen Dauerkonflikt mit Selina kreieren zu müssen, was ich zu Beginn erwartet hatte. Auch ist Liv zwar immer ein wenig obnoxious aber nicht komplett unsympathisch, wenn sie auch kaum aufhört, an Mila rumzumäkeln. 

Wie Alma (Fine Sendel, l.), Vanessa (Luna Kuse, M.) und Mila (Saron Degineh, r.) eben so auf Liv schauen… // Foto: RTL/Hardy Spitz

Ebenso schafft MEME GIRLS es, mit Charme statt mit erhobenem Zeigefinger auf den schönen Schein der Social-Media-Welt aufmerksam zu machen. Hier wird nicht belehrt, sondern zwischen und mit den Lachern ein Gefühl dafür vermittelt, dass diese eben nur ein Auszug und oft kein sehr realer der Welt ist. Genauso aber auch, welch wichtiger Teil diese Welt eben vor allem für diese jungen Leute aka die Generation Z ist. Gleiches gilt für die Vermittlung gewisser Werte des gemeinsamen Umgangs und einem Grundgefühl für Selbstbestimmtheit und -bewusstsein…

„Wir müssen notmasturbieren.“

…was MEME GIRLS, trotz einiger Logik- und Anschlussfehler, zu einer hervorragenden Empfehlung natürlich vor allem für Menschen ab etwa vierzehn Jahren macht. Doch auch für „uns“ ältere Leute aka Generation Y/Millennials bietet die Serie nicht wenig. Freude machen vor allem die vielen eingestreuten Reminiszenzen an so manchen Film der Zeit um die Nullerjahre herum. Fantasiemomente und an die Zuschauer*innen gerichtete Gedankengänge mögen Erinnerungen an Scrubs wachwerden lassen. Und natürlich erinnern auch wir uns an unsere Jugend, wenn’s da auf dem Schulhof wohl auch eher um das Spiel „Snake“ und den ersten Matrix-Film ging.

Liv (Josie Hermer, r.) hat den schlechtesten Notendurchschnitt aller Zeiten und wird durch die Direktorin (Reyhan Şahin, M.) von der Privatschule verwiesen. Vater Thomas (Tom Keune, l.) ist schwer enttäuscht. #Freedom // Foto: RTL/Hardy Spitz

Abgerundet wird das durchaus ernstzunehmende Vergnügen neben einer feinen Musikauswahl und tollen Gastauftritten etwa von Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray durch nahezu durchgehend wirklich starke schauspielerische Leistungen des Jugendensembles. Begeistert haben mich persönlich Fine Sendel als sexpositive Alma und Luna Kuse als charmant-garstige Vanessa. Aber auch Hauptdarstellerin Josie Hermer als Liv und ihre ihr in Hassliebe verbundene Mentorin sowie Mentee Mila, die Saron Degineh durchaus vielschichtig gibt.

In diesem Sinne: Mit MEME GIRLS macht ihr nichts falsch. Schaut es reichlich — wir hier wollen wissen, wie’s nach dem Cliffhanger weitergeht. 

AS

PS: Josie Hermer ohne Augenbrauen sieht ein wenig aus wie Mia Goth.

PPS: Eine Gesamtschule, die so famos ausgestattet ist, soll mir mal wer zeigen. Vielleicht in Bayern?

Tod durch Samenstau? Tarek (Victor Kadam, r.), Moritz (Oskar Redfern, 2. v. r.), Noah (Joshua Kantara, 3. v. r.), Mila (Saron Degineh, 3. v. l.), Liv (Josie Hermer, 2. v. l.), Dr. Morgenthau (Stefan Lampadius, l.) // Foto: RTL/Hardy Spitz

PPPS: Also, ich hab’s nochmal ecosiert — der Samenstau ist eine moderne Legende. Man(n) kann sich doch immer einen wedeln oder hat halt einen feuchten Traum.

PPPPS: Apropos Heartstopper: „Sparks“ und Co. lassen durchaus auch an die Serie denken. Die übrigens am 3. August bei Netflix in die zweite Staffel geht. 

PPPPPS: Liv hat ihren eigenen Tiktok Kanal: https://www.tiktok.com/@liv.nation?lang=de-DE.

Die MEME GIRLS sind da… // Foto: RTL/Benno Kraehahn

Sechs Folgen MEME GIRLS sind ab dem 22. Juni 2023 auf RTL+ verfügbar.

MEME GIRLS; Deutschland 2023; Idee und Buch: Gesa Scheibner, Jonas Zimmermann, Co-Autor*innen: Jule Keller, Markus Rausch; Regie: Benjamin Gutsche; Darsteller*innen: Josie Hermer, Saron Degineh, Luna Kuse, Fine Sendel, Kayla Shyx, Joshua Kantara, Max Kruk, Tom Keune, Stefan Lampadius, Oskar Redfern, Viktor Kadam, Robin Lange, Lady Bitch Ray/Reyhan Şahin, Betty Taube; sechs Folgen à ca. 22 Minuten

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