Beitragsbild: Bild aus Casa Susanna // © Cindy Sherman Collection
Auf jeden Fall anders als unser eigener Blick auf Queeres. Dazu ein paar unsortierte Gedanken anlässlich eines Besuchs der Ausstellung Queerness in Photography in der C/O Galerie.
Von Nora Eckert
Fotos ziehen mich magisch an. Kunst waren sie für mich schon immer. Ich versäume kaum eine Fotoausstellung in der Stadt und scheue mich nicht, dafür auch auf Reisen zu gehen. Ich stelle dabei befriedigt fest, wie erfolgreich und selbstbewusst sich die Fotografie mindestens in den letzten 30 Jahren als ästhetisches Medium im Kanon der Künste etablierte. Die Zahl der Ausstellungen wie deren Qualität und die beachtliche Zahl der spezialisierten Galerien und Museen zeugen davon. Das war nicht immer so.
Es ist sicherlich schon viel Kluges über die Magie des fotografischen Blicks geschrieben worden, unabhängig davon, wie die Kamera benutzt, zu welchem Zweck sie eingesetzt wird. Denn auch das wirkt ins Bild hinein. Der Kamerablick kann aufdringlich sein oder diskret, respektvoll oder infam, verliebt oder obszön, spontan oder inszeniert. Immer zeigen Fotos eine Gegenwart im Moment des Verschwindens. Sie beglaubigen gewissermaßen einen Menschen für einen Bruchteil einer Sekunde. Ob sie dabei die Wahrheit zeigen ist fraglich. Fraglich ist auch, ob es nur eine Wahrheit gibt oder viele und welche das von Fall zu Fall wäre, die wir glauben zu sehen? Die des fotografierenden Subjekts oder des fotografierten Objekts? Also wessen Wahrheit sehen wir auf einem Foto? Fotos können mitteilsam sein, aber auch verschleiern, verbergen. Sie können Geschichten erzählen, aber in ihnen können auch Geschichten versteckt sein und es für immer und ewig bleiben. Fotos geben Antworten so wie sie Rätsel aufgeben.
Diese Ambivalenz von zeigen und verstecken ist mir beim Gang durch die gerade eröffnete Ausstellung der C/O Galerie am Bahnhof Zoo mal wieder deutlich geworden. Dazu kommen Fragen wie: Warum wurden diese Fotos gemacht? Wer sind die Menschen, die wir da sehen? Was ist aus ihnen geworden? Waren sie glücklich? Oder haben sie nie gefunden, was sie gesucht haben? Für wen entstanden die Aufnahmen? Für die Ausstellungsbesucher*innen bestimmt nicht – oder doch? Was rechtfertigt unseren Voyeurismus, denn von dem kann ich mich nicht freisprechen? Weil sie queeres Leben dokumentieren und uns in verschwörerischer Verbundenheit mitteilen: Vor unserer Queerness gab es immer schon ein queer-Sein? Ja, queer hat eine Geschichte. Das immerhin lässt sich mit Bestimmtheit sagen.
Was sehen wir als Queerness? Auf jeden Fall Menschen, die, auf welche Weise auch immer, buchstäblich aus der Rolle fallen. Wie das? Sie sind dabei, Gendergrenzen zu verwischen, neue Rollen zu definieren, die Eindeutigkeit von weiblich/männlich zu dekonstruieren, indem sie die geschlechtlichen Zwischenräume aufsuchen und besetzen, mal zaghaft, mal forsch, mal mit großer Geste, mal ganz distinguiert. Ich stelle mir dabei vor, mich selbst als der queere Mensch, der ich bin, mit den Augen anderer zu betrachten.
Gender Trouble ist buchstäblich sichtbar. Das war die banale Voraussetzung, dass der Filmemacher und Sammler Sébastian Lifshitz überhaupt beginnen konnte, alte Fotos zu sammeln. Denn das queer-Sein war stets darauf zu entdecken und wenn es nur ein winziges Zeichen dafür gab. Und so entstand mit der Zeit eine umfangreiche Sammlung. Wir haben also einen unerbittlichen Blick für Menschen, die dabei sind, Gendergrenzen zu überschreiten. Sie haben ihre männlichen Körper mit Weiblichkeit dekoriert und umgekehrt. Und je perfekter die Verwandlung, desto akribischer die Suche nach versteckten Spuren des Früheren. Und dann sehe ich es plötzlich und begreife, dass der Mensch zwar glauben kann, aber ebenso zweifeln. Und schon erkennen wir die Perfektion als Illusion im doppelten Wortsinn. Die Lust des Entlarvens.
Ich betrachte ebenso gern die Fotos wie diejenigen, die sie betrachten. Sieht der oder die dasselbe wie ich? Warum bleibt sie gerade vor diesem Foto so lange stehen und kommt sogar noch mal zurück? Und warum ist ein anderer so gelangweilt und schaut auf die Bilder, als ginge er durch die Regalreihen im Supermarkt? Manchmal ist es nur ein höfliches Interesse, aber dann stehe ich unvermittelt vor einem Foto, das mir geradezu einen Stich versetzt. Dann weiß ich oder vermute zumindest, dass dieses Foto etwas enthält, dass ganz unmittelbar mit mir zu tun hat, was immer es auch sei.
Das Wissen, fotografiert zu werden, bewirke, sich auf der Stelle einen anderen Körper zu verschaffen, um sich so bereits im Voraus zum Bild zu verwandeln. Nein, dieser Gedanke stammt leider nicht von mir, aber die Erfahrung kann ich gerne bestätigen. Gefunden habe ich ihn in Die helle Kammer des französischen Philosophen Roland Barthes (nebenbei eine Leseempfehlung), der auch davon sprach, ein Foto erschaffe einen Körper oder töte ihn ab. Auch das gehört zu den Eindrücken, mit denen ich die Galerie verließ.
Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverbandes Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society
Queerness in Photography ist noch bis zum 18. Januar 2023 in der C/O Berlin Galerie zu sehen. Es gibt ein umfassenden Begleitprogramm; alle Infos findet ihr hier. Eine ausführliche Ausstellungserkundung folgt Anfang November.
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