„Dieses Spektakel namens Welt“

„Schnörkellos, trotzdem herzlich, ruppig, aber nicht nachtragend.“ Diese Worte, mit denen Nora Eckert ihr Berlin-Kreuzberg der 70er-Jahre beschreibt und welches über drei Dekaden ihr Zuhause sein sollte, könnten ebensogut als Untertitel ihrer im C.H. Beck-Verlag erschienen Lebenserinnerungen Wie alle, nur anders dienen. Der gewählte Ein transsexuelles Leben in Berlin trifft es jedoch auch sehr gut. Dies vor allem, da Nora Eckert tatsächlich gelebt hat und davon ohne falsche Bescheidenheit aber auch frei von gestelzter Eitelkeit zu berichten weiß. 

Nora Eckert: Scharfgeistige Erzählkünstlerin

Es ist, zugegeben, nicht einfach, ein Buch, welches einen fasziniert, interessiert und begeistert hat, passend zu besprechen. Schließlich möchte diese Begeisterung, diese Freude geteilt werden und schnell neigt man dann dazu, es nachzuerzählen, um auch bloß keine entscheidende Weichenstellung, kein lustiges Detail, keine dramatische Episode und keine garstige Spitze unerwähnt zu lassen und somit dem Buch und der Autorin gegenüber unfair abgewogen zu haben. Dieses Deskriptive schafft jedoch das zusätzliche Dilemma, dass die Leser*innen der dann kaum mehr so zu nennenden Rezension die Geschichte wohl doch zu gut kennen und auf den Kauf verzichten könnten und das wiederum würde dem Wunsch nach größtmöglicher Verbreitung entgegenstehen.

Nora Eckert vor Büchern – eine lebenslange Liebesgeschichte // © Hassan Taheri

Die Geschichte der früheren Stenokontoristin, vor allem aber Publizistin von Büchern zu Oper und Theater Nora Eckert beginnt allerdings nicht in Berlin, sondern in Nürnberg und führt sie über Gießen („Nirgendwo fühlt man sich so allein und verlassen wie in der Provinz […]“) schließlich nach Berlin, zu einer Zeit, in der sie noch als junger, schwuler Mann lebte, obschon (ein Wort, das uns im Buch oft begegnet) sie bereits damals ihre „Erscheinung feminisierte“. Die Gießener Zeit nimmt sowohl in Nora Eckerts Leben wie auch im Buch nur wenig Platz ein, doch stellten sich dort die Weichen zum Wechsel nach Berlin. Abgesehen davon, dass dem buchverliebten jungen Mann, der Nora damals eben noch war, die Nähe zum zwar ebenfalls provinziellen, aber das Deutsche Literaturarchiv beherbergenden Marburg gefallen haben dürfte. Und immerhin gab es dort auch eine Diskothek, die angeblich besser sein sollte „als unser Gießener Tanzschuppen und voll mit schwulem Publikum.“ So viel besser sei es jedoch nicht gewesen.

Diese Lakonik zieht sich durch die gesamte nur 200-seitige Erzählung, bei der dennoch der Eindruck entsteht, ein ausführlicheres Buch gelesen zu haben. Nicht etwa, weil es langatmig oder gar redundant wäre, sondern weil Nora Eckert eine Erzählkünstlerin ist. Sie verknüpft biografische Daten mit einer Anekdote zur örtlichen Umgebung, ordnet diese gern in einen Kontext von Damals-und-Heute ein, zielt spitzstiftig und scharfgeistig auf einen weniger schönen Begleitumstand und webt an mancher Stelle noch ganz beiläufig einen sinnvollen Ratschlag ein – und das alles in Worten, denen zu folgen wahre Freude bereitet. Ein Beispiel dafür ist, wieso sie nie umkehrt, weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne und warum das gerade mit zunehmendem Alter praktisch und mit Blick auf den guten Theodor Fontane gar sinnstiftend ist. 

Der Lebensgeschichte vorauseilend

So nimmt Nora Eckert in ihrem Buch also die Rolle der Erzählerin ihres Lebens, Kommentatorin des Zeitgeschehens, wie auch unserer Begleiterin durch ihr Leben und die Zeit der vergangenen fünf bis sechs Dekaden ein. Das Buch fühlt sich an nicht wenigen Stellen so an, als würde sie uns in einem Gespräch gegenübersitzen und reden. Auf unsere Fragen und Nachfragen antworten, ohne dass wir diese stellen müssten, da sie sich schon dachte, dass diese oder jene auftauchen würde. Hin und wieder redet sie ein wenig zu schnell, eilt, wie sie sagt, ihrer Lebensgeschichte voraus, sortiert sich kurz und weiter geht es. 

Diva geht auch: Nora Eckert unterwegs auf dem Kurfürstendamm, 1978 // © Nora Eckert

Das Eilige und etwas Ungeduldige, auch Neugierige und sich selbst Vorantreibende prägt sie ohnehin, jedoch ohne, dass es in Fahrigkeit ausarten würde. Nicht immer, wie sie feststellt, hat ihr das das Leben unbedingt wesentlich leichter gemacht, aber sie lebte und lebt es nach ihren Bedingungen und Maßstäben und das bedeutet doch mindestens Zufriedenheit. So eben auch, wenn es darum ging, als Junge andere Jungs zu begehren oder zu lieben. Nirgendwo fand die 1954 geborene Nora einen Grund, warum das nun als pervers gelten sollte und ließ die Dummheit ihrer Mitmenschen Dummheit sein, wie sie uns erzählt. Diese Einstellung hilft natürlich dabei, für andere Betrachtungen und Reflexionen offen zu sein, sie ermöglicht andere Zugänge. Was sich auch an ihrer Haltung zu Kirche und Religion widerspiegelt, ihrer durchaus ästhetisch-sexualisierten Wahrnehmung der Darstellungen von Jesus Christus am Kreuz, der „versteckten Sinnlichkeit“, für die sie schon als Kind einen Sinn hatte, ebenso wie „für das Verborgene samt der Macht, die es ausübt.“ 

Verborgen war auch in ihr für geraume Zeit etwas, oder es blieb ihr verborgen. Wobei das nicht ganz zutrifft, denn dass sie sich als Frau empfand, schien ihr irgendwo schon sehr früh klar, wenn es auch nicht so deutlich zutage trat. So erzählt sie uns, dass sie in jüngeren Jahren eine „nicht lokalisierbare Frustration“, aber „keinen nennenswerten Leidensdruck“ und ihren „Körper nicht als Gefängnis empfand.“ Daher das erwähnte Spiel mit den Geschlechtergrenzen und die Feminisierung ihrer Erscheinung. 

Trans*Sein ist keine Verirrung im Kleiderschrank

Natürlich nimmt auch dieser Teil – der Weg zur Erkenntnis und Anerkenntnis des körperlichen Selbst, die Hormonbehandlung, das alltägliche Leben als Frau, das Passing – große Teile des Buches ein, was sinnvoll ist, steckt es doch im Untertitel. Doch vor allem erzählt Nora Eckert eben ihr Leben als Mensch, und dieser Mensch ist hier eine Transfrau. Wie so vieles werden ihre sich verändernden Erlebnisse und Anpassungsprozesse mit dem Rest ihres Lebens verwoben, da sich vieles oft schlicht fantastisch fügte, wie ihre Anstellung im Chez Romy Haag. Ein Lebensabschnitt, der, Überraschung, natürlich für einige der besten Anekdoten und unterhaltsam-erschreckendsten Momente des Buches herhält und den sie nicht umsonst in Anspielung auf Andy Warhols Kreativ-Kolonie ihre Factory nennt.

Nora Eckert bei ihrer Arbeit im Chez Romy Haag, 1977 // © Nora Eckert

Beim Lesen hilft es, sich hin und wieder in Erinnerung zu rufen, dass vieles, was Nora Eckert berichtet, in der noch recht jungen Bundesrepublik stattfindet. West-Berlin, HAW (Homosexuelle Aktion Westberlin), David Bowie und Rosa von Praunheim hin oder her: Die 70er-Jahre waren noch kein goldenes Zeitalter, weder für Homosexuelle, noch für Frauen als solche und auch nicht für Transfrauen. Wobei Eckert an der einen oder anderen Stelle anmerkt, dass es in vielerlei Hinsicht eine Leben-und-leben-lassen-Einstellung gab. Das allerdings mag durchaus der Umgebung Berlin-Kreuzberg und -Schöneberg geschuldet gewesen sein. Das wird insbesondere deutlich, wenn sie erstmals als Frau ihre Familie besucht und dort nicht direkt mit offenen Armen empfangen wird. Was ihre sie sehr liebende Mutter dazu bringt, gemeinsam mit ihr nach Berlin zu reisen. Eine Geschichte übrigens, die ein perfektes Beispiel für Tragikomik gepaart mit Liebe ist, ergänzt um den lakonischen Ton der Erzählung.

Apropos Tragikomik: Natürlich unterschlägt Nora Eckert nicht all die fiesen kleinen und großen Unwägbarkeiten, die es für Transmenschen gab und gibt. Sowohl als es bei ihr um eine psychologische Begutachtung ging, die sie kafkaesk schildert, wie auch das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG), das am 1. Januar 1981 in Kraft trat und das „mehr einem Hürdenlauf oder einer Quarantänebestimmung als einer menschenfreundlichen Verrechtlichung unserer Existenz“ gleiche. Sie erinnert an die in der Nazi-Zeit zu findenden braunen Wurzeln vieler der Gesetze und Vorschriften und stellt fest, dass einschneidende Diskriminierungserfahrungen an sich immer durch den Staat kamen. In einem emotionalen Appell am Ende jenes Kapitels über ihre psychologische Begutachtung erläutert sie dann auch, Michel Foucault heranziehend, den „fatalen Wandel der Rolle desjenigen, der spricht und bekennt.“ Die Herrschaft liege nun bei der schweigenden und lauschenden Person und nicht der wissenden und antwortenden. „Nicht wir erklären, wer wir sind, sondern andere erklären uns, nachdem sie uns ausgehorcht haben […].“

Ein Buch, das verführt

Diese Verschiebung und die so gemachten Erfahrungen mögen trotz ihrer „mentalen Robustheit“ auch Gründe sein, warum Nora Eckert jahrelang als Frau lebte, aber ihre Leben als bekennende Transfrau und als als Frau durchgehende Frau voneinander trennte, sich somit nicht immer wieder Outing-Situationen auszusetzen hatte, nicht die „tolerierte Ausnahme“ sein musste. Erst spät sollte sie sich entschließen, ihrem Leben eine neue Wende zu geben, diese „Selbstverleugnung“ zu lassen und ihre Transidentität bewusster und offener zu leben und sich schließlich unter anderem auch im Verein TrIQ TransInterQueer e. V. Berlin zu engagieren. Diese Wende schildert sie so bewegend und doch pragmatisch wie alles Gute, Schlechte und Dazwischenliegende in ihrem beeindruckenden Buch.

„Tausche Männer gegen Kunst“, 1985 // © Nora Eckert

Wie alle, nur anders ist die Lebensgeschichte einer ins Leben verliebten, individualistischen (und manchmal egoistischen) Transfrau mit „pluralistischer Libido“, die einen scharfen Blick zurück wirft und gleichsam in eine divers gelebte Zukunft weist. Ein Buch, das nicht nur von der Person Nora Eckert erzählt, sondern auch von der Liebe zur Literatur und dem Streit mit ihr (Édouard Louis!), wie überhaupt zu Büchern, zur Natur und zu pragmatischer Menschlichkeit. Ein Lehrstück in Akzeptanz und Selbstliebe; das Buch einer sinnlichen Frau, die Düfte fühlt, Bewunderung schätzt und uns dazu verführt, intensiver leben zu wollen. Dazu vermittelt sie nachvollziehbar und auf Augenhöhe mehr über Geschlechterwahrnehmung und Gendergrenzen (auch wieder: Bücher und Schriften – Shakespeare und Sigmund Freud) und trans*Sein als viele, die sich das so fest vorgenommen haben, es können. Es ist ein fantastisches, vielseitiges, informatives, witziges, bewegendes, liebevolles und liebenswertes Buch voller wunderbarer Sätze. Lest es. Unbedingt.

AS

Wie alle, nur anders von Nora Eckert; erschienen im Verlag C. H. Beck

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Nora Eckert: Wie alle, nur anders. Ein transsexuelles Leben in Berlin; 1. Auflage, Februar 2021; 208 Seiten, mit 17 Abbildungen; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-406-75563-7; C.H. Beck Verlag; 22,00 €; auch als eBook erhältlich

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