Eigentlich wollte er doch etwas Angenehmes schaffen, als er den Baum gegenüber seines Wohnhauses im Süden Tel Avivs pflanzte, argumentiert Ben (Shlomi Bertonov) gegenüber seinem Partner Raz (Ariel Wolf) und Therapeuten (Ilan Hazan). Diesen galt es zu schützen, genau wie das annehme Gefühl, das er in allen Bewohner*innen der multikulturellen und sich im Gentrifizierungsprozess befindlichen Straße hervorbringen wollte. An einen jungen Baum lehnt mensch sich nicht, dass die Flüchtlinge aus Eritrea das nicht verstehen, dass sie aus einer anderen Kultur kommen, in der Zusammenleben anders gestaltet wird, nein, dafür kann er nichts. Sein Therapeut pflichtet ihm bei, sein Partner gibt sich entsetzt.
Besorgte „Schikaneure“
Bis zu diesem Moment, in dem noch einiges mehr ausgesprochen wird, das eine das menschliche Miteinander und alles Angenehme torpedierende Mischung aus latentem Rassismus und White Guilt ist, braucht es im Film Concerned Citizen, der im Januar in der Salzgeber queerfilmnacht gezeigt wird und am 2. Februar 2023 regulär im Kino startet, von Idan Haguel ein wenig. Alles beginnt dabei mit diesem Baum, mit zwei vermeintlichen Arbeitsimmigranten, die sich an ebendiesen lehnen und auch auf Bens Bitten, dies zu lassen, weiter dort verharren. Er ruft das Bürgertelefon an und beschwert sich, die Polizei kommt, schnappt einen und prügelt brutal auf ihn ein — mit fatalen Folgen.
Die kommende gute Stunde folgen wir Ben dabei, wie er versucht mit Ursache und Wirkung, dem eigenen Selbst und Selbstzweifeln sowie Rechtfertigungsversuchen und Vorurteilen umzugehen. Dies geschieht in Form einer bodenständigen Satire, die gekonnt zwischen Garstigkeit und Ernst zu tarieren weiß und nie vom Weg abkommt. Haguel war es dabei ein Anliegen, die Geschichte nicht aus Sicht des Opfers, sondern des „Schikaneurs“ zu erzählen, aus der Sicht der weißen und privilegierten Personen also, etwas wovor viele Filmschaffende — sicherlich auch aus Selbstschutz — häufig zurückschrecken.
„Vergessen wir einmal den Flüchtling“
Von dieser Perspektive rühre auch die Satire her, so der Filmemacher: „Ich wollte mir nicht anmaßen, die Perspektive der Geflüchteten für mich zu beanspruchen, die in der inneren Welt unseres Protagonisten keinen Platz haben.“ Dabei schafft der Autor und Regisseur es, nicht nur den Alltag in einem sich verändernden Viertel in kurzen Sequenzen darzustellen und ebenso eine authentische schwule Beziehung samt Kinderwunsch, der ebenfalls von diversen Attributen weißer Privilegien konnotiert ist, zu zeigen (die Darsteller Shlomi Bertonov und Ariel Wolf sind auch im echten Leben ein Paar), sondern auch den Finger in die Wunde der selbstempfundenen „Wokeness“ zu legen und so das verworrene Innenleben Bens, der wohl auch meint aus Zivilcourage zu handeln, erfahrbar zu machen. So sagt Haguel über Concerned Citizen:
„Die Charaktere im Film sind schwul, weil ich es auch bin, und weil sie auf diese Weise automatisch als liberal und ‚woke‘ angesehen werden, sowohl von sich selbst als auch von den Zuschauer:innen. Der Film versucht diese Wahrnehmung zu benutzen und sie zu hinterfragen.“
Auf die Spitze getrieben wird dies, wenn im Gespräch mit Nachbar Rotem (Idan Hubel) davon gesprochen wird, dass sie völlig ausgelaugt seien: Junkies, Flüchtlinge und so weiter… es breche ihnen das Herz! Dabei, so an anderer Stelle beim Therapeuten, versuchte Ben doch sie wie Nachbarn, Freunde, ja Gleichwertige zu behandeln.
Die Privilegien der selbst Marginalisierten
„Ich mache keine Witze über die ernsten Themen, um die es geht, sondern hauptsächlich über die Art und Weise, wie die Protagonisten diese wahrnehmen“, sagt Haguel und dem kann nur zugestimmt werden. Weder ist die Gewalt, die Geflüchtete erfahren müssen, noch die gefährliche Flucht aus dem Sudan oder Eritrea über die Wüste Sinai zur ägyptisch-israelischen Grenze Gegenstand eines Witzes. Wenn auch die Fluchterfahrung (übrigens hat Idan Haguel die eritreischen Geflüchteten mit Schauspieler*innen der Holot–Theatergruppe besetzt, die in einem Auffanglager für Immigranten gegründet wurde) durch die Erzählung eines nahezu perfekten Urlaubs der beiden Protagonisten in der Region kontrastiert wird.
Concerned Citizen, der auf der 72. Berlinale in der Panorama Sektion gezeigt und viel gelobt wurde, erzählt selbstverständlich und teils bitterböse, jedoch nie als Farce eine queere Geschichte, die durchaus als allgemein gültige Parabel über manch unbewusstes Vorurteil, die Selbstverständlichkeit von Privilegien und die Schwierigkeit von Reflexion gesehen werden kann. Dass der Protagonist — heldenhaft mit Partner und Regenbogenflagge auf dem Tel Aviv Pride — selber Teil einer marginalisierten Gruppe ist, die aber in der gesellschaftlichen Matrix Israels ein solideres Standing hat als Menschen mit unklarem Rechtsstatus, bedient dabei kein Narrativ von Opferhierarchie, sondern fordert uns auf, eigene Maßstäbe zu hinterfragen.
AS
PS: Wie es jedoch mit der Akzeptanz queerer Menschen in Israel mit der rechts-nationalistisch-religiösen Regierung weitergeht, werden wir sehen. Tel Aviv nahm sich hier ohnehin schon lange als Regenbogen–El Dorado aus. In Jerusalem etwa sieht die Situation dabei schon wieder ganz anders aus. Ob Benjamin Netanyahu sich gegen Bestrebungen seiner Regierungspartner durchsetzen und Wort halten kann, dass die LGBTIQ*-Community nichts zu befürchten habe, darf nach den ersten Tagen, in denen nicht unbedingt auf ihn gehört wurde, eher bezweifelt werden. Dass mit Amir Ochana, wie Netanyahu Mitglied der Likud-Partei, erstmals ein offen schwuler Politiker zum Parlamentspräsidenten ernannt wurde, ist hingegen erst einmal ein gutes Zeichen — das sich hoffentlich nicht als Makulatur erweist. Wir werden ein Auge darauf behalten.
PPS: Gedreht wurde Concerned Citizen übrigens in einer Wohnung, in der Idan Haguel selber längere Zeit lebte; so sind die gezeigten Räume innen wie außen also ebenfalls authentisch. Entstand der Film doch auch als Verarbeitung „eines brutalen Arrests durch die Polizei“, den Haguel beobachtete und der ihn ein Jahr verfolgte.
Ihr findet Concerned Citizen als DVD u. a. im Salzgeber Shop.
Concerned Citizen; Israel 2022; Buch und Regie: Idan Haguel; Kamera: Guy Sahaf; Musik: Zoe Polanski; Darsteller*innen: Shlomi Bertonov, Ariel Wolf, Lena Fraifeld, Ilan Hazan, Idan Hubel, Or Butbul, Uriah Jablonowsky, Flora Bloch; Laufzeit ca. 82 Minuten; FSK: 12; präsentiert von The Yehoshua Rabinovich Foundation, Israel Cinema Project und m-appeal im Verleih von Salzgeber; im Januar in der Queerfilmnacht und ab dem 2. Februar 2023 im Kino
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