Eine Frage, die in den vergangenen Jahren mehr in die Öffentlichkeit dringt, eigentlich aber schon immer Bestandteil unserer Existenz war, ist jene danach, wie viel Körper unser Sein ist. Wie sehr definiert der Körper uns als Individuen? Wie viel Körper steckt im Bewusstsein? Nicht zuletzt — und augenscheinlich sowieso zuvorderst — wie viel in der Außenwahrnehmung, sowohl der eigenen als auch der der Anderen?
Nun sind dies Fragen, die manche von uns eher zu philosophisch angehauchten Wesen-Existenz-Überlegungen verleiten dürften. Für andere hingegen gehören diese zum tagesaktuellen Leben, sind Fragen des Alltags. Regisseur Alex Schaad legt mit Aus meiner Haut, den wir hier bereits kurz vorstellten, nun einen Körpertausch-Film der etwas anderen Art vor und kombiniert hier Überlegung mit gelebter Umsetzung (wenn auch nicht dem Alltag, dazu später mehr). Den Film, der in Venedig den Queer Lion Award einheimsen konnte, schrieb er gemeinsam mit seinem fünf Jahre älteren Bruder, dem Schauspieler Dimitrij Schaad. Morgen startet er nach solidem Festival-Lauf in unseren Kinos.
Magische Realität oder Therapiesitzung?
Die Grundhandlung ist einfach erklärt, kompliziert wird’s erst im Verlauf des gut 90-minütigen Films. Leyla (Mala Emde, Und morgen die ganze Welt, Tatort: Die Rache an der Welt) und Tristan (Jonas Dassler, Der Goldene Handschuh, Das schweigende Klassenzimmer) scheinen ein glückliches Paar, als sie zum Sommerende auf eine abgelegene Insel reisen, auf die Leylas Jugendfreundin Stella (Edgar Selge) sie eingeladen hat. Doch irgendetwas ist hier anders — die Menschen scheinen einen anderen Blick auf sich und die übrigen Personen zu haben.
Leyla und Tristan treffen auf Fabienne (Maryam Zaree, Legal Affairs) und Mo (Dimitrij Schaad, Die Känguru-Chroniken, Das Boot) und nach einigem Austausch entschließt man sich gemeinsam ein Körpertauschritual abzuhalten. Es kommt, wie es kommen muss: Leyla ist mehr als glücklich mit ihrem Tausch, Tristan nur bedingt. Unausgesprochenes und Ungefühltes treten zu Tage, Bedürfnisse werden neu definiert und gelebt und nach und nach spitzt sich die Lage zu.
Aus meiner Haut erweitert die genannten Fragestellungen also noch um den folgenden Punkt: Wer bin ich, wenn ich in einem quasi fremden Körper stecke (der mir aber als Gegenüber bekannt ist)? Alex Schaad wollte sich all dieser Fragen in Form von magischer Realität annehmen, was auch extrem verführerisch und nach einem hochgradig interessanten Science-Fiction-Liebes-Drama-Etc.-Film klingt.
Wild schlingernde Versuchsanordnung
Allerdings muss ich gestehen, dass diese Versuchsanordnung diverser Überlegungen und ihre Übertragung ins Film-Urlaubsleben (Alltag ist auf dieser abgeschiedenen Insel natürlich nicht zu leben, eher hat es was von der Colonia Dignidad), für mich in vielerlei Hinsicht nicht funktioniert. Das liegt mitnichten an den größtenteils wirklich hervorragend agierenden Darsteller*innen (Edgar Selge fällt hier raus, er legt seine körpergetauschte Stella für mich zu sehr als Karikatur an, großer Fail), allen voran Mala Emde und ein beeindruckender Jonas Dassler sowie der Theaterschauspieler Thomas Wodianka, der einer entsetzlich pathetischen Szene ein wenig Würde zu geben versteht.
Das Drehbuch der Schaad-Brüder allerdings mäandert ein wenig zu sehr zwischen Beziehungskomödie, Situationskomik, philosophischem Drama, Drama-Drama, Gesellschaftssatire und irgendwie Liebesfilm. Es ist schön, einen Genre-Mix zu wagen, ja sogar zu begrüßen. Wenn sich dieser allerdings nicht zu einem Ganzen fügt, dann ist das doch nur eine vergleichsweise leere Hülle.
Diese Hülle soll hier auch recht eindeutig Kunst sein, was sie bedingt gar sein dürfte. Es gibt Momente und Kniffe, die sind wunderbar, rätselhaft, verführerisch und laden dazu ein, sich (ver-)führen und tragen zu lassen. Es sind nur recht wenige, die oft durch die nicht selten herausbrechenden soapigen Elemente ad absurdum geführt werden. Was letztlich dazu führt, dass Aus meiner Haut so wirkt, als würde er deutlich über zwei Stunden gehen. Was er nicht tut.
Irritation ist keine Qualität per se
Nun könnte mensch sagen, das liege alles daran, dass ich mich dem Film nicht geöffnet oder ihn nicht verstanden hätte. Beides mag sein (letzteres gar eher). Allerdings mutmaße ich, dass auch die Autoren am Ende nicht mehr verstanden haben, was sie eigentlich denken wollten und zu sagen haben könnten (oder schlimmer: das Interesse am eigenen Gedankenspiel verloren haben), löst Aus meiner Haut sich doch recht plötzlich in einem unnötigen Moment von Gewalt und vermeintlicher Befreiung auf.
Dieses Plötzliche funktioniert dabei jedoch nicht als großer OHA-WHOA-Moment sondern viel eher als ein Ärgernis, das im Konzept des Ganzen wenig Sinn ergibt. Beinahe wirkt es, als sollten die Zuschauer*innen so davon abgelenkt werden, dass die dem Sci-Fi-Drama ursprünglich zugrundeliegenden Fragen im Verlauf aufgegeben worden sind, um eine recht klassische Story mit teils kitschig aufgeladenen Bildern zu erzählen.
Die teils sehr positiven Stimmen und auch so manch eine Auszeichnung erschließen sich mir jedenfalls kaum; müssen sie auch nicht. Die Reaktionen im Saal während der Berlin-Premiere von Aus meiner Haut ließen jedenfalls darauf schließen, dass nicht wenige einen Film sahen, der sie ansprach (wobei natürlich sehr viele Beteiligte im Raum waren). Wenn Gespräche im Anschluss auch eher ein ratloses „War halt gut“ beim Gegenüber aufzeigten. Steckt mensch nicht drin.
AS
Aus meiner Haut startet am 2. Februar 2023 in den Kinos.
Aus meiner Haut; Deutschland 2022; Regie: Alex Schaad; Drehbuch: Alex Schaad, Dimitrij Schaad; Produzenten: Tobias Walker, Philipp Worm; Kamera: Ahmed El Nagar; Darsteller*innen: Jonas Dassler, Mala Emde, Maryam Zaree, Dimitrij Schaad, Edgar Selge, Adam Bousdoukos, Sera Poyraz, Thomas Wodianka; FSK: 12; Laufzeit ca. 104 Minuten
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