Gefahr in der Hängematte

Es gibt viele Definitionen für Freiheit, aber genau das zu tun, worauf mensch Lust hat und das zu lassen, worauf eben keine Lust besteht, dürfte dem im Alltag doch recht nahekommen. Den meisten Menschen, die in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften leben, also grundsätzlich in den Genuss dieser Freiheit kommen könnten, fehlt es zumeist an Zeit oder Geld oder sie sind anderweitig irgendwie gebunden. Oder eine beliebige Mischung aus diesen Faktoren. 

Jens Leunich ist jedoch in der glücklichen (?) Lage, genau über diese Freiheit zu verfügen. Er ist stinkreich, lebt sein Leben in den Luxushotels dieser Welt, zahlt keine Steuern und tut einfach, was er will. Oftmals ist das absolut nichts. So lernen wir ihn jedenfalls als Protagonisten in Andreas Eschbachs Roman Der schlauste Mann der Welt kennen, der im Februar 2023 bei Lübbe erschien.

Das Leben eines Tausendsassas

Leunich konfrontiert uns direkt zu Beginn mit der Tatsache, dass er nur noch zehn Tage zu leben habe. Warum das so ist, erfahren wir im Lauf des Buches – erste Andeutungen gibt es bereits früh. Diese zehn Tage will er nutzen, um uns zu schildern, welches Leben in Luxus er führt, denn er ist ein klassischer Tausendsassa.

Wie er zu diesem Leben gekommen ist und wie er sich das alles leisten kann, erläutert er uns auch im Detail – allein dieser sehr anregende Teil der Geschichte nimmt fast die Hälfte des Buches ein. Welche spannenden und extravaganten Erlebnisse er so hatte, wird oft nur angedeutet und es bleibt der Fantasie der Leserinnen und Leser überlassen, sich dies genauer auszumalen. Allerdings gab es einige wenige für ihn unvorhersehbare Entwicklungen, die ihn nun in eine recht missliche Lage brachten, weshalb sein Ende kurz bevorsteht.

Lakonischer Witz und ungeschönte Wahrheit

Mit äußerst nüchternem Humor und einer gehörigen Portion Offenheit gewährt uns Jens Leunich Einblick in seine Welt. An fast allen Stellen erkennen wir dabei lakonischen Witz und Humor oder eben die ungeschönte Wahrheit. Leunich hat in seinem Leben nur an ganz wenigen Tagen gearbeitet und das Niederschreiben seines uns hier vorliegenden Manuskripts dürfte zu den intensivsten Tätigkeiten seines Lebens gehört haben.

Hinter all den humorigen Geschichten und Erzählungen verbergen sich jedoch einige Fragen und Punkte, die uns Leserinnen und Leser durchaus ein wenig zum Nachdenken anregen können. Die Art und Weise, wie Leunich zu seinem Vermögen kam, war… sagen wir mal nicht ganz legal. Er hat alles deutlich klüger abgewickelt, als beispielsweise eine Anna Delvey, die bekanntermaßen einen ähnlichen Lebensstil pflegt. Aber bis der Groschen bei ihm gefallen war, verging offenbar dennoch einige Zeit. Reue oder ein schlechtes Gewissen hatte er nur bedingt. Gut, kann mensch so machen, muss aber nicht.

Ohne Arbeit geht es nicht

Etwas anders ist das vor allem bei seinem Umgang mit der Arbeit. Wie viele von uns würden sich wünschen, nicht mehr arbeiten müssen? Aber wie er an mehr als einer Stelle so richtig feststellt: Nichtstun – also wirklich gar nichts – ist gar nicht so einfach. Und unabhängig von diesem Sachverhalt, kann es sich auch einfach nicht jeder und jede leisten.

Es ist ein netter Gedanke, wenn er schreibt, dass er de facto weniger produziert als er verbraucht – im ökologischen Sinne würden wir sagen, dass er eine Art Kohlenstoffsenke sei. Die Sache ist aber: Irgendjemand muss die Dinge und Dienstleistungen, die Leunich konsumiert, ja dennoch produzieren.

Champagner von den Bäumen?

Champagner beispielsweise wächst nicht in Flaschen auf Bäumen und watschelt nicht selbstständig in die Präsidentensuite. Dafür braucht es Menschen, die Trauben anbauen, pflücken, keltern, den Saft abfüllen, in den (Groß-)Handel bringen, kaufen, einlagern, kühlen, aufs Zimmer bringen und vielleicht auch aufmachen und dem Gast einschenken.

Ja, ein bedingungsloses Grundeinkommen (das Eschbach in seinem vor gut einem Jahr erschienenen Roman Freiheitsgeld unter selbigem Titel behandelt – eine Rezension folgt) für alle wäre schön, ausschließlich und getreu dem Frugalismus lediglich von seinem Ersparten zu leben, ebenfalls. Allerdings: Der vorhandene Kapitalstock legt sich nicht von selbst an und um in irgendetwas investieren zu können, muss an anderer Stelle eben gearbeitet werden. Leider ist das nicht die Welt, in der wir leben und nein, daran ist auch nicht der böse Kapitalismus schuld. Auch im Sozialismus wachsen Champagner und Krimsekt nicht auf Bäumen (selbst wenn manch sowjetische Kreise das einst anders gesehen haben mögen).

Selbstbeschneidung

Leunich ist einfach kein Arbeitstier, sondern er verfolgt stoisch seinen Plan, nicht arbeiten zu müssen. Das zeigt sich an mehreren Stellen vor allem in der zweiten Hälfte des Buches. Das ist sein gutes Recht, doch es zeigt auch, dass seine scheinbar selbstgewählte (und doch nur auf einem Verbrechen beruhende) Freiheit, eigentlich gar nicht so frei ist.

Gegen Ende der Geschichte gibt es mindestens drei Fälle, in denen klar wird, dass die Faulheit, das Nichtstun für ihn vielleicht ein überaus angenehmer Lebenswandel war und ist, aber an manchen Stellen eben doch aktives Handeln gefragt ist. Wenn es fundamentale Veränderungen im eigenen System gibt – etwa bei der Betreuung des Kapitalstocks – oder wenn es darum geht, welche Folgen der eigene Output haben kann – auch positive. All dies hat der faule Leunich scheinbar nicht bedacht und sich damit selbst in seiner Freiheit beschnitten.

Schlau oder verkümmert?

Ob er also der schlauste Mann der Welt war bzw. ist? Sein Credo, möglichst nichts zu tun, scheint jedenfalls für viele Menschen überaus nachvollziehbar und ein erstrebenswertes Ziel zu sein. Wenn wir uns dadurch allerdings so sehr in die geistige Hängematte begeben, dass unser Verstand dabei verkümmert, dann ist das nicht Freiheit, sondern changiert zwischen Dummheit und selbstgewählter Tyrannei. Also nein, anders als Leunich anfangs insinuieren lässt, der schlauste Mann der Welt ist er wohl nicht.

In erster Linie ist Der schlauste Mann der Welt von Andreas Eschbach zwar ein unglaublich unterhaltsamer und humorvoller Roman. Gleichermaßen bringt er uns aber dennoch dazu, über unser Sein und die Rolle des oder der Einzelnen innerhalb unseres Systems nachzudenken und ein paar Verhaltensweisen zu reflektieren. Gerade die Hörbuchversion (eingelesen von Matthias Koeberlin bei Lübbe Audio) verspricht überdies gute Unterhaltung beim gepflegten Nichtstun in der Bahn.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Andreas Eschbach: Der schlauste Mann der Welt; Februar 2023; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; 222 Seiten; ISBN 978-3-7857-2849-9; Lübbe Belletristik; 22,00 €

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