Eine Nominierten-Liste, sie zu interessieren

Beitragsbild: Bunte Buchstapel und mittig ein Foto (© Leipziger Buchmesse) der nominierten Titel.

Anmerkung: Die Verlinkungen bei den Verlagen führen zu unserem Schlagwortbereich zu diesem.

Es ging ja ordentlich hin und her in den letzten Tagen, gar Wochen, nichts Genaues wusste mensch nicht. Vermeintlich eindeutige Zusagen und Bekenntnisse wurden relativiert. Vieles blieb schwammig, dies sorgte für Unsicherheit beinahe allerorten. Schließlich kam es zu einem großen Knall, der jedoch auch irgendwie aufgefangen wurde. Hier geht es nun allerdings nicht um die Ukraine-Krise und den von Russland und Wladimir Putin angefachten Konflikt, sondern um die Leipziger Buchmesse

Kürzlich wurde sie abgesagt, was für eine Art Aufschrei sorgte. Schnell waren Stimmen von manchen Verlagen zu vernehmen, selber etwas auf die Beine zu stellen. Heute berichtet buchreport, dass mehr als 50 Verlage für „buchmesse_popup“ nach Leipzig kommen werden, initiiert wurde das von Leif Greinus vom Verlag Voland & Quist und Gunnar Cynybulk vom Kanon Verlag. Puh! Trotz dieser Absage der LBM 2022 stand der Preis der Leipziger Buchmesse jedoch nie zur Disposition. Vor wenigen Stunden wurden nun die 15 in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung von der Jury des Preises der Leipziger Buchmesse nominierten Titel bekanntgegeben.

15 mal anders

Unter der Leitung von Insa Wilke wartet die siebenköpfige Jury, Moritz Baßler, Anne-Dore Krohn, Andreas Platthaus, Miryam Schellbach, Shirin Sojitrawalla und Katharina Teutsch, durchaus mit manch einer Überraschung auf. Das nicht nur, weil uns natürlich nicht jeder Titel prompt etwas sagte, sondern vor allem, da bekanntlich die Mischung die Musik, hier also den erzählerischen Klang, macht und die – meisten – der nominierten Titel dürften für eine feine Lesesymphonie sorgen.

In der Kategorie Belletristik sind nominiert (bei den Verlagen sind unsere Beiträge zu diesen verlinkt): 

  • Dietmar Dath: Gentzen oder: Betrunken aufräumen. Kalkülroman; Matthes & Seitz Berlin, August 2021
  • Tomer Gardi: Eine runde Sache, zur Hälfte übersetzt aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer; Literaturverlag Droschl, Juni 2021
  • Heike Geißler: Die Woche; Suhrkamp Verlag, März 2022
  • Emine Sevgi Özdamar: Ein von Schatten begrenzter Raum; Suhrkamp Verlag, Oktober 2021
  • Katerina Poladjan: Zukunftsmusik; S. Fischer Verlag, Februar 2022 – unsere Besprechung

Die Juryvorsitzende Insa Wilke äußert im Video zur Vorstellung der Nominierten den Eindruck, dass nicht nur viele der nun nominierten belletristischen Titel, sondern auch viele Autorinnen und Autoren darüber hinaus „im Moment sehr vehement danach suchen, einen Ausdruck zu finden für bestimmte Auseinandersetzungen mit den Themen, die im Moment alle beschäftigen.“ Es sei in der Literatur besonders wichtig, die richtige Sprache zu finden, nur so erreiche man ein Publikum – über eine Ausdrucksform, die noch nicht „tausendmal weggehört wurde, im Fernsehen oder am Stammtisch oder Sonstwo.“

Aus alt mach neu?!

Dass wir uns dem anschließen, dürfte nicht überraschend sein. Einige von uns waren jedoch überrascht, dass Dietmar Dath nach seiner Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2021 hier nochmals auftaucht, andere meinten: Ist doch gut, passt doch. Persönlich freuen wir uns über die Nominierung Tomer Gardis. Die zeitnah erscheinenden Titel Die Woche und Zukunftsmusik klingen nach Büchern der Stunde, wohingegen der kleine Wälzer Ein von Schatten begrenzter Raum längst vergangene Stunden aufarbeitet. Das jedoch ist auch gerade ziemlich en vogue und ohnehin gilt: aus Geschichte lernen. 

Was eine famose Überleitung zu den nominierten Sachbuch/Essayistik-Titeln (bei den Verlagen sind unsere Beiträge zu diesen verlinkt) ist:

  • Horst Bredekamp: Michelangelo, Verlag Klaus Wagenbach; August 2021
  • Hadija Haruna-Oelker: Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken; btb Verlag, März 2022
  • Christiane Hoffmann: Alles, was wir nicht erinnern. Zu Fuß auf dem Fluchtweg meines Vaters; Verlag C.H.Beck, Februar 2022
  • Juliane Rebentisch: Der Streit um Pluralität. Auseinandersetzungen mit Hannah Arendt; Suhrkamp Verlag, Februar 2022
  • Uljana Wolf: Etymologischer Gossip. Essays und Reden; kookbooks, Juni 2021

„Es gibt gute Gründe für aktivistische Sachbücher. Die müssen mit einer gewissen Lebendigkeit und auch Überzeugungskraft geschrieben sein“, sagt Jurymitglied Andreas Platthaus. In diesem Jahr gebe es durchaus Beispiele für solche Arten von Sachbüchern und die Frage, die sich in der Bewertung stelle, sei, inwieweit es ein vernünftiges Verhältnis zwischen ganz klarem politischem Anspruch und der Möglichkeit sich als Leserin und Leser ein objektives Bild der vorgebrachten Argumente zu verschaffen gebe. Auch dieser Einschätzung schließen wir uns, ebenso wie jener, dass der erzählerische Faktor nicht zu vernachlässigen sei, an.

Kunst und Hannah gehen immer

Kunst ist immer gut, Kunstgeschichte meist auch, da freut die Nominierung des Pracht-Knüllers Michelangelo von Horst Bredekamp sehr. Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken von Hadija Haruna-Oelker wird seit einiger Zeit freudig erwartet, am 14. März erscheint der Titel endlich. Hannah Arendt geht immer, sich mit ihr – kritisch – auseinanderzusetzen sowieso. In der Hoffnung, dass Juliane Rebentisch hier Neues zu sagen hat, blicken wir freudig auf Der Streit um Pluralität. Etymologischer Gossip klingt schon allein durch Gossip in diesem Zusammenhang fein. Christiane Hoffmann ist auch nominiert, ok.

Erzählerisch und sprachlich vielfältig dürfte es jedenfalls auch bei den in der Kategorie Übersetzung nominierten Titeln (bei den Verlagen sind unsere Beiträge zu diesen verlinkt) zugehen:

  • Irmela Hijiya-Kirschnereit, übersetzte aus dem Japanischen: Dornauszieher. Der fabelhafte Jizō von Sugamo von Hiromi Itō; Matthes & Seitz Berlin, August 2021
  • Stefan Moster, übersetzte aus dem Finnischen Im Saal von Alastalo. Eine Schilderung aus den Schären von Volter Kilpi; mareverlag, Oktober 2021
  • Andreas Tretner, übersetzte aus dem Russischen: Wunderkind Erjan von Hamid Ismailov; Friedenauer Presse, März 2022
  • Helga van Beuningen, übersetzte aus dem Niederländischen: Mein kleines Prachttier von Marieke Lucas Rijneveld; Suhrkamp Verlag, September 2021
  • Anne Weber, übersetzte aus dem Französischen: Nevermore von Cécile Wajsbrot; Wallstein Verlag, Juli 2021

Hier seien Titel nominiert, die einen mit um die Welt nähmen, sagt Insa Wilke und ergänzt: „In bestimmte Teile der Welt. Aber auch auf eine Zeitreise.“ Es gehe nicht nur in andere Zeiten, sondern ebenfalls in verschiedene Milieus. Gerade mit dem Augenmerk auf der Übersetzung sei dies durch die Verknüpfung mit der Frage, wie bestimme Milieus übersetzt werden, besonders spannend. Was in der Tat im Zusammenspiel sehr lebendig und relevant sein kann, spätestens seit Andreas Kosserts großartigem Sachbuch mit literarischen Mitteln, Flucht. Eine Menschheitsgeschichte, das im vergangenen Jahr für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert war, wissen wir, wie viel uns Literatur über Zusammenhänge in verschiedenen Kontexten lehren kann. Da sind wir wieder: Aus der Geschichte lernen… können und wollen.

Im Saal des kleinen Dornentiers

Dabei lässt sich sicherlich aus jeder Geschichte dezidiert Anderes aber auch Universelles lernen. Dass Nevermore von der Buchpreis-2020-Gewinnerin Anne Weber übersetzt wurde, lässt natürlich sehr gespannt auf und in den Titel blicken. Zu Im Saal von Alastalo wird von Verlagsseite durch diesen Satz: „Als Proust Auf der Suche nach der verlorenen Zeit und Joyce Ulysses schrieb, entstand auch in Finnland ein epochales Werk“, gleich mal eine krass aufregende, vielversprechende und herausfordernde Einordnung vorgenommen. 

Mein kleines Prachttier in der Übersetzung von Helga van Beuningen dürfte sicherlich zu den auch in der Breite bekanntesten Titeln gehören und wenn das von Andreas Tretner übersetzte Wunderkind Erjan auch nur halbwegs der Erwartung gerecht wird, die der Text zum Buch weckt, dann ist diesem ähnliches zu wünschen. Dornauszieher. Der fabelhafte Jizō von Sugamo, von Irmela Hijiya-Kirschnereit übersetzt, klingt nach einem energetischen Parforceritt durch Stimmungen, Geschichten und Stilmittel.

Epochale Liste, irgendwie

Eine im Großen und Ganzen wirklich überraschende, vielfältige, herausfordernde und irgendwie inspirierende Auswahl an nominierten Titeln. Natürlich werden wir einige davon besprechen, jene, die wir unabhängig vom Preis der Leipziger Buchmesse ohnehin geplant hatten, sowieso. Manche Titel im Vorfeld, einige im Nachgang. 

Der Nachgang wäre ab dem 17. März 2022 nach 16:00 Uhr. Denn dann wird der Preis der Leipziger Buchmesse in der Glashalle des Leipziger Messegeländes vergeben und das Ganze wird auf der Website der Leipziger Buchmesse live gestreamt. Zuvor können sich die Leserinnen und Leser ihr eigenes Urteil bilden. Das nicht nur durchs Selberlesen, sondern beispielsweise im Literarischen Colloquium Berlin (LCB). Denn dort stellen die 15 Nominierten am 3. März (Belletristik) und 8. März (Übersetzung) ihre Werke vor. Zu hören sind sie anschließend bei Deutschlandfunk Kultur sowie MDR Kultur

Belletristik: 6. März, 22:03 Uhr in der Sendung Literatur, Deutschlandfunk Kultur sowie Dienstag, 15. März, 22 Uhr bei MDR Kultur; Moderation: Katrin Schumacher und Jörg Plath 

Sachbuch/Eassyistik: 12. März, 11:05 Uhr in der Sendung Lesart, Deutschlandfunk Kultur, Moderation: Andrea Gerk und Christian Rabhansl

Übersetzung: 13. März, 22:03 Uhr in der Sendung Literatur, Deutschlandfunk Kultur, Moderation: Jörg Plath  und Maike Albath

Nun denn, satteln wir also auf. Eure queer-reviewer

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