Götter, Glückskekse und Gesichtsverlust

Niemandsland. Land, das keinem Staat zugerechnet wird. Was es früher gab, ist heute Vergangenheit,wenn mensch von wenigen Ausnahmen absieht. Die Antarktis etwa ist ein internationales Territorium, das von niemandem beansprucht werden darf. Bei einem anderen Gebiet ist die Lage etwas anders, nämlich in Taiwan, das heute seinen Peace Memorial Day begeht.

Taiwan war nach dem Zweiten Weltkrieg Rückzugsort für die antikommunistischen Kuomintang, die vor den Truppen Maos auf die Insel flohen. Rechtlich anerkannt wird Taiwan heute nur noch von wenigen Staaten, denn Festlandchina mit seiner Ein-China-Politik betrachtet Taiwan als Teil seines Territoriums. Taiwan selbst schreckt davor zurück, einen eigenen Staat auszurufen, denn das würde China nicht dulden. So existiert ein De-Facto-Staat ohne internationale Anerkennung mitten im Chinesischen Meer.

Dem Frust entkommen

In rund 75 Jahren Teilung hat sich hier eine besondere Art der chinesischen Kultur entwickelt. Und diese ist Gegenstand von Deike Lautenschlägers Fettnäpfchenführer Taiwan – Wo Götter kuppeln und Ärzte gebrochene Herzen heilen (Ein unterhaltsamer Reiseknigge), der hier ansetzt und uns Land, Leben und Leute der früher als Formosa bekannten Insel näherbringt. Das Buch ist wie alle anderen Bände der Reihe im Conbook Verlag erschienen.

Hauptfigur der knapp 40 Kapitel umfassenden Geschichte ist Sophie, deren Freund Jan spontan nicht von einer Reise nach Südamerika zurückkehrt. Frustriert beschließt sie, dem kalten deutschen Wetter zu entfliehen und etwas Neues zu versuchen. Südamerika ist raus, da hegt sie nun einen dezenten Groll. Also möglichst in die andere Richtung. Nach China. Nur merkt sie erst zu spät, dass sie nicht nach Festlandchina, sondern nach Taiwan geht. Gleich das erste Fettnäpfchen.

Wir könnten es auch Kultur nennen…

Sie kommt langsam dort an, lernt die Sprache, findet einen Job und einige Freundinnen. Und doch tappt sie immer wieder – für uns vermutlich charmant, für manche Taiwanerinnen und Taiwaner erschreckendeweise – in so manches Fettnäpfchen. Die kulturelle Nähe zu Sophies sehr deutschem Verhalten und Einstellungen helfen uns aber, uns mit ihr und ihren Handlungen zu identifizieren. Ja, sie handelt halt typisch deutsch.

Lautenschläger lässt ihre Protagonistin immer wieder in pikante Situationen kommen.Bei der Familie einer Freundin zum Chineischen Neujahrsfest zum Beispiel. Oder bei einem Arzt, einer Wahrsagerin, in einem Tempel oder schlicht und einfach bei der Wahl und Ausstattung der Behausung. Was manche für Humbug halten mögen, ist für die Menschen in Taiwan blanker Ernst. Oder wir könnten es auch Kultur nennen. 

Diese nämlich wird uns durch Sophies Fehltritte – wie in den meisten anderen Büchern der Fettnäpfchenführer-Reihe – immer wieder vor Augen geführt und Stück für Stück erläutert. Bei uns in Europa fast unbeachtet fand am 10. Februar erst Tet statt, das Chinesische Neujahrsfest. Nicht nur in China und Taiwan, sondern im Prinzip in ganz (Süd-)Ostasien ist Tet ein Fest, das das halbe Land lahmlegt (und die aktuelle Reise des Autoren dieser Zeilen in Vietnam gehörig durcheinandergewirbelt hat). Wie Lautenschläger, die seit einigen Jahren in Taiwan lebt, dies und vieles andere ihren Leserinnen und Lesern nahebringt, hat durchaus seinen Charme.

Permanente Konfrontation

Etwas nervig hingegen ist das vor allem zu Beginn sehr regelmäßige Auftauchen der gescheiterten Beziehung mit Jan. Es stimmt, das Ende einer Beziehung ist immer belastend und vermutlich soll diese Erzählung der Figur Sophie mehr Charakter geben, aber primär hat sie unseren Rezensenten doch ein wenig genervt. Es ist gut, dass dies nach etwa einem Drittel deutlich weniger wird.

Etwas erstaunlich ist außerdem, dass die latent stets vorhandene Konfrontation mit der Volksrepublik China auch bei Lautenschläger eher als Randnotiz fungiert. Ja, natürlich gibt es ein oder zwei Kapitel dazu, aber da es sich dabei um eine permanente Bedrohung und so etwas wie eine Art Gründungsmythos Taiwans handelt, hätte dieser Punkt vielleicht doch etwas mehr Aufmerksamkeit verdient, selbst wenn klar ist, dass die Fettnäpfchenführer in ihrer Gesamtheit nicht zu übermäßiger Politisierung tendieren.

Kultur geht hier vor Spas

Der Autor dieser Zeilen befindet sich während deren Veröffentlichung am Peace Memorial Day in Taiwan, selbst wenn diese Zeilen etwa eine Woche zuvor in einem ruhigen vietanmesischen Dorf mit schlechter Internetanbindung verfasst wurden. Zur Vorbereitung der Reise nach Taiwan und überhaupt nach Südostasien hat Deike Lautenschlägers Fettnäpfchenführer Taiwan jedoch bereits jetzt gute Dienste geleistet – Stichwort: Reisen an Tet vermeiden. 

Er ist allen zu empfehlen, die sich nicht nur über mögliche Touristenattraktionen, sondern darüber hinaus mit der Gesellschaft und den Besonderheiten dieser Insel auseinandersetzen wollen. Denn wer sich über konkrete Hotels, zu besuchende Tempel, Spas oder Restaurants informieren will, der ist hier (den taiwanischen und allen anderen Göttern sei dank) an der falschen Stelle. Hier gibt es Kultur, Eigenheiten und Landeskunde und das bereitet größte Freude beim Wegsnacken.

HMS

PS: Ein paar Tage nach Ankunft und ersten Erfahrungen in Taiwan zeigt sich, dass Deike Lautenschläger mit dem Fettnäpfchenführer Taiwan ziemlich genau die Lebensrealität abbildet. Egal ob es Holzstäbchen sind, die in Tempeln auf den Boden geworfen werden, die staatliche Kassenbon-Lotterie, das zurückhaltende Verlegenheitskichern und -lächeln der Taiwanerinnen und Taiwaner oder das Betreten eines Tempels durch das korrekte Portal: Viele Punkte aus dem Buch sind mir auf meiner Reise bereits in den ersten Tagen begegnet – und ich kann gegenüber anderen deutschen Reisenden mit meiner Landeskunde glänzen.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Deike Lautenschläger: Fettnäpfchenführer Taiwan: Ein unterhaltsamer Kulturführer für das vielfältige Land in Ostasien; August 2019; 352 Seiten; Flexcover, gebunden; ISBN 978-3-95889-172-2; Conbbok Verlag; 12,95 €

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