Stolz und Urlaub

Als ich 2014 einige Zeit in Südafrika verbrachte, lief es gerade richtig gut für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Männer. Deutschland schoss sich bis zum Titel und aus mir nur dezent erklärlichen Gründen schlug mir eine Welle der Sympathie entgegen („You must be so happy that you’re German.“). Angesichts der Debakel in Russland und Katar scheint das nun ein wenig aus der Zeit gefallen. Diese Offenheit mir gegenüber tat dennoch gut, das will ich nicht verhehlen.

Denn generell sind wir Deutschen im Ausland nicht die größten Sympathieträger. Poolliegen morgens mit dem Handtuch zu reservieren und mit Socken in den Sandalen zum Frühstück auftauchen sind nur die bekanntesten von vielen treffenden Klischees, die wir und andere von Deutschen im Urlaub haben. Einige weitere hat der Autor und Poetry Slammer Christian Ritter in seinem schmalen Büchlein Hoffentlich regnet es zu Hause. Wenn Deutsche Urlaub machen versammelt, das im Sommer 2022 im Satyr Verlag erschienen ist.

Urlaub nach Deutschlandtakt

In 26 kurzen Anekdoten zwischen zwei und sieben Seiten erzählt der Wahlberliner von seinen Erlebnissen mit Deutschen im Urlaub. Klischees, die wir erfüllen, Erwartungen, die Menschen aus anderen Nationen an uns hegen, Fremdscham und eine Vielzahl von kafkaesken Momenten inklusive.

Die durchgetakteten Anbeterinnen und Anbeter der Sonne, die keine Sekunde Bräunungslicht verpassen dürfen und die Wendeanweisungen zur Erreichung einer gleichmäßigen Naturbräune mit dem Taktstock einhalten, finden wir bei Ritter ebenso wieder wie die Klischee-Homos, die wie selbstverständlich alle ESC-Songs mitdudeln können, ja müssen. Unfreundliche Strandkorbbetreiber ziehen die armen Erholungssuchenden aus der Stadt grausam ab. Darüber hinaus wird im Bauch eines Kreuzfahrtschiffs bei Ritter im Akkord sauniert und in Griechenland sind wir sowieso so beliebt wie die frühere Verteidigungsministerin Christine Lambrecht es nach wie vor in der Ukraine sein dürfte.

Gegrillte Teutonen und speiübles Saunieren

Ja, wir Deutschen sind schon ein ganz eigenes Völkchen, auch und gerade wenn es um unseren Urlaub geht. Natürlich muss in der schönsten Zeit des Jahres alles perfekt sein. Ist ja auch nachvollziehbar, schließlich arbeiten wir tagtäglich, um sich dann endlich ein wenig Urlaubsstress vom entspannten Arbeitsalltag zu gönnen. Umso naheliegender ist es eigentlich, dass sich jemand wie Christian Ritter hinsetzt und seine Beobachtungen in kurzen Geschichten zu Papier bringt.

Einige seiner Geschichten hängen dabei lose zusammen. Die sonnenhungrige Familie im Griechenlandurlaub beispielsweise bekommt nicht nur gut Sonne ab, sondern auch gleich mehrere Kapitel. Und auch Ritters Erlebnisse in New York, auf Rügen oder besagter Kreuzfahrt, die er als Comedian begleiten durfte, äh musste, dient in mehreren aufeinanderfolgenden Kapiteln quasi als Rahmenhandlung. In solchen Phasen lohnt es sich, das Buch in Reihenfolge zu lesen, denn ansonsten mag das Verständnis für den einen oder anderen Bezug fehlen und der Witz bleibt irgendwo beim Langen Roland auf der Strecke.

Wie das häufig beim Poetry Slam oder Impro-Comedy ist, es gibt hier Gags, die zünden, und andere, die das weniger tun. Das hängt wohl auch vom individuellen Humor ab. Im Wesentlichen aber scheint Ritter seine Beobachtungsgabe gut einzusetzen, beschreibt die Situationen, in denen er sich immer wieder findet, mit lakonischem Witz und Humor und zeichnet ein recht genaues Bild davon, wie wir Deutsche unsere schönsten Wochen des Jahres zu verbringen pflegen.

Wenn Homos auf Reisen gehen…

Sehr löblich ist dabei, dass er recht früh recht offen mit seiner Homosexualität um die Ecke kommt und auch immer wieder Situationen erwähnt, die ihm gerade als schwulem Mann begegnen. In der New Yorker Christopher Street, beim Skiurlaub mit den italienischen Schwiegereltern (die zu jenem Zeitpunkt erst seit wenigen Monaten von der Homosexualität ihres Sohnes wussten) oder die bereits erwähnte Szene mit dem ESC-Karaoke: Ritter spielt hier mit so manchen Klischees über Homosexuelle, ohne dabei aber einerseits zu aufdringlich oder andererseits belehrend zu werden.

Dabei flicht er immer auch so manche persönliche Information ein, beispielsweise zu seiner Lieblingsmetzgerei in Berlin (die zu empfehlen ist), den so gar nicht anderen Beziehungsalltag in einer homosexuellen Partnerschaft oder das Leben als Stand-up Comedian. Das ist kurzweilig, humorvoll und unterhaltsam.

So deutsch – nicht nur im Urlaub

Eine Kleinigkeit sei aber doch kritisch angemerkt: Die Geschichten über Ritters Beobachtungen von Deutschen im Urlaub nehmen am Ende doch nur etwa zwei Drittel des Buches ein. Das andere Drittel ergibt sich weniger aus direkten Beobachtungen anderer, sondern vielmehr aus Anekdoten aus Ritters Alltag. Eben jene beim Metzger in Friedrichshain, an der Ampel oder bei einer Geburtstagsfeier in (vermutlich) Dunkeldeutschland.

Das ist meist dennoch humorvoll und mehr oder weniger witzig, aber das sind weniger Geschichten über die Deutschen im Urlaub, am Buffet, wie sie Rechnungen im Restaurant auseinanderdividieren. Oder auch nicht von den Teutonen, die vor Menschen aus anderen Kulturkreisen über die Sinnhaftigkeit eines Fischer-Dübels dozieren oder sich über die Menschenrechtsverhältnisse in Katar echauffieren, zu Hause aber doch irgendwie „gegen die Homolobby“ sind oder sich einfach nicht mehr dafür interessieren.

Im Wesentlichen lässt sich aber sagen, dass die Geschichten, die Ritter zusammengestellt hat, den Homo germanicus urlaubii sehr gut beschreiben dürften. Wer sich und seine Nation deutscher Abstammung selbst nicht allzu ernst nimmt, der oder die könnte sich durch Hoffentlich regnet es zu Hause und den hier versammelten Humor gut unterhalten fühlen. Und gerade, dass wir hier die Alltäglichkeit und „Normalität“ von Homosexualität eher unerwartet, aber stetig und selbstbewusst vorgesetzt bekommen, sind ein großes Plus dieser Zusammenstellung von Anekdoten.

HMS

PS: Nicht weil es scheiße wäre, aber das Buch eignet sich hervorragend als Klolektüre.

Eine Leseprobe findet ihr hier

Christian Ritter: Hoffentlich regnet es zu Hause. Wenn Deutsche Urlaub machen; Mai 2022; Taschenbuch; 152 Seiten; ISBN 978-3-9471-0684-4; Satyr Verlag; 15,00 €

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