Rasant? Aber Hallo!

Ein Musical, das nur in einem extra dafür gebauten Haus aufgeführt werden kann? Und das schon seit über 35 Jahren? Das von sich behauptet, das rasanteste Musical der Welt zu sein? Auf die Gefahr mich zu wiederholen: Stimmt, stimmt und stimmt auffallend.

Schon beim Betreten des Theaters fällt auf, dass dieses Haus speziell für Starlight Express gebaut wurde. Im Foyer entdecken wir Deckenmalerei, die einen leichten Kathedralen-Effekt hat, rasante Szenen aus dem Musical. Die Zugänge zu den Sitzplätzen sind hier nach Gleisen aufgeteilt. In der Halle erwartet uns eine frontale Spielfläche in mehreren Etagen, von der verschiedene Fahrspuren in und durch das Publikum führen. Auf einem aus der Decke heruntergelassenen Lichtelement ziehen Modellzüge ihre Bahnen. Alle Sitze im Publikum sind den Bahnen zugewandt, im Parkett gibt es sogar zwei Bereiche mit Drehsesseln.

Direkt zu Vorstellungsbeginn erklingen die seit über 35 Jahren bekannten Töne der Ouvertüre, nur um irgendwann jäh unterbrochen zu werden. Und zwar von dem Steppke, der das hier alles veranstaltet. Denn die Handlung findet eigentlich im Kinderzimmer statt. Nach dem „Gute Nacht“ der Mutter startet in Steppkes Fantasie das Rennen der internationalen Züge. Und wir mittendrin. Natürlich stellt sich die große Frage, wer wird gewinnen? Diesel, Elektrizität oder Dampf.

Für jedes Rennen muss sich eine Lok mit einem Wagen zusammentun um an den Start zu gehen. Die einzelnen Züge werden vorgestellt und plötzlich taucht unter den Waggons ein Neuerwerb auf. Pearl, der erste Klasse Wagen muss sich bald entscheiden. Alles buhlt um sie, den neuen frischen Wind. Da macht sich Greaseball, die rocknrollende Diesellok direkt mal ran. Auch Elektra möchte dieses Juwel ziehen.

Irgendwie abgeschlagen dabei: Rusty, die junge Dampflok, der sich selbst weder bei dem Rennen noch bei Pearl wirkliche Chancen ausrechnet. Erst versucht Mama, die alte Dampflok, ihm den Mut zu geben, doch noch anzutreten, er traut sich aber nicht. So geht Mama an den Start, die das erste Rennen zwar schafft, aber nach der Qualifikation keine weitere Runde durchhalten würde. In dieser Situation ermutigt der Starlight Express Rusty, der dann im Finalrennen den Platz von Mama einnimmt.

Dort geschehen, wie in den ersten Rennen auch, durchaus unfaire Dinge, die aber schlussendlich zum Guten führen. Rusty rettet Pearl und glaubt nun auch an sich selbst, denn er hat es gefunden, das Licht ganz am Ende des Tunnelsö.

Was sich wie ein altes Kindermusical anhören könnte, wird schon nach den ersten Tönen rasant unterbrochen. Bitte nicht diesen verstaubten Kitsch. Und dann gehts AB!

Rasante Musiknummern geben sich die Klinke mal mit ruhigen oder aufpeitschenden Nummern in die Hand. Waren die Darsteller gerade noch hinten links, ziehen sie schon wieder vorne rechts oder oben oder auch unten ihre Kurven. Alles auf Rollen lässt immer wieder einen deutlichen Hauch von Fahrtwind über das Publikum wehen. Da wehen Haare im Wind und qualmen die Rollen.

Auch wenn in der letzten Überarbeitung der Kitsch nach hinten gerückt ist, keine Bange: Große Musicalnummern gibt es hier immer noch. Eines der absoluten Highlights dieses Abends ist tatsächlich der an diesem Abend als Elektra auftretende Semme Prins. Mit einer fließenden Eleganz und Stärke gibt er Elektra Raum. Mensch könnte auch sagen, er stellt Elektra seinen Körper zur Verfügung, ist Elektra. Mit der Unterstützung einer fulminanten Lasershow erobert er seinen Platz im Geschehen, lebt die Bosheit und auch die weiche Seite seines Charakters mit Genuss aus.

Dampflok Rusty und Erste Klasse Wagen Pearl // © Starlight Express/Detlef Overmann

Auch die anderen Darsteller des Abends stehen dem in Nichts nach. Sie leben ihre Rollen, singen sich die Seele aus dem Leib und flitzen über die Bahnen.

Schon seit 1988 hat es Tradition, dass hier selten deutschsprachige Muttersprachler auf den Rollen stehen, was sicher im Lauf der Jahre die ein oder andere Stilblüte hervorgebracht hat. Am heutigen Abend sind alle Texte aber gut zu verstehen und es macht wirklich Spaß das Geschehen zu verfolgen. Je länger die Vorstellung geht, desto mehr Zucken die Füße. Und ja es hat schon seinen Sinn und Zweck, dass nach dem großen Finale ein Feuerwerk an Zugaben einsetzt, denn jetzt dürfen endlich alle tanzen. Und das tut das ganze Haus. Kaum einen hält es auf den Stühlen, großer Jubel setzt ein, das Ensemble legt tatsächlich noch eine Schippe drauf und wir alle feiern ihn, den Starlight Express.

Auf dem Weg vom Theater zum Auto hält die Begeisterung über diese Wahnsinnsshow an. Und als das Denken wieder einsetzt fällt auf: Wir waren heute Abend Teil von etwas ganz ganz großem.

Danke dafür!

Frank Hebenstreit

Greaseball // © STARLIGHT EXPRESS

Dies ist der dritte von drei Texten zum 35. Geburtstag von Richard Stilgoes Starlight Express. Den ersten Part mit diversen Hintergrundinformationen und der Entstehungsgeschichte des Musicals im Ruhrpott findet ihr hier, den zweiten Teil mit Interviews gibt es hier.

Infos, Termine und Tickets zu Starlight Express in Bochum findet ihr hier.

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun. Oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert