…zugegeben: Diese Überschrift mag ein wenig despektierlich klingen. Ist aber nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern kommt aus einem älteren Bibi Blocksberg-Hörspiel. Ich bin also quasi mit Schlampen aufgewachsen, sehe mein Verhältnis zu Schlampen aber ganz entspannt. Je nach Laune bin auch ich gern mal eine – #isso. Dass es aber auch ein beleidigendes Wort ist, macht der heutige Pre-Halloween–Polizeiruf-110 deutlich, geht hier doch ein Killer um, der Frauen brutal ermordet und auf einem Scheiterhaufen verbrennt.
Von Hexen und Männern
Hexen brennen ist eine durchaus komplexe Nummer, die nach einem Aufarbeitungs-Polizeiruf um Doreen Brasch (Claudia Michelsen) vor dem Hintergrund klassischer Gruselstories eine Parabel über eine gespaltene Gesellschaft und den Versuch, einen (sexistischen) Status quo zu erhalten oder eben zu durchbrechen, erzählt. Ein Riss geht durch das Dorf, in das Brasch hier am Brocken gerät; ein Riss zwischen Männern und Frauen, zwischen Hexenjägern und Hexen.
Ermordet wurde Tanja Edler, die Tochter der Hotel- und Biergartenbetreiberin Stefanie Edler (famos: Gabriela Maria Schmeide), die den Betrieb in Bälde übernehmen sollte. So gerät auch der ungeliebte Sohn Reiko (Pit Bukowski) unter Verdacht, der ein gespaltenes Verhältnis zur Familie hat. Tanja gehörte einem Samhain-Coven an, das insbesondere die Männer des Dorfes kritisch und ängstlich beäugten, allen voran der Arzt Dr. Petersen (Michael Schweighöfer), der in einer köstlichen Szene mit Brasch deutlich macht, was er so von selbstbewussten Frauen hält. Dass schließlich Kriminalrat Lemp (Felix Vörtler) in den Ort kommt, mag da nur bedingt hilfreich sein.
Ein harter Brocken
Der von der preisgekrönten Regisseurin Ute Wieland inszenierte und von Wolfgang Stauch geschriebene Polizeiruf 110: Hexen brennen bietet reichlich stimmungsvolle Bilder, ist bis in die kleinste Nebenrolle glänzend besetzt und lässt uns über den Großteil der Laufzeit rätseln, was hier eigentlich wirklich vor sich geht. Welche Rolle spielt der örtliche Okkult-Händler Paul Kopp (Helgi Schmid) oder sein dementer (?) Vater Georg (Hermann Beyer)? Was wissen die Pastorin (Kathleen Morgeneyer) und ihre übernatürlich begabten Töchter?
Der Film ist wohlig-gruseliger Reigen, schreckt dabei nicht vor Schrecklichem zurück und erzählt wie erwähnt eine zeitlos relevante Geschichte von der Angst vor Frauen und dem uneingelösten Wunsch nach Gleichberechtigung und Anerkennung. Ebenso wird von Schmerz erzählt. Jenem eines Verlustes, jenem das falsche Leben zu leben, jenem die Vergangenheit nicht bewältigen zu können. Dass Brasch hier auf die ihr eigene Art mit einer Mischung aus echter, menschlicher Neugierde, dem richtigen Gespür für Zwischentöne und auf Erfahrung beruhender Empathie genau in ihrem Element ist, wird mehr als einmal deutlich.
Relevante Spannung
Es ist schon beinahe ein Running-Gag, dass Lemp sich wie immer auf sie verlässt, sie zwischendurch ermahnt, anders zu ermitteln, nur um anschließend wieder ihren Instinkt zu loben – genau das gleiche hatten wir in Black Box und überhaupt jedem ihrer Solo-Fälle (die uns hoffentlich noch lange erhalten bleiben). Da wir hier viel mit Sexismus zu tun haben, passt das aber natürlich wie Arsch auf Eimer.
Welcher Arsch hier warum tötet oder töten lässt, sei nicht verraten. Nur so viel: Ja, natürlich sind die Männer schuld. Nach zuletzt immer durchwachseneren Tatorten freut es jedenfalls sehr, dass die Polizeirufe seit geraumer Zeit eine sichere Bank sind und aufreibende, relevante und mutige Geschichten zu erzählen verstehen und weder am eigenen Anspruch noch an der Spannung scheitern.
JW
Polizeiruf 110: Hexen brennen läuft am Sonntag 30. Oktober 2022 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Polizeiruf 110: Hexen brennen; Deutschland, 2022; Regie: Ute Wieland; Drehbuch: Wolfgang Stauch; Kamera: Eeva Fleig; Darsteller*innen: Claudia Michelsen, Felix Vörtler, Henning Peker, Gabriela Maria Schmeide. Pit Bukowski, Yvonne Johna, Hermann Beyer, Helgi Schmid, Birgit Berthold, Michael Schweighöfer, Kathleen Morgeneyer; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der filmpool fiction GmbH im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks für Das Erste.
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