In einem Vorort von Buenos Aires hat Juan (Alfonso Barón) ein Zimmer in seiner Wohnung zu vermieten. Sein Arbeitskollege, der blonde Gabriel (Gastón Re), zieht dort ein. Beide sind offiziell hetero, Gabriel hat eine Tochter und Juan ist immer wieder mit irgendwelchen weiblichen Eroberungen anzutreffen. Dennoch gibt es zwischen den beiden eine nicht zu leugnende körperliche Chemie, aus der sich schließlich ein zwangloses Arrangement ergibt – eine Freundschaft mit Extras. Doch es entwickeln sich Gefühle und damit beginnen die Probleme…
So beginnt Der Blonde und wir als passive Zuschauer.innen wissen im Grunde überhaupt nicht, was uns erwartet, worauf wir uns da wohl gleich einlassen werden. Klar zeichnet der Trailer ein wenig die Linien vor, gibt uns einen Eindruck davon, dass Blicke und Gesten mehr zur Handlung beitragen dürften als das gesprochene Wort, doch ein genaueres Bild über den Film und die Richtung die er einschlagen wird, haben wir nicht.
Wir als Voyuer.innen
Auch der Film lässt das lange im Unklaren. Sicherlich wird die Anziehung zwischen Juan und Gabriel recht schnell offenbar, wenn sie auch anfänglich deutlicher über Gabriel transportiert wird, der still, aber bewusst, Juan beobachtet, ja mustert. Wie auch wir ihn mustern, wir sind im Verlauf des Film oft genug Voyeur.innen. Juan hingegen, so jedenfalls kann man meinen, bekommt das nicht mit oder ignoriert es. Andererseits gibt es immer wieder mal eine vermeintlich zufällige Berührung, Juan kokettiert mit seinem Körper, zuweilen wirkt es als spiele er mit Gabriels augenscheinlicher Lust nach ihm.
Als es schließlich zum ersten Sex zwischen den beiden kommt, hat man nicht den Eindruck, dass es für auch nur einen der zwei der erste Sex mit einem anderen Mann wäre. Ebensowenig entsteht der Eindruck, dass sie ihre gemeinsame und gegenseitige Lust aufeinander in irgendeiner Weise irritieren würde. Anschließend jedoch verhält Juan sich wie ein Arschloch. Also doch eine ungewollte Grenzüberschreitung? Auch darüber werden wir eine zeitlang im Unklaren gelassen. Als sich eine Art Affäre entspinnt, verwischen dann allerdings die Grenzen von lockerem Spaß und unterdrückter Zuneigung zusehends, ebenso wie sich das Gewicht der Anziehung situativ verlagert.
Es ist äußerst packend, wie diese Verschiebungen von, benennen wir es als das, was es ist, Macht letztlich primär durch Verhaltensweisen und nicht durch detailliert analytische Dialoge porträtiert werden. Die ausgezeichnete Kamera von Nahuel Berger ist immer an den Protagonisten, immer am, bzw. im Geschehen. So strahlt der Film eine unglaubliche Körperlichkeit aus, nicht nur dann wenn Gabriel und Juan nackt oder beim Vögeln zu sehen sind. Das bedeutet für die Zuschauer.innen, dass sie Gefühlsempfänger.innen sind, was ein durchaus intensives Erlebnis ist. Nicht nur dank der Kamera, die einfach nicht von der Nähe ablässt, sondern auch der authentischen Chemie zwischen Gastón Re und Alfonso Barón.
Mit-Fühlen
Die passiv-aggressive Wut, die Gabriel an einer Stelle Juan gegenüber empfindet, dessen giftiger Kommentar dazu, aber auch die Erkenntnis, dass er über sich selbst nicht ganz begeistert ist, all das wird von uns mitgefühlt. Ebenso fühlen wir mit, wie die beiden immer vertrauter miteinander werden, sie füreinander im besten Sinne selbstverständlicher werden und sich kleine Auszeiten für gemeinsame Momente suchen. Somit ist der Film auch für uns Zuschauende ein Auf-und-Ab an Emotionen. Glücklicherweise geht der Film, bei aller vorhandenen Dramatik, nie so weit uns – oder seine Protagonisten – in ein allzu tiefes, dunkles Loch stürzen zu lassen. Im Gegenteil: Helle und heitere Momente wechseln sich mit Momenten von unsicherer Anspannung und offenbarem Unwohlsein ab. Auch das ist lobenswert und ist der Sicherheit des Drehbuchs von Marco Berger im Umgang mit seinen wechselhaften Stimmungsphasen zu verdanken.
Über die Arbeitskollegen und den Bekanntenkreis der beiden werden dann auch die Problemfelder einer übertriebenen Machokultur, toxischer Männlichkeit, Homophobie und Vorurteile, die einem sehr oberflächlich-männlich geprägten Gesellschaftsbild entspringen („Schwache Väter ziehen queere Kinder heran.“), angerissen. Jedoch nicht im Detail ausdiskutiert oder in den Fokus gerückt, eher dient dies dazu, uns das Umfeld zu vermitteln und genauso liefert es die Begründung für Juans Verhalten, der sich an einer Erwartungshaltung vom „normalen Leben“ orientiert, die ihm eben dieses Umfeld vorgibt. Ein wenig Flucht vor dem eigenen Selbst spielt da sicherlich ebenso mit rein, aber das mag ein.e Jede.r für sich interpretieren.
Ein wenig ärgerlich ist es, wie am Ende der innere Konflikt mit einem recht simplen erzählerischen Kniff, der sich schon früher im Film allzu deutlich abzeichnet, auf die Spitze getrieben, nach außen getragen und dann auch prompt aufgelöst wird. Das Leben spielt zwar manchmal so, doch hier wirkt es ein wenig forciert und deplatziert. So als wollte man die Geschichte nach knapp zwei Stunden dann auch einmal beendet sehen, was gerade insofern etwas verstimmt, als dass man sich zu Beginn der zweiten Hälfte gut zehn Minuten hätte sparen können. Das lässt sich aber verschmerzen und sollte niemanden davon abhalten, sich den Film anzusehen.
Regisseur und Drehbuchautor Marco Berger (Teddy Award für Ausente, 2011) befasst sich in seinem sechsten Langfilm mit Themen, die ihn inhaltlich schon lange begleiten: Männlichkeit, die Wahrnehmung von und Erwartung an Männlichkeit, Homosexualität, bzw. homosexueller Kontext. Daraus entsteht hier ein wortwörtlich gefühlvolles, stilles, romantisches Drama um Anziehung und Angst, Leidenschaft und Identitätskonflikte.
Der Blonde (Un rubio); Argentinien 2019; Regie & Drehbuch: Marco Berger; Musik: Pedro Irusta; Kamera: Nahuel Berger; Darsteller: Alfonso Barón, Gastón Re, Malena Irusta, Ailin Salas, Charly Velasco; Laufzeit: ca. 110 Minuten; FSK: 16; Edition Salzgeber; spanische Originalfassung mit dt. Untertiteln, erhältlich auf DVD (ca. 15 €) und als VoD (Ausleihe & Kauf)
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Schaut hier den Trailer:
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