Eine Woche queeres Kino deluxe

Nach der Pride Saison ist vor der Pride Saison ist in der Pride Saison. So oder so ähnlich würden wir das sagen, so sehen wir es jedenfalls. Am Ende kommt’s auch drauf an, wie wir leben – und welche Angebote und Möglichkeiten uns umgeben. Eine ganz wunderbare Option, das nicht-heteronormative Leben zu erleben, ist schon seit jeher der Film, das Kino. 

Umso wunderbarer, dass auch in diesem Jahr wieder das Queerfilmfestival von Donnerstag, 8. September 2022, bis Mittwoch, 14. September 2022, am Start ist und dies gleich in 13 Städten: Berlin, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Fürstenwalde, Halle (Saale), Köln, Leipzig, Magdeburg, München, Nürnberg, Stuttgart und Wien.

Famoser Auftakt und besonderer Fortgang

Plakat Peter von Kant

Der Auftakt dürfte dann auch direkt famos zu nennen sein: Am 8. September um 20:30 Uhr geht es im Delphi Filmpalast mit der Verneigung François Ozons vor Rainer Werner Fassbinder mit Peter von Kant los, der auch die diesjährige Berlinale eröffnete und am 22. September in den deutschen Kinos anläuft. 

Damit ist dieser Film auch einer der wenigen, der nicht als deutsche Erstaufführung gezeigt wird. Manchen mag auch Girls Girls Girls bekannt sein: Der Film um drei Freundinnen mit ganz unterschiedlichen Problemen in der Liebe und dem Leben der finnischen Regisseurin Alli Haapasalo lief vor kurzem unter dem Titel Girl Picture bei RTL Passion und war für eine zeitlang bei RTL+ abrufbar. Nun wird der Film an drei Tagen in 16 Kinos in allen 13 teilnehmenden Städten zu sehen sein.

Aus Girls Girls Girls // Foto: © Ilkka Saastamoinen/Salzgeber

Tanzen, schwimmen, pflanzen

Girls Girls Girls – oder finnisch Tytöt Tytöt Tytöt – ist übrigens in der Vorauswahl zum Europäischen Filmpreis. So auch die portugiesische queere Musical-Fantasie Irrlicht von João Pedro Rodrigues, die quasi gerade frisch aus Cannes zu uns auf das QFF geschippert kommt, bevor der Film regulär am 8. Dezember in den Kinos starten soll.

Heiß dürfte es auch in Adam Kalderons Der Schwimmer zugehen, in dem es um den Kampf um das letzte Olympiaticket des israelischen Schwimmteams geht und der dabei so freizügig wie hintergründig der Frage nachgeht, was im Leben mehr zählt: Liebe oder Erfolg. Im September übrigens auch in der Queerfilmnacht

Aus Der Schwimmer // Foto: © Ingenue Productions 2021/Salzgeber

Mit Concerned Citizen gibt es direkt noch einen zweiten israelischen Beitrag; die sozialkritische, auf der Berlinale gefeierte Satire könnte jedoch kaum anders klingen als Der Schwimmer: „Ben hält sich für einen liberalen schwulen Mann. Er hat einen gut bezahlten Job und wohnt mit seinem Partner Raz in einem schicken Apartment in einem migrantisch geprägten Stadtteil Tel Avivs. Zum Glück fehlt dem Paar nur noch ein Kind. Um ihre Wohngegend zu verschönern, pflanzt Ben einen Baum auf der anderen Straßenseite. Doch seine gut gemeinte Tat löst eine Kette von Ereignissen aus, an deren Ende ein Geflüchteter aus Eritrea brutal von Polizisten zusammengeschlagen wird. Bens Bild von sich selbst, seiner Beziehung, ja der ganzen Gesellschaft gerät aus den Fugen.“

Queeres Tausendundeine Nacht und ein heimliches Leben

Sehr interessant und definitiv speziell scheint überdies Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?, den das Queerfilmfestival im Programm so beschreibt:Auf Basis seines eigenen Liebestagesbuchs erschafft Mohammad Shawky Hassan […] eine metareflexive queere Variante von ‚Tausendundeine Nacht‘: ein nicht-heteronormatives Musical, das arabische Volkssagen mit ägyptischer Popmusik kombiniert und Lieder und Gedichte multimedial zu neuer, leuchtender Entfaltung bringt.“ 

Aus Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? // Foto: © Salzgeber

Danach mal eine kurze Spielfilmpause und unser Blick geht zu den Dokumentationen. Dabei wollen wir hier nicht von einem Highlight sprechen, sondern auf die Unterschiedlichkeit und Prägnanz aller Dokumentarfilme hinweisen.

Angefangen bei Anima – Die Kleider meines Vaters der gebürtigen Oberbayerin Uli Decker, die nach dem Tode ihres Vaters von ihrer Mutter eine „geheime Kiste“ ausgehändigt bekommt, die hochhackige Schuhe, künstliche Fingernägel, Schminke und eine Echthaarperücke beinhaltet und ihren Blick auf den Vater, ihre Familie und die Gesellschaft, in der sie aufwuchs, verändert. Anima startet am 20. Oktober auch bundesweit in den Kinos; im Rahmen des Queerfilmfestivals ist Decker während mehrerer Vorführungen vor Ort.

Die Geschichte von Film, Nacktheit und Menschlichkeit

Sehr aufregend dürfte für nicht wenige die erstmalig in Deutschland zu sehenden restaurierten Fassungen von L.A. Plays Itself (1972) und The Sex Garage (1972) des US-amerikanischen Pornodarstellers und Regisseurs Fred Halsted (1941-1989) sein, die als L.A. Plays Itself – The Fred Halsted Collection vom 10. bis zum 12. September das Spätprogramm dominieren.

Plakat Nelly & Nadine

Ganz anders in die Geschichte taucht Vorurteil und Stolz der Regisseurin Eva Beling ein, die uns mit durch die queere Filmgeschichte Schwedens nimmt und hierfür in Archiven nach nicht-heteronormativen Geschichten, Figuren und Momenten (wir empfehlen übrigens dringend Are We Lost Forever) gesucht hat. Natürlich kommt sie dabei auch nicht an den Filmen des Meisterregisseurs Ingmar Bergman vorbei, finden sich in diesen doch vor allem Beispiele von unterdrückter lesbischer und schwuler Sexualität.

Ebenso historisch ist Nelly & Nadine – die Dokumentation von Magnus Gertten erzählt eine Geschichte, die in Zeiten des schlimmsten Menschheitsverbrechens doch noch Liebe kennt: Die belgische Opernsängerin Nelly Mousset-Vos und die chinesische Widerstandskämpferin Nadine Hwang begegnen sich Heiligabend 1944 im KZ Ravensbrück, wo beide Gefangene sind. Trotz zeitweiliger Trennung kurz vor Kriegsende finden sie wieder zueinander und leben ihre Liebe. Der Film wurde bei der Berlinale mit dem Teddy Award ausgezeichnet und startet am 24. November 2022 regulär in unseren Kinos.

Age, Coming-of und etwas -out

Plakat Rex Gildo – Der letzte Tanz

Auch bei den Spielfilmen wird es nochmals historisch: Rosa von Praunheim, der im November seinen 80. Geburtstag feiert, erzählt in Rex Gildo – Der letzte Tanz halb dokumentarisch, halb fiktional das Leben des Schlagerstars, dem die Frauen zu Füßen lagen, der im Verborgenen aber Männer liebte – allen voran seinen Entdecker und Manager Fred Miekley. Der Film feierte seine Premiere auf dem Filmfest München und startet am 29. September in unseren Kinos. 

Mit Mein erster Sommer ist auch ein veritables Coming-of-Age-Drama im Programm des Queerfilmfestivals. In dem Film der australischen Regisseurin Katie Found entdecken die 16-jährige Claudia und die gleichaltrige Grace, die plötzlich bei ihr im Garten steht, Romantik, Glück und Hoffnung. Doch irgendwann droht das sommerliche Idyll der zwei Außenseiterinnen zerstört zu werden.

Aus Sweetheart // Foto: © Over a Cliff, Ltd./Salzgeber

Ebenfalls Coming-of-Age doch eher Komödie als Drama ist der britische Beitrag Sweetheart von Marley Morrison, in dessen Mittelpunkt die introvertierte 17-Jährige AJ steht, die sich für Dinge interessiert, die andere wohl als abseitig betrachten würden: etwa wie man Pullis für Elefanten strickt oder wie das Methan der Kühe unseren Planeten zerstört. Der Familienurlaub an der Südwestküste Englands hingegen interessiert sie eher weniger. Jedenfalls bis sie der betörend nach Chlor duftenden Rettungsschwimmerin Isla begegnet. 

Irrungen und Wirrungen

Ähnlich verlockend klingt der argentinische Film Sublime von Mariano Biasin, der der Frage nachgeht, wie sich Freundschaft verändert, wenn Liebe und Begehren ein Faktor in derselben werden. Manu und Felipe sind beste Freunde und als Manu das erste Mal mit seiner Freundin Azul plant, bespricht er dies mit Felipe. Dabei wird ihm klar, dass er auch Felipe begehrt. Wir sind sehr gespannt, zumal uns die queeren argentinischen Filme der letzten Zeit nicht selten begeistert haben

Aus Wildhood // Foto: © Salzgeber

Um Irrungen und Wirrungen geht es auch im französischen Film Zwischen uns beiden von Jude Bauman. Hier nehmen Laetitia und Elodie, die seit Jahren ein Paar sind, einen Mitbewohner auf, um Geld für eine künstliche Befruchtung zusammenzubekommen – und geraten in einen Liebestaumel. Nochmals eine andere Art Familie erzählt Wildhood von Bretten Hannam, in dem sich der Teenager Link auf die Suche nach seiner Mutter macht, die ihn durch die Landschaft von Novia Scotia, dem ehemaligen Stammesgebiet der indigenen Mi’kmaq, führt. Das Road Movie verknüpft laut QFF-Programm „die Suche eines Jungen nach seiner kulturellen Identität mit seinem sexuellen Erwachen.“ Könnte eine Perle sein!

Nasser Sand und erotische Ränkespiele

Hochgradig spannend klingt Wet Sand von Elene Naveriani, dessen Hauptdarsteller Gia Agumava in Locarno als Bester Schauspieler ausgezeichnet wurde. Der Salzgeber Verleih zum Film, der ein filmisches Manifest gegen Homophobie sei: „Ein Dorf am Schwarzen Meer in Georgien, mit freundlichen Menschen, die glauben, sich zu kennen. Eines Tages wird der alte Eliko in seinem Haus erhängt aufgefunden. Vor allem Amnon, der am Strand eine kleine Bar betreibt, wirkt erschüttert. Elikos Enkelin Moe reist aus Tiflis an, um die Beerdigung zu organisieren. Im Dorf stößt sie auf ein Netz von Lügen und Geheimnissen. Erst als Amnon sein Schweigen bricht, scheint ein Neuanfang möglich…“

Aus Wet Sand // Foto: © Salzgeber

Zu guter Letzt machen wir’s noch einmal verspielt und weisen auf Ylva Forners queeres SM-Melodram The Schoolmaster Games hin (siehe Beitragsbild), das an der St.-Sebastian-Akademie spielt, an der alle Studenten schwul sind. Natürlich vibriert der Campus nur so vor erotischen Ränkespielen (Gossip Gay, also?). Als wieder die Schoolmaster Games anstehen und sich die Freunde Tim, Fred, Paul und Noak auf das Vorsingen für die heißbegehrte Winter-Prozession vorbereiten, platzt eine mysteriöse Nachricht herein und verändert alles…

Lesen, schauen, lesen, schauen, …

Plakat Anima

…wenn das mal kein prickelnder Endpunkt ist. Allerdings noch nicht ganz, ein paar Informationen wollen wir euch natürlich noch mitgeben: Auf der offiziellen Queerfilmfestival-Seite, das eine Veranstaltung der Queeren Kulturstiftung ist und von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert wird, findet ihr alle Filme samt Spielzeit und -ort. Selbstredend werden wir einige der Filme besprechen, angefangen bei Girls Girls Girls, Anima sowie Peter von Kant und Nelly & Nadine.

Außerdem – bei allem Film wollen wir das Lesen nicht vergessen – erwartet euch in Kürze die Besprechung zu Astrid Deuber-Mankowskys in der Kleinen Edition im August Verlag erschienenem Essayband Queeres Post-Cinema sowie unser Beitrag zum bereits kürzlich erwähnten Queer Cinema Now

Aus L.A. Plays Itself – The Fred Halsted Collection/The Sex Garage // Foto: © Salzgeber

Damit eine wunderbare Vorbereitung und -freude auf das diesjährige Queerfilmfestival (auf dem leider keinerlei Filme mit trans*-Bezug zu laufen scheinen) und viel Spaß im Kino und bei unseren Besprechungen.

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