Wer giftet schneller und heftiger?

Till Randolf Amelung macht sich Gedanken über den Kulturkampf zwischen Radikalfeminismus und trans*Aktivismus und schlägt vor, einfach den Stecker zu ziehen.

Von Nora Eckert

So steht es sinngemäß am Schluss seines Essays, wo die Frage, wie wir wieder aus dem Kulturkampf herauskommen, eine Antwort sucht: „Der radikalste Weg, um sich solcher Frontenbildung zu entledigen, wäre es“, so Amelungs zugegeben recht unkonventioneller, aber sympathischer Vorschlag, „sich endlich von Twitter und Konsorten abzumelden, um nicht mehr nach den manipulativen Regeln zu tanzen.“ Da ist was dran. Obgleich ich als absolute Abstinenzlerin in Sachen Social Media sowieso alles nur vom Hörensagen kenne. Was ich im Übrigen als äußerst komfortabel und nervenschonend empfinde.

Ins Bild passt, was mir neulich eine Freundin erzählte. Am Scheitern ihrer Ehe seien Twitter und Konsorten mit schuld, denen ihr Mann wie ein Süchtiger ausgeliefert gewesen sei. Das Dumme ist nur, was Till Randolf Amelung Kulturkampf nennt und für meine Begriffe eine der hirnrissigsten Debatten überhaupt darstellt, genau diesen Kulturkampf gab es schon lange, bevor wir über Segen und Fluch der Social Medias diskutierten, und zwar ebenso giftig wie heute (aber damals mit aller Vehemenz nur von einer Seite). Zur Erinnerung: Gestritten wurde und wird über den geschlechtlichen Status von trans* und über die Definition von Frau und ob das eine mit dem anderen vereinbar sei. Am Ende ist es die Frage: Gibt es Frauen mit Penis und Männer mit Vulva? In der Realität ja, aber in gewissen Ideologien ist das ein „no go“.

Der in der neuen Essay-Reihe des Querverlags als Nummer Acht erschienene Text suggeriert mit seinem Titel, dass es ein vom trans*Aktivismus geführter Krieg sei: „Transaktivismus gegen Radikalfeminismus“ steht es in blassblauen Lettern auf dem Umschlag (oder ist das zartlila?). Dass die historische Wahrheit allerdings umgekehrt richtig ist, bleibt damit ungesagt und verkannt.

Wir kennen Amelung längst als einen Autor, der mit Hingabe die digital geführten Schlammschlachten beobachtet, analysiert und referiert und sich dabei eher von dem skandalisiert zeigt, was trans*Aktivistinnen an verbalen Sprengsätzen liefern. Zu erinnern wäre an seinen Beitrag in dem von ihm ebenfalls im Querverlag herausgegebenen Band „Irrwege“ und auch an jenen zuletzt im „Jahrbuch Sexualitäten 2021“ veröffentlichten. Und wenig überraschend ist er auch in Schwarzers Buch „Transsexualität“ vertreten.

Es scheint, als deute er die genderkritisch motivierten Waffengänge als defensiv und deshalb als moralisch legitim. Die Rede ist hier von Psychoterror und Mobbing. Aber auch das verkennt die Realität wie schon der oben erwähnte historische Irrtum. Klar, gegen die eigenen Sympathien kommt man schwer an und gerät umso leichter ins Stolpern auf dem Weg vermeintlich wissenschaftlicher Objektivität. Anders kann ich mir seinen Kotau vor Jane Clare Jones oder Alice Schwarzer nicht erklären, die mittlerweile als Anti-trans*Spezialistinnen für das Auslegen von ideologischen Tretminen gelten.

Dazu passt Amelungs befremdliche Leseschwäche, wenn er sich beispielsweise über den Philosophen Paul B. Preciado mokiert, der nun wirklich Gewichtiges über das trans*Sein in seinem bei Suhrkamp erschienenen Buch „Ein Apartment auf dem Uranus“ mitzuteilen weiß (und schon zuvor in seinem „Kontrasexuellen Manifest“). Vor allem ist das im Gegensatz zum genitalfixierten Biologismus der genderkritischen Feministinnen bei Preciado zum einen Wissen aus erster Hand und zum anderen zukunftsweisend, wenn er von der Notwendigkeit einer kopernikanischen Wende in unserem Bild von Geschlecht spricht und gegen die Genital-Zerstörungsindustrie als eine Art Rache des binär-heteronormativen Hegemons zu Recht polemisiert.

Wo ich indes ganz bei Amelung bin und seine Ansicht unumwunden teile, das ist überall dort, wo versucht wird, die Bezeichnung Frau abschaffen zu wollen und etwa durch Benennungen wie „Mensch, der menstruiert“ zu ersetzen oder „Personen mit Uterus“. Hier teile ich seine Empörung, denn es hat etwas Verächtliches und Degradierendes, einen Menschen auf eine Körperfunktion zu reduzieren. Da tun sich wirklich Abgründe auf, die von einem mindestens fragwürdigen Menschenbild zeugen.

Den Begriff Frau gleichwohl als etwas kulturell Konstruiertes stehen zu lassen, wie ihn Simone de Beauvoir einst in dem zum feministischen Klassiker avancierten Buch „Das andere Geschlecht“ gefasst hat, habe ich schon deshalb keine Schwierigkeiten oder Bedenken, weil ich als Transfrau mit den gleichen, durch die patriarchale Matrix geprägten zweigeschlechtlichen Konstruktionen konfrontiert bin. Wenn ich im Alltag als Frau gelesen werde (so die heute gängige Formulierung), dann ist das allein dem Passing geschuldet, das mich binär verortet – und so geschieht es allen Frauen. Nebenbei bemerkt: So schlage ich das System subversiv mit seinen eigenen Waffen. Mein Körper jedoch ist unzweifelhaft nicht-binär. Als Transfrau bin ich nach meinem persönlichen Verständnis weder Frau noch Mann, sondern etwas Eigenes und Unverwechselbares, für das wir allerdings keine Sprache besitzen (von der sexualwissenschaftlichen Pathologisierung durch die „trans“-Kategorie abgesehen). Ich lebe Weiblichkeit in einem hormonell modifizierten männlichen Körper. Kurzum, ich bin ein Beleg für geschlechtliche Vielfalt.

Und die Biologie müssen wir Transmenschen keineswegs fürchten, wir sind zu hundert Prozent biologisch bis hinein in unsere Geschlechtsidentität. Das mag zwar nicht in gewisse radikalfeministische Gehirne gehen, aber meine Existenz steht mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit, während Leugnung, Ausgrenzung und Diffamierung durch andere nur deren Denkblockade bestätigt. Andererseits sehe ich in Fragen der Biologie einschließlich Neurobiologie, die meistens viel zu kurz gedacht werden, auf beiden Seiten vernagelte Ansichten und auch Amelung fährt hier einen verunklarenden Schlingerkurs. Überhaupt legt er eine gewisse Aversion gegen trans* als Spektrum von Selbstdefinitionen und Lebensweisen an den Tag. Dass für eine binär-heteronormativ geimpfte Mehrheitsgesellschaft die geschlechtliche Uneindeutigkeit verunsichernd wirkt, muss uns nicht verwundern, wohl aber, wenn davon auch Transmenschen wie Amelung betroffen sind, als ob uns die Medizin tatsächlich in die Zweigeschlechtlichkeit zurückschneiden könnte.

Für mich nicht nachvollziehbar ist Amelungs Bemühen, den genderkritischen Feminismus vor – wie ich meine – berechtigten Vorwürfen, wonach dort politisch reaktionär agiert werde, in Schutz zu nehmen. Auch Linke können reaktionär sein. Es ist ja nicht zu übersehen, wie dankbar beispielsweise eine AfD Argumente und Begriffe für ihre trans*feindlichen Zwecke übernimmt. Natürlich ist TERF (Trans Exclusionary Radical Feminist) und Nazi nicht dasselbe, aber durch ihren Hass und ihr aggressives Auftreten lassen sie sich zumindest leicht verwechseln. Hier lieferte schon vor zehn Jahren die US-amerikanische Sozialwissenschaftlerin und trans*Aktivistin Susan Stryker die passende Antwort: „Wenn du trans* bist, überschreitest du Geschlechtergrenzen und stellst fest, dass es in dem geschlechtlichen Raum, in den du dich hineinbewegst, auch so etwas wie Nationalist_innen gibt, die etwas gegen Fremde haben. Die Feindschaft von traditionellen Feministinnen gegen Trans* kann man als Xenophobie bezeichnen – als politisch reaktionäre Position im Gleichklang mit anderen Reinheitspolitiken. So eine Politik ist schlicht falsch.“

Es gab einmal eine Politik, die stand unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“. Als ein positiv denkender Mensch sah ich darin eine Chance für Veränderungen im Verhältnis von Ost und West. Die Geschichte ging dann allerdings, wie wir wissen, anders weiter. Trotzdem ist guter Wille nicht verkehrt, nur sollte man die Realität nicht aus dem Blick verlieren, für die eine besondere Sehschärfe besser geeignet ist als das Verlangen nach Harmonie und Konsens. Was Till Amelung Kulturkampf nennt, sehe ich als einen Karren, der schon lange tief im Sumpf steckt und dort besser bleibt. Denn die Positionen zwischen genderkritischen Feministinnen und gewissen trans*Akteur*innen stehen so unversöhnlich gegeneinander, dass sie ruhig weiter den Karren mal in diese, mal in jene Richtung zerren können. Es gibt sicherlich auch Liebhaber*innen eines solchen Schauspiels. Als Transfrau habe ich immer die Devise vertreten, Probleme dort zu lassen, wo sie entstehen und sie nicht als meine zu übernehmen. So gesehen schließe ich mich gerne Till Amelung an: Ziehen wir den Stecker und schauen, ob es auch mit Vernunft und Anstand geht.

Nora Eckert ist Publizistin und Ausführender Vorstand bei TransInterQueer e. V.

Till Randolf Amelung: Trans­aktivismus gegen Radika­l­feminismus, Band 8 der Reihe in*sight/out*write; März 2022; 64 Seiten; Klappbroschur auf Strukturkarton; ISBN: 978-3-89656-317-0; Querverlag; 8,00 €

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