„In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer oder sexualisierter Gewalt. Und jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierte[r] Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner“, sagt Karin Hanczewski bezugnehmend auf den aktuellen Dresdner Tatort, in dem es eben genau darum geht: häusliche Gewalt, Missbrauch und vielleicht einen bis zwei Femizide. Wenn auch anders als zunächst vielleicht gedacht.
Frauen hauen
Nachdem es in der vergangenen Woche in Bremen um eine ähnliche Thematik ging – wenn auch unter anderen Vorzeichen – ist dies der zweite Tatort in Folge von Regisseurin Anne Zohra Berrached, die hier gemeinsam mit Christoph Busche das Drehbuch geschrieben hat. Das es durchaus in sich hat. Oder um mit Olaf Schubert aus der letzten heute-show zu sprechen: „Das ist wie Gewalt in der Ehe – das ist nicht schön, aber gehört dazu.“
Zum einen ist es sehr unterhaltsam und durchaus reichlich kurzweilig; zum anderen ist es so spannend wie auch menschlich ausgewogen, was in Anbetracht dessen, dass im Grunde so viel gar nicht passiert, umso interessanter ist. Wir starten mit Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel), die eigentlich in den Geburtstag von Gorniak feiern wollen. Doch dann ruft Chef Peter Schnabel (Martin Brambach) an und beordert die beiden in eine Villa am Dresdner Stadtrand.
Frauen gegen Schnabel
Dort vermisst der so erratische wie mächtige Simon Fischer (Christian Bayer) seine Frau Kathrin (Amelie Kiefer). Und einen Hund. Und ein Gewehr. Gorniak ist überzeugt, dass der Ehemann etwas mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun hat und hier nur eine Show abzieht; Winkler hingegen vermutet eine ungünstige Verkettung diverser Umstände; Schnabel attestiert – wie so oft – das Gegenteil von allem, was Gorniak denkt.
Was zu manch einer abstrus-geistvollen Szene führt, wenn mensch sich auch irgendwann fragt, wie Schnabel bei seinen Kompetenzdefiziten an diesen Job gekommen ist. Andererseits… Heiko Maas konnte ja auch Außenminister werden. Manchmal geht Doofheit seltsame Wege. Nicht jedes Leben und jede Karriere ist also durch kunstvolle Zusammenschneidungen so gelungen wie der Tatort: Das kalte Haus.
Frauenblut
Nach und nach erfahren wir natürlich, was sich eigentlich alles abgespielt und wer wen abgespeist hat. Ebenso wird die Geschichte Karin Gorniaks weiter ausgebaut, die Hanczewski nach wie vor mit glanzvoller Souveränität und gehöriger Schlagfertigkeit spielt. Auch das Verhältnis zur Kollegin Winkler wird intensiver, die dieses Mal jedoch eher Nebenfigur ist.
Hauptfigur ist im Grunde die verschwundene Kathrin Fischer, die via YouTube-Videos mit „Schritten zum Glück“ sehr präsent ist. Dass sie dabei persönlich ins Unglück schritt, mag als bittere Ironie betrachtet werden. Andererseits ist nicht jeder Blutfleck das, wonach er zuerst aussehen mag. Je nach Haltung ist es meist viel Schlimmer.
So gibt es reichlich Wendungen, die dennoch nie in den Hintergrund geraten lassen, was Christoph Busche und Anne Zohra Berrached eigentlich erzählen: Eine Geschichte über Gewalt gegen Frauen, über verunsicherte Männer, die zu derbsten Mitteln greifen, wenn jemand ihren tiny dick erkennt und eine vom Versuch der Loslösung.
Frauen(v)ermittlerin
Durchaus geschieht dies auch mit Blick auf Schnabel und Gorniak, der natürlich irgendwann einsichtig wird – erneut: wie so oft – und somit weit weniger toxisch unterwegs ist, als manch anderer Mann in Das kalte Haus. Dennoch klingt er gönnerhaft, wenn er zu seiner Kommissarin sagt, was einen guten Ermittler ausmacht. Die natürlich verbessert ihn: „Ermittlerin!“
Nun hat der Rezensent Angst, den letzten Gedanken zu formulieren. Denn nach und nach ist ihm das Dresdner Team wahnsinnig ans Herz gewachsen. Das waren aber auch Anna Schudt in Dortmund als Martina Bönisch und Meret Becker als Nina Rubin in Berlin. Da musste zuletzt einiges verkraftet werden. Nehmt mir nun bitte nicht noch Gorniak und Winkler (und das Saarland auch nicht; dafür braucht niemand mehr München, aber das ist ein Thema für die übernächste Woche).
AS
PS: Die Musik kommt auch in dieser Woche wieder von Jasmin Reuter, Martin Glos und Christian Ziegler, nimmt uns gut mit und erinnert hier und da an Ramin Djawadi und den Night King. Was irgendwie auch sehr passend ist.
PPS: Karin Hanczewski ist übrigens gemeinsam mit den anderen Initiator*innen mit dem Deutschen Schauspielerpreis (!) Ehrenpreis Inspiration für die Initiative #ACTOUT 2021 ausgezeichnet worden. Das wollten wir euch natürlich nicht vorenthalten.
PPPS: Eva Krieger (gespielt von Nadja Stübiger) darf gern öfter kommen, auch gern mit (alkoholfreiem) Sekt.
Tatort: Das kalte Haus läuft am Pfingstmontag 6. Juni 2021 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Das kalte Haus; Deutschland, 2022; Regie: Anne Zohra Berrached; Drehbuch: Christoph Busche, Anne Zohra Berrached; Kamera: Jakob Beurle; Musik: Jasmin Reuter, Martin Glos und Christian Ziegler; Darsteller*innen: Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel, Martin Brambach, Christian Bayer, Amelie Kiefer, Katharina Behrens, Robert Schupp, Nadja Stübiger, Karina Plachetka; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der MadeFor im Auftrag des MDR für die ARD.
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