Ein schöner, ein prächtiger Tod

Die Fotografin Herlinde Koelbl zeigt in dem Werkzyklus Metamorphosen die verschwenderische Schönheit einer im Vergehen begriffenen Natur.

Von Nora Eckert

Wir kennen Herlinde Koelbl als Gesellschaftschronistin, wie sie oft genannt wird, in deren fotografischer Arbeit der Mensch im Mittelpunkt steht, genauer gesagt – der vergesellschaftete Mensch. Doch mit ihrem 2016 begonnenen Werkzyklus Metamorphosen ist das nun völlig anders – kein Mensch nirgends, nur einer und unsichtbar, nämlich die Fotografin selbst mit ihrer Wahrnehmung, die uns die Natur in ihrem buchstäblich natürlichen Verfall, in ihren unablässigen Veränderungen aus allernächster Nähe schauen lässt.

„Die Natur erschafft unglaubliche Formen, Farben und Strukturen. Alles wandelt sich, wird spröde, erschlafft und erstarrt“, schreibt sie im Vorwort des Ausstellungskatalogs (erschienen bei Steidl Göttingen). Und genau das ist von einer eigenartigen, oft bizarren Schönheit – oder anders gesagt: Das Vergehen hat seine eigene Prächtigkeit wie ein letztes verschwenderisches Bild der Auflösung und Zersetzung. Es ist, als ob uns die Fotografin die Sicht auf eine neue Ebene der Realität eröffnet, die wir für gewöhnlich übergehen und die eher nicht in ein konventionelles Konzept von Schönheit passt, weil es, wie alles Morbide, Verwesende, immer zuerst als hässlich empfunden wird. Koelbls Blick richtet sich dabei auf Details, die, herausgelöst aus dem Zusammenhang, einerseits wie verfremdet wirken, andererseits wie Abstraktionen von etwas anmuten, das wir oft erst auf den zweiten Blick erkennen.

METAMORPHOSEN. FOTOGRAFIEN VON HERLINDE KOELBL // © Herlinde Koelbl/VG Bild-Kunst Bonn 2023

Sie kam spät zur Fotografie und war da bereits 37. Im Nachhinein sieht der Start in ihre Karriere wie ein Zufall aus, indem sie damals eine Kamera geschenkt bekommen hatte und sofort wusste, ihr ideales Ausdrucksmedium in Händen zu halten. „Als ich zur Fotografie kam – oder sie zu mir – da merkte ich sofort, wirklich sofort: Das ist es!“ (ZEIT-Magazin vom 30. Oktober 2019) Womit sich auch bestätigt, nichts ist zuverlässiger als der Zufall. Sie kam also aus dem Nichts, wie sie in dem zitierten Interview bekannte, und sie wurde anfangs als Frau in einem damals, wir sprechen hier über die 1970er Jahre, männerdominierten Beruf kaum ernst genommen. Das hinderte sie nicht, einen grandiosen Start als autonome Fotografin hinzulegen. „Ich war immer Außenseiterin“, sagt Koelbl, aber genau das war am Ende ihr Erfolgsrezept.

Serien und Werkzyklen sind ihre Spezialität: Sie begann, Menschen in ihren Wohnzimmern zu fotografieren, danach waren es starke Frauen, deren Persönlichkeit und selbstbewusste Ausstrahlung sie mit der Bildkamera zu erfassen versuchte und schließlich auch nackte Männer, bei denen sie nicht weniger nach Ausstrahlung suchte. „Das Wohnzimmer-Projekt war eines meiner ersten. Das sind Bilder über Deutschland, über die Wirklichkeit, in der Menschen leben, quer durch alle Schichten“, erinnert sich Koelbl. Sie hat Porträts von jüdischen Menschen aufgenommen, das sie als eines ihrer wichtigsten Projekte bezeichnet.

METAMORPHOSEN. FOTOGRAFIEN VON HERLINDE KOELBL // © Herlinde Koelbl/VG Bild-Kunst Bonn 2023

Schließlich begann sie, Jahr für Jahr die Politikerin Angela Merkel zu fotografieren, um kontinuierlich die Veränderungen in ihrem Aussehen als „Spuren der Macht“ zu visualisieren. Hierher gehört auch ihr Dokumentarfilm Die Meute, wo sie die Vermischung von politischem und journalistischem Alltag als oft „demütigende Szenerien“ einfängt. „Alles ist unglaublich hektisch und ziemlich inhaltsleer. Zusammengehalten nur von den eigenen Selbstbildern: Ich, ich, ich“, beschreibt sie ihre Erfahrungen mit der Welt der Politik und des Journalismus und mit deren merkwürdigem Abhängigkeitsverhältnis.

Und jetzt also eine Kehrtwendung mit einem Blick dorthin, wo alles Leben herkommt, nämlich hinein in die Natur. Das ist im Ergebnis nicht weniger sensationell wie vieles von dem, was sie bis dahin fotografierte. In den Ausstellungsräumen knallen die Farben förmlich von den Wänden, mal großformatig, mal als Arrangement kleinformatiger Bilderrahmen, als wäre hier der Expressionismus gerade neu erfunden worden. Es sind intensive Farben, aber eher schmutzige, auch verwaschene, eher dunkle oder immer wieder auch Farben von einer geradezu schreienden Grellheit von sattem Blutrot und changierendem Blau zwischen lauter Lila- und Violett-Schattierungen.

METAMORPHOSEN. FOTOGRAFIEN VON HERLINDE KOELBL // © Herlinde Koelbl/VG Bild-Kunst Bonn 2023

Nein, diese expressionistischen Farbexplosionen mussten nicht neu erfunden, sondern nur gefunden werden. Die Natur, jeder Park, jeder Garten, jeder Wegrand hat sie seit jeher in ihrem unerschöpflichen Repertoire. Man muss nur hinsehen, um all das Faulige, Verwitternde in seiner Pracht zu sehen mit diesen schrundigen, zerknitterten, verwelkten, verfärbten Oberflächen, die hier porös, feingliedrig und durchsichtig wirken, dort von Flecken durchsetzt und wild zerfurcht sind.

Koelbl hat ein Faible für Exotisches, dessen bizarr geformte Blüten, Blätter und Früchte schon immer faszinierten. Und sie tun es noch mal in ihrem Absterben. Eine Blüte, die stirbt, verwelkt. Doch wie sie das tut, bietet wie zuvor das Aufblühen nun ein weiteres Schauspiel der Metamorphose. Unbegreiflich bleibt dabei der unendlich wirkende Erfindungsreichtum der Natur. Und weil Koelbl mit ihrer Fotografie schon immer mehr wollte als nur das Bild, sondern auch die Erzählung dahinter oder auch die Metaphysik des Sichtbaren, dürfen wir noch eine Botschaft aus der Ausstellung mit nach Hause nehmen. Die stammt von dem antiken Dichter Ovid und eröffnet den Rundgang durch die Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum:

Keines verbleibt in derselben Gestalt, und Veränderung liebend, / schafft die Natur stets neu aus anderen andere Formen, / und in der Weite der Welt geht nichts – das glaubt mir – verloren; / Wechsel und Tausch ist nur in der Form. Entstehen und Werden / Heißt nur, anders als sonst anfangen zu sein, und Vergehen / Nicht mehr sein wie zuvor.

Die Ausstellung ist in München noch bis zum 8. Oktober zu besichtigen und wandert anschließend nach Leipzig ins GRASSI Museum, wo sie vom 3. November 2023 bis 7. April 2024 zu sehen sein wird.

Unsere betrachtungswillige Autorin Nora Eckert // Foto: © privat

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverbandes Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

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