Die Sünde, Gott und ihr Anwalt

An einer Stelle im neuen Wiener Tatort: Alles was Recht ist, sagt Major Bibi Fellner in der ihr dank der feinen Leistung von Adele Neuhauser ureigenen Art: „Gläubige Menschen neigen viel eher zum Betrug, weil sie die Beichte als Ventil zur Vergebung nützen…“ Ein interessanter Gedanke, der natürlich von niemandem geteilt werden muss; dass sich einige davon stark auf die Füße getreten fühlen dürften, ist möglich. Für all jene ist dieser neue Fall, der so richtig gar keiner ist, definitiv nichts, denn die knapp 90 Minuten stecken voller … Fußtretereien.

C2H5OH auf Zwetschgenbasis

So wird sich beispielsweise Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) gemeinsam mit dem Pathologen Kreindl (Günter Franzmeier), dessen Work-Life-Balance ausgeglichen ist, versuchen, das Smartphone des jüngst ermordeten Anwalts Thomas Hafner (Julian Loidl) zu entsperren – vielleicht auch mal kurz mit ein wenig „Zzzzzz“, aber nur ein ganz bisschen. Der Tote scheint nämlich ein kleines Enigma zu sein, lebte er doch für seine Arbeit, die Eisner und Fellner eben noch auf die Palme brachte.

Wiedersehen macht Freude: Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Inkasso Heinzi (Simon Schwarz) // © ARD Degeto/ORF/KGP/Sara Meister

Denn vor Gericht erstritt jener Anwalt einen Freispruch für Stefan Weingärtner (Johannes Zeiler) und das obwohl er geständig war, seine Frau und dessen beste Freundin umgebracht zu haben, gar die Polizei rief er selber! Nun ist der Anwalt tot und der eben Freigesprochene verschwunden; doch, hoppala, aus welcher Ecke mag unerwartet Hilfe kommen? Genau, aus dem Gefängnis und zwar in Form von Bibis altem Freund Inkasso Heinzi (Simon Schwarz), der einen guten Draht zum unzurechnungsfähigen Killer hatte.

Täter*innen haben für immer verspielt?

Dazu kommen noch alte Bedrohungslagen, neue Lieben und ziemlich viel verworrene Gefühlslagen. Dabei springt Alles was Recht ist, geschrieben von Robert Buchschwenter und Karin Lomot, zumeist gekonnt von heiteren bis absurden Einlagen, Reflexion und Spannung; bekommt auch in den abstruseren Momenten noch immer die Kurve, um nicht in einen Münsteraner Slapstick auszuarten. Die Chemie zwischen Neuhauser und Krassnitzer stimmt sowieso, da wundert es kaum, dass laut Angaben der ARD einer neuen Umfrage zufolge, Eisner und Fellner auf dem zweiten Platz der beliebtesten Tatort-Kommissar*innen zu finden sind.

Geständig und doch frei? Stefan Weingartner (Johannes Zeiler) // © ARD Degeto/ORF/KGP/Sara Meister

Zwar waren wir kürzlich von der Amme enttäuscht bis entsetzt, aber sei’s drum. Was allerdings auch hier etwas irritiert, kürzlich ging es uns beim Knacki-Parship in Köln ähnlich, ist, dass in vielen TV-Krimis die Ermittelnden ein sehr eigenes Verhältnis zum Rechtsstaat und seiner Mechanismen haben. Wie, (vermeintliche) Straftäter*innen wollen eine möglichst gute Verteidigung? Was, es lässt sich eine Anwältin oder ein Anwalt finden, die oder der diese oder jene Person vertritt? Was für ein schlechter und unmoralischer Mensch! Wie jetzt, nach verbüßter Haftstrafe wollen die Menschen sich wieder integrieren? Geht doch gar nicht!

Bloß nicht differenzieren, niemals

Dass solche Haltungen immer wieder – und nicht nur in Tatorten – konsequent unhinterfragt erzählt werden, ist schwierig. Allein aus juristischer Sicht (vielleicht liest ja mal jemand Ronen Steinkes neue Buch Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich), aber auch rechts- und moralphilosophisch (vielleicht liest oder schaut ja mal jemand irgendwas von Ferdinand von Schirach) und vor allem, ja, menschlich. Dabei ist für unterkomplexe Gedankengänge, die gleichsam Urteile sind, doch eigentlich recht exklusiv Richard David Precht zuständig.

Profi: Thomas Hafner (Julian Loidl) // © ARD Degeto/ORF/KGP/Sara Meister

Dieser Gedanken unbenommen bleibt Tatort: Alles was Recht ist eine sehr unterhaltsame, erzählerisch dezent experimentelle, von Regisseur Gerald Liegel gut getimte und dank mancher Gedankenspiele gar recht relevante Veranstaltung, die es sich zu sehen lohnt. 

Tatort: Alles was Recht ist läuft am 3. April 2022 nach dem Brennpunkt zu Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine um 20:30 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für 30 Tage in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Alles was Recht ist; Österreich 2022; Regie: Gerald Liegel; Drehbuch: Robert Buchschwenter, Karin Lomot; Kamera: Gero Lasnig; Musik: Markus Taxacher; Darsteller*innen: Adele Neuhauser, Harald Krassnitzer, Christina Scherrer, Günter Franzmeier, Hubert Kramar, Simon Schwarz, Ines Miro, Johannes Zeiler, Noemi Krausz, Marion Mitterhammer, Julian Loidl; Laufzeit: ca. 89 Minuten; Eine Produktion des ORF, hergestellt von KGP Filmproduktion – ein Lizenzerwerb der ARD Degeto für die ARD 

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