„Ich habe zu Feminismus keine Meinung und kein Interesse.“

Beitragsbild: Toni (Paula Goos), Anthony (Emil Belton), Amelie (Larissa Sirah Herden), Marvin (Charles Booz Jakob), Abdel (Arman Kashani), Jeppe (Sammy Scheuritzel), Shirin (Altine Emini) und Tim (Bruno Alexander, v. l. n. r.) // © NDR/Hannah Aders

Mensch nehme ein paar Guys irgendwo zwischen toxischer, verunsichter, dümmlicher und überbordender Männlichkeit, stecke sie mit dem Versprechen auf Alkohol und Sonne (immer gute Verknüpfung), Party und Pool, Arsch und Titten (wahlweise verschiender Girls oder nur einer Queen) in eine Villa auf Paros/Koh Samui/Ibiza, werfe die Kamera an und harre der Dinge. Zwischendurch müssen sie natürlich ein wenig produced aka genudged aka manipuliert werden. Fertig ist das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit supererfolgreiche Reality-TV-Format à la AYTO (Reality Stars in Love), Make Love, Fake Love und Konsorten. (Selbstredend geht das auch in queerer Form, siehe Prince und Princess Charming, da läuft’s allerdings… sortierter. Sehen wir einmal vom Großteil der eher unschön gelaufenen Charming Boys ab.) [Alles dem RTL+ übrigens…, Anm. d. Red. *hust*]

Machos… aber pro-feministisch und voll für Gleichbeteiligungsrechte

So oder so ähnlich die Prämisse der mittlerweile seit zehn Jahren laufenden Show Player of Ibiza in der fünf Typen um das Herz einer Queen batteln und flirten sollen. Doch nun in der Jubiläumsstaffel soll es anders werden, entscheidet Redakteur Arne (Martin Brambach). 2024 da geht es um Feminismus. Die Welt ist eine andere. Außerdem sollen die Quoten rauf und die Kosten runter. Drum geht’s von Hamburg aus auch nicht nach Ibiza sondern ins aufregend-pulsierende Buchholz in Niedersachsen.

Immerhin gibt es einen Pool: Ahnen noch nicht, dass diese Staffel Player of Ibiza einige Überraschungen für sie bereithalten wird: Abdel (Arman Kashani), Marvin (Charles Booz Jakob), Anthony (Emil Belton, v.l.n.r.) // © NDR/Hannah Aders

So die Prämisse der fünfteiligen Mockumentary gleichen Namens – Player of Ibiza, für die langsamen Player*innen unter euch – die ab dem 10. Mai 2024 um 5:30 Uhr in der Anti… äh… ARD-Mediathek verfügbar ist und für die unter anderem die Kleinen Brüder verantwortlich zeichnen. Hä? Kleinen Brüder? Lego Masters Kids, oder was? Nee… die Kleinen Brüder dass sind im kreativen Teil Bruno Alexander sowie Oskar und Emil Belton. Jene Typen, die uns Die Discounter und die sehr, sehr gute Nummer Intimate (auf Joyn, Serien-Rezension steht noch aus) beschert haben.

Die Mischung macht’s

Mit von der Partie dieser für die Nordlichter-Reihe entwickelten Mini-Serie sind erneut ebenfalls Carsten Kelber und Christian Ulmen mit ihren Pyjama Pictures, die Produzentin Ina-Christina Kersten (von der die Idee rund um den Feminismus-Turn der Player kam) und erstmals der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Form des NDR sowie die MOIN Filmförderung (Aufsichtsratsvorsitzender übrigens Dr. Carsten Brosda, seines Zeichens Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und Autor vom u. a. im Hoffmann und Campe Verlag erschienen Mehr Zuversicht wagen, das hervorragend zur Woche der Meinungsfreiheit passt) und nordmedia. Weißte Bescheid.

Gewalt ist keine Meinung. Oder?! Ungebremste Männlichkeit: Kraftprotz Tim (Bruno Alexander, 2. v. r.) ringt Jeppe (Sammy Scheuritzel, r.) nieder. Männercoach Janke Zoller (Christoph Glaubacker, l.) versucht, das Schlimmste zu verhindern (mit Emil Belton, m., und Charles Booz Jakob, 2.v.r.) // © NDR/Hannah Aders

Soll heißen: Die Mischung macht’s. So sieht es auch bei den Teilnehmer*innen („Du musst nicht Teilnehmer*innen sagen, es sind nur Jungs.“) aus, die Redakteur Arne und Producerin und Regisseurin Amelie (spitzenklasse: Larissa Sirah Herden, als Sängerin auch bekannt als Lary) – die die Idee mit dem Feminismus-Dreh eher scheiße findet, aber gern raus aus dem Reality-Bereich und rein ins Scripted-TV will – sich rausgepickt haben.

Fünf Traumboys – für Masochist*innen

Da ist zum einen der von Emil Belton wunderbar arschig (literally) verkörperte Anthony – ein vom Erbe seiner tödlich verunglückten Eltern lebendes, verwöhntes, gelangweiltes Blankenese-Gör, das seine Putzfrau, die Angst vor ihm hat, als seine beste Freundin sieht und eine „Hab-ich-gefickt“-Liste führt. Für ihn ist Feminismus, wenn die Frau auch kommt. Abdel (stark: Arman Kashani) sieht sich als Macher à la „wichtiger Call“, träumt von einer großen Donut-Kette und bekommt im Gegensatz zu seinen Kumpels nichts auf eben diese. Macht auf Über-Moslem, kennt aber den Koran nicht und bezeichnet alles Mögliche als haram, ohne zu wissen, was das eigentlich genau ist.

Marvin (Charles Booz Jakob) will als Gangsta-Rapper ganz groß rauskommen // © NDR/Hannah Aders

Marvin (glaubwürdig: Charles Booz Jakob) ist ein mehr als erfolgloser Rapper, der aus Muttis Gartenhaus aka den „Garden Studios“ sexistische Musik mit seinen nicht minder verlorenen und dauerbekifften Homies „produziert“. Sein Bruder ist erfolgreicher Geiger, der u. a. in der Elphi aufgetreten ist – Marvin behauptet er säße im Gefägnis. Tim (Bruno Alexander) ist ein immer lauter Testosteron-Steroid-Pumper-Bollerheten-Proll. Ähnlich erfolglos wie der Rest, allerdings hat er immerhin eine Freundin, bei der er mehr als handzahm ist.

Sollen Feministen werden: Abdel (Arman Kashani), Jeppe (Sammy Scheuritzel), Anthony (Emil Belton), Marvin (Charles Booz Jakob, v. l .n. r.) – mit Altine Emini // © NDR/Hannah Aders

Last but not least: Jeppe (gekonnt: Sammy Scheuritzel, übrigens der einzige der fünf, der eine professionelle Schauspielausbildung durchlaufen hat), wohnt noch bei Mutti, zockt den ganzen Tag, uriniert dabei auch mal ins Fläschchen und ist, wie jeder gesunde Mann, für die Verstaatlichung der Frau. Nennt Typen wie Tim, Marvin und Anthony „Chads“. Tritt höflich auf, hat aber stark soziopathische Tendenzen. Zu den Guys gesellen sich noch die sophia-thomalla-ishe Moderatorin Shirin (große Klasse: Altine Emini), die die Feminismus-Idee auch kacke findet, aber das Beste draus machen will – beispielsweise indem sie mit einem der Contestants ohne Kondom Sex hat. Schlussendlich ist da Kamerafrau Toni (yay: Paula Goos), die seit zehn Jahren dabei und durch all den Scheiß drogenabhängig aber somit auch wieder entspannter geworden ist.

Stimmen der eigenen Generation

Marvin-Darsteller Charles Booz Jakob sagt über Player of Ibiza und die drei Kleinen Brüder-Regisseure Alexander und Belton ganz treffend:

Besser wüsste auch ich das nicht auszudrücken. Genau das war/ist es auch, was die ziemlich abgefuckte Nummer Intimate (u. a. mit Heike Makatsch, Jonas Nay, Ronald Møller sowie Christian Ulmen und Martin Brambach in Gast- bzw. Nebenrollen) so verlockend und in manchen Momenten durchaus berührend macht(e). Nun ist bei Player of Ibiza die Ausgangslage sicherlich eine andere. Ebenso waren an den Drehbüchern erstmals nicht nur die zwei Beltons, Bruno Alexander sowie Leonard Fuchs und Max Mattis (eine Fünfer-Freundesgruppe seit Schultagen; beide spielten auch vielfältige Charaktere in Intimate) beteiligt, sondern als Co-Autorinnen auch die zwei weiblich gelesenen FLINTA*-Personen Miriam Suad Bühler und Ellen Holthaus mit an Bord.

Lernen dank Erpressung

Die mussten, wie sie sagen, nicht lange überlegen, als man mit dem Konzept an sie herantrat:

Das gelingt Player of Ibiza in der Tat. Die Mockumentary, die quasi als Scripted Improvisation entstand (so sind etwa viele Einlassungen der Regisseurin Amelie erst durch Larissa Sirah Herden während des Drehs aufgekommen) weiß durchweg zu unterhalten. Dabei gibt es durchaus erschreckende Momente, etwa wenn Coach Janke Zoller (Christoph Glaubacker) die Frauen aus dem Haus canceln möchte oder der verunsicherte Abdel den schwulen Navid (Arshia „Kovu“ Khajehnori) hart angeht.

Navid (Arshia „Kovu“ Khajehnori) erklärt, wie der Koran richtig zu lesen ist // © NDR/Hannah Aders

Das bleibt nie ohne Konsequenzen, die sich teils erst im Laufe der folgenden Episoden ausspielen. Diese Konsequenzen allerdings kommen nie mit erhobenem Zeigefinger daher, viel eher schafft das Autor*innen-Team es einen wirklichen Lern- und Reifeprozess darzustellen. Jedenfalls in Teilen, denn – wer die großartige Serie UnReal (aus der auch dieser Satz stammen könnte: „Das is‘ ne Reality-Show – die Zuschauer sind genauso dumm wie die Kandidaten.“) gesehen hat, weiß das – ohne Manipulation, Druck und höflicher Erpressung ändert kein Contestant sein Mindset.

Reflektiert? Wer ist das schon…?!

Dass das Mindset der Macher*innen hingegen stimmt, kann mensch wohl daran festmachen, dass sie sich im Zuge des Entstehungsprozesses von Player of Ibiza etwa mit Regisseur*innen von Reality-Shows oder einem Iman, der sich für queere Muslime und Muslima engagiert, gesprochen haben. Auch, dass sie sich Gastdarstellerinnen dazugeholt haben, die in ihren Rollen gar nicht so weit weg vom echten Leben sind:

Bruno Alexander
Feministin Anna König (Mareice Kaiser) nimmt die Jungs in die Mangel. Amelie (Larissa Sirah Herden) versucht, das Interview zu lenken // © NDR/Hannah Aders

Ebenso passt es, dass hier nicht alle wissen, wie das Leben läuft. Die meisten Menschen sind eben, mit Verlaub, nicht sonderlich reflektiert, empathisch und zumeist auch nicht interessiert. Gehen nicht jede ihrer Entscheidungen wieder und wieder durch, hinterfragen weder sich noch alles um sie herum. Was ist schon Feminismus außer dem Wunsch nach rosafarbenen Gratistampons? Was ist LGBTQ* schon außer eines Buchstabensalats? Was ist schon, wenn ich ohne Kondom mit einer im Grunde fremden Person vögle? Die fünf, nicht selten sehr schwierigen, Jungs jedenfalls sehen sich mit all diesen Dingen und vor allem sich selbst konfrontiert.

Ein kleines Highlight

Dass das alles so wunderbar erfrischend, dennoch hier und da nachdenklich stimmend, im Großen und Ganzen sympathisch und letztlich gar nachhaltig funktioniert, liegt zum einen daran, dass die Kleinen Brüder wissen, was sie tun sowie gut mit ihren Co-Autor*innen, der Redaktion und Produzentin Ina Kersten funktioniert haben dürften. Zum anderen daran, wie uneitel und offen die Darsteller*innen an ihre Rollen und vor allem die Improvisation, der in Player of Ibiza wie erwähnt sehr viel Raum gegeben wird, gehen.

Die Player of Ibiza Marvin (Charles Booz Jakob), Abdel (Arman Kashani), Anthony (Emil Belton) und Jeppe (Sammy Scheuritzel, v. l. n. r.) lassen los beim Ecstatic Dance. FunFact: „Wir haben bei einem echten Ecstatic-Dance-Kurs gedreht. Die Teilnehmer kannten das Drehbuch nicht und wussten nicht, was abgeht.“ // © NDR/Hannah Aders

Wie dabei Klischees aufgegriffen und durchgerödelt werden, wie Männlichkeitsbilder in Frage und neu aufgestellt werden, wie es eine Moral ohne Moral von der Geschicht gibt – das ist schon alles recht fein. Ein kleines Highlight, das wir nicht nur Fans von Intimate, Reality-Shows und Mockumentarys, sondern generell quasi allen ans Herz legen möchten.

AS

PS: Was allerdings hart unrealistisch ist: Die Kandidaten dürften doch nie, nie, nie im Leben ihre Smartphones mit in die ganz ansehnliche Villa (würde ich mit Freunden auch mal für ein Wochenende mieten) nehmen. Never ever, ever.

PPS: „Ob jetzt Sexismus oder Feminismus, ist mir letztlich egal, womit ich mein Geld verdiene.“

Symboldbild: Producerin Amelie (Larissa Sirah Herden, r.) gibt die Richtung fürs Interview vor (mit Paula Goos, l.) // © NDR/Hannah Aders

PPPS: „Der ist ein Incel.“ – „Ich denke, so tief ist er da noch nicht drin.“

PPPPS: Morgen gibt es unsere von euch heiß ersehnte Review zu Die Zweiflers; am Samstag jene zum neuen BraschPolizeiruf, außerdem noch ein ÜberraschungsComic und am Sonntag… nun sagen wir einfach mal: United by Music.

Keyvisual zur Mockumentary Player of Ibiza // © NDR/Kleine Brüder/Hannah Aders/Nick Hentrich

Player of Ibiza ist ab dem 10. Mai 2024 um 5:30 Uhr morgens in der ARD-Mediathek zu streamen. Linear läiuft die Serie am 10. Mai 2024 um 23:00 Uhr auf ONE, 19. Juni 2024 zum Auftakt der Nordlichter-Staffel um 23:30 Uhr im NDR Fernsehen.

Player of Ibiza; Deutschland 2024; Idee: Ina-Christina Kersten; Regie: Emil und Oskar Belton, Bruno Alexander; Drehbuch: Emil und Oskar Belton, Bruno Alexander, Miriam Suad Bühler, Ellen Holthaus; Bildgestaltung: Jacqueline Hochmuth, Tim Prozell, Paul Sommerhalter; Musik: Max Jansen; Darsteller*innen: Bruno Alexander, Emil Belton, Larissa Sirah Herden, Charles Booz Jakob, Arman Kashani, Sammy Scheuritzel, Altine Emini, Paula Goos, Martin Brambach, Charisma, Arshia „Kovu“ Khajehnori, Christoph Glaubacker, Paulita Pappel, Mareice Kaiser, Marius Beyer; fünf Folgen à ca. 25 Minuten; Eine Produktion der Pyjama Pictures GmbH und Kleine Brüder GmbH – gefördert mit Mitteln der nordmedia Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen mbH und der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig Holstein in Koproduktion mit dem NDR

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