Lach- und (wirklich?) Sachgeschichten

Wir schimpfen hierzulande allzu gerne über die Bild-Zeitung und die „Springer-Presse“. Und weil wir uns so gern empören, manchmal sogar zurecht, ist daraus eine ganze Industrie geworden. In Großbritannien ist der Boulevardanteil an den Druckerzeugnissen nochmal deutlich höher als hierzulande – Lady Diana konnte ein Lied davon singen.

Da ist es doch erfrischend, wenn sich ein Medium seriöse Berichterstattung auf die Fahnen geschrieben hat – selbst wenn die Themen und Inhalte eher frag- bis unglaubwürdig erscheinen mögen. So ist dies im Fall der in Manchester ansässigen The Stranger Times, die im Zentrum des gleichnamigen Romans von C. K. McDonnell steht. Unter dem Untertitel Was, wenn die seltsamsten News die wirklich wahren wären? nimmt er – in der Übersetzung von André Mumot im vergangenen Jahr bei Eichborn erschienen – seine Leserinnen und Leser mit auf ein etwas skurriles und dennoch unterhaltsames Gedankenexperiment.

Journalismus kann doch jeder! Oder?

Protagonistin Hannah heuert nach einer unangenehmen Lebensphase bei der Stranger Times an, der Zeitung, die sich doch eher mit obskuren Themen befasst. Eine verhexte Toilette fällt beispielsweise ebenso in deren Themenpalette wie auch diverse ufo-bezogene Themen oder eine wegen „Vorhersehbarer Umstände“ abgesagte Hellseherkonferenz. Alles also Themen, die vielleicht so mancher wissenschaftlichen Fundierung entbehren, journalistisch jedoch in Regel doch sauber recherchiert sind.

Hannah jedenfalls hat keine journalistische Erfahrung und das mag in ihrem Fall sogar helfen, einfach mit gesundem Menschenverstand an die Dinge heranzugehen. Denn es ereignen sich in Manchester zwei seltsame Todesfälle, einer davon im engeren Umfeld der Redaktion um Hannah, den cholerischen Chefredakteur Vincent Banecroft, Büroleiterin Grace, die junge und etwas spezielle Mitarbeiterin Stella, die Redakteure Ox und Reggie sowie Drucker Manny. Und tatsächlich stellt sich heraus, dass die Stranger Times mehr als nur keine normale Zeitung ist, sondern in einer parallelen Realität von Zauberei und fabelhaften Wesen eine besondere Rolle spielt.

Komisch, komisch…

Klingt alles ein bisschen komisch? Ist es auch – und zwar im doppelten Wortsinn. Einerseits ist das Universum, in dem The Stranger Times sich abspielt, in der Tat etwas seltsam. Es gibt „normale“ Institutionen wie eben die Presse, einen Möbelladen und die Polizei mit all ihren guten und schlechten Charakteren und Eigenschaften, aber es gibt eben auch irgendetwas Übersinnliches, das zwischen Magie, Mythos und Historie changiert. Als Leserin oder Leser sollte mensch sich zumindest ein wenig auf die Existenz von Magie und Zauberei, von Werwolfartigen und Vampiren (wir vermuten, dass letztere in der Ende September 2022 Fortsetzung eine wesentliche Rolle spielen) einlassen können und wollen, um Freude an diesem Buch zu haben.

Gleichzeitig ist The Stranger Times aber auch im anderen Wortsinne komisch, also witzig und humorvoll. Es gab lange kein Buch mehr, bei dem der Autor dieser Zeilen so regelmäßig und teils bis zu den Bauchschmerzen lachen musste. Klar, nicht jeder Gag zieht, aber manche Erlebnisse sind so skurril und in ihrer Situation abwegig, dass sie schon wieder ulkig sind. Dazu gehören quasi „Leseproben“ aus der Stranger Times, aber auch abstruse Situationen, in die Hannah, das Team und der ebenfalls nicht unwichtige Polizist Sturgess kommen, vor allem aber auch die Ausbrüche des wunderbar überzeichneten Chefs Banecroft, der, mensch kann es kaum anders sagen, einfach ein Arschloch ist – aber ein dennoch liebenswürdiges Arschloch.

To be continued…

Gerade das gelingt C. K. McDonnell in seinem Buch nämlich sehr gut: Charaktere – auch Nebencharaktere – sind im Wesentlichen in sich stimmig, entwickeln sich weiter und werden zumeist doch recht gut eingeführt und beschrieben. Und auch auf der Handlungsebene ist The Stranger Times ein sehr stringentes und konsequentes Buch. Manchmal vielleicht ein wenig vorhersehbar, aber dennoch mit viel Überraschung, Witz und Unterhaltungswert. Dass Homosexualität und Queerness an manchen Stellen wie selbstverständlich eingeflochten werden, ist natürlich mehr als begrüßenswert.

Und – auch das ist lobenswert – für den in Kürze erscheinenden zweiten Teil gibt es auch so einige Anknüpfungspunkte und horizontale Handlungsstränge, die bereits in diesem humorvollen Band angelegt sind und sich vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt ausspielen. Ähnlich wie so manch heiße Boulevard-Story bietet The Stranger Times also das Potential, seine Leserinnen und Leser fest an sich zu binden, denn ob wir es wollen oder nicht, sich an kruden Geschichten – oder solchen, die so wirken – abzuarbeiten kann ebenso viel Freude bereiten wie den neuesten Klatsch und Tratsch zu verfolgen.

PS: Ein Kritikpunkt noch für Schätzerinnen und Schätzer eines guten Übersetzungstropfens: Es ist anzunehmen, dass Vincent Banecroft nicht amerikanischen Whiskey, sondern schottischen (oder irischen) Whisky trinkt. Es ist ihm jedenfalls zu wünschen…

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

C.K. McDonnell: The Stranger Times – Was, wenn die seltsamsten News die wirklich wahren wären; Aus dem Englischen von André Mumot; September 2021; Hardcover gebunden; 464 Seiten; ISBN: 978-3-8479-0090-0; Eichborn Verlag; 20,00 €

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