Sichtbares Mensch-Sein

Heute ist der Transgender Day of Visibility. „Visibility“ heißt Sichtbarkeit, Sichtbarkeit ist gut. In diesem Sinne ist es im Grunde auch gut, wenn Themen debattiert und diskutiert werden. Andererseits ist es weniger gut, wenn Teil dieser Debatten nicht nur ist, den Menschen ihr Sein, ihr Wesen und ihre Persönlichkeit abzusprechen, sondern dies auch noch anhand „alternativer Fakten“ zu tun. Und schon sind wir beim neuen, von Alice Schwarzer und Chantal Louis herausgegebenen Buch Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streitschrift. Dies soll hier nun nicht besprochen werden, das wird unsere Gastautorin Nora Eckert zeitnah machen (Update, 3. April: Tada!). Dazu sei schon einmal ein Satz von ihr zu diesem Buch zitiert, den sie für die Sendung ttt – titel thesen temperamente gesagt hat:

„Wir werden trans geboren. Und das ist eine Sache, die ignoriert wird. Trans ist eine pränatale Prägung. Das sagt nicht irgendjemand, das sagen die Biologie und Neurobiologie.“

Nora Eckert

Nun wollen wir uns heute über Sichtbarkeit im besten Sinne freuen und dennoch nicht ohne Achtsamkeit unterwegs sein. Darum haben wir natürlich bei der einen oder anderen Partei und gesellschaftlich engagierten Organisation nachgefragt, was sie so zum heutigen Tag zu sagen haben. Wir binden hier einfach mal dieses und jenes ein, ergänzen es vielleicht noch um manch einen eigenen Gedanken. Und – mega Spoiler Alert – wir kommen doch immer mal wieder auf Alice und ihr ignorantes Wunderland zurück…

Niemandem ist was genommen

„Wir sind da. Wir nehmen weder Menschen etwas weg, noch sind wir eine Gefahr für Menschen. Redet mit uns, anstatt über uns zu urteilen“, sagt Miriam Kempte anlässlich des heutigen Transgender Day Of Visibility, sie ist damit eine von vielen Stimmen bei den Lesben und Schwulen in der Union (LSU; und damit auch der CDU), die heute sichtbar(er) werden und mit eigenen Worten gehört werden wollen. 

„Durch offene Berichterstattung und Auftreten prominenter Personen nimmt die Sichtbarkeit von transgeschlechtlichen Menschen weltweit zu. Auch finden immer mehr Menschen viel einfacher Antworten auf die Fragen, die sie sich in ihrem Leben stellen und trauen sich zu Ihrem ‚wahren Ich‘ zu stehen. Trotzdem gibt es leider noch viel Diskriminierung, Beleidigungen und Gewalt, die oft aus fehlendem Wissen und Berührungsängsten entstehen. Erweitert Euer Wissen und sprecht uns an, stellt uns respektvoll Fragen mit denen Ihr Euch genauso wohl fühlt, als wenn Sie Euch gestellt würden. Wir sind ein Teil der Gesellschaft und in allen Bevölkerungsgruppen vertreten.“

Miriam Kempte

Das mag etwas holpern, dennoch dürfte wohl kaum ein vernünftiger Mensch hier etwas finden, um widersprechen zu wollen. Kürzlich haben wir übrigens ein Interview mit Christian Schäfer, dem Regisseur von Trübe Wolken geführt, der nicht nur darüber sprach, wie wichtig es doch ist, einander auf Augenhöhe und mit Respekt zu begegnen, sondern auch sicher war, dass es eine Art Gegenwirkung der Sichtbarkeit gibt, eben jenes: Ihr seid doch nun überall, was wollt ihr denn noch?

Unnötige Schreckensbilder

Und bumms sind wir schon wieder bei Alice Schwarzer und TERFs. Der queerpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Jürgen Lenders, hat zum Erscheinen des Buches folgendes Statement veröffentlicht: 

„Es ist die Aufgabe liberaler Politik die Grundlagen für eine Gesellschaft zu schaffen, in der jeder Mensch freiheitlich leben kann und sein kann wie er ist. Menschen, die in einem Geschlecht leben, das andere ihnen zugeschrieben haben, haben verständlicherweise Bedenken vor ihrem Coming-Out. Es gibt leider immer noch viele Vorurteile, Hass und Gewaltenteilung gegen trans*Personen. Wir setzen uns für einen Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ein und werden das veraltete Transsexuellengesetz, das so viel Leid gebracht hat, endlich abschaffen. In einer trans*freundlichen Gesellschaft haben mehr Menschen den Mut sich zu outen. Wer wie Alice Schwarzer Transgeschlechtlichkeit als ein neues
‚Massenphänomen‘ und ‚Trans-Mode‘ betitelt, spricht den Menschen das Gefühl für sich selbst und ihre Selbstbestimmung ab. Sie zeichnet unnötige Schreckensbilder und sorgt damit für Verunsicherung, gerade bei trans*Jugendlichen. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause werden Justiz- und Familienministerium einen Referentenentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz vorlegen. Die transfeindlichen Bemerkungen von Schwarzer sind unhaltbar und zeigen, wie wichtig der […] Tag der Trans-Sichtbarkeit ist..“

Jürgen Lenders

Akzeptanz auf allen Ebenen

Wusstet ihr also noch nicht, das trans*-Sein nur eine Modeerscheinung ist? Schade. Wir verweisen hier nochmals auf Nora Eckert und diese Gedanken zu Alice Schwarzer, weil’s halt wichtig und richtig ist. Nun ist Nora Eckert nicht nur gesellschaftlich engagiert, sondern war und ist zum Glück auch mit ausreichend Selbstbewusstsein und Humor ausgestattet, um so manch alltägliche Diskriminierung auszuhalten und sich ihr entgegenzustellen; etwas, das sie auch sehr anschaulich in ihrer Autobiografie Wie alle, nur anders illustriert. Doch es gibt massive Probleme, nach wie vor, darauf weist auch die queerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Kathrin Vogler, hin:

„Was für ein großes Problem Transfeindlichkeit in unserer Gesellschaft immer noch ist, zeigt die unterirdische Debatte um die Sachgeschichte mit der Transfrau Katja in der Sendung mit der Maus. DIE LINKE sieht die Rechte von Transpersonen auf Wahrung ihrer Würde und Selbstbestimmung als selbstverständlichen Teil der Grund- und Menschenrechte. Deswegen setzen wir uns auch für die Ersetzung des Transsexuellengesetzes durch ein menschenrechtskonformes Selbstbestimmungsgesetz ein.

Diese Debatte muss gleichzeitig einen Prozess einleiten, der für mehr Akzeptanz von trans- und intergeschlechtlichen Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen sorgt. Insbesondere auch ihrer sozialen Situation muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn noch immer ist die Transition häufig mit Jobverlust und anschließender Arbeitslosigkeit und transgeschlechtliche Menschen erfahren häufig Diskriminierung, etwa bei der Wohnungssuche.“

Kathrin Volger

Chancen erkennen

Beinahe philosophisch ist die stellvertretende queerpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Anke Hennig, unterwegs: 

„Wir stehen fest an der Seite derjenigen, die sich von starren Geschlechternormen befreien wollen. Es ist richtig, Menschen aus dieser Enge zu herauszulösen. Es gibt Menschen, die transgeschlechtliche Personen intuitiv ablehnen, da sie auf der Basis einer strukturgebenden Einteilung zwischen Mann und Frau erzogen wurden und sich durch diese Veränderungen ihr Bild neu zusammensetzen muss. Leidtragende einer ablehnenden Reaktion sind aber nicht nur transgeschlechtliche Menschen, deren schlichte Existenz damit bekämpft würde. Vielmehr vergeben wir auch eine wertvolle Chance für die Gesamtgesellschaft.“

Anke Hennig

Wir erwähnten bereits das Interview mit Christian Schäfer (das wir im April veröffentlichen werden), und auch er spricht über Bilder durch die und in denen mensch erzogen wird. Wir reden auch über Fußball und Sport, dazu fällt Jan Plobner, ebenfalls SPD, auch etwas ein:

„Ein einfaches Beispiel: Wir haben uns so sehr an die Zweiteilung in vielen Sportwettkämpfen gewöhnt, dass sie uns kaum mehr falsch vorkommt. Und doch sind sportliche Wettbewerbe so viel fairer, in denen die Teilnehmenden in Leistungsklassen – wie zum Beispiel Gewichtsklassen – eingeteilt sind. Im Kampfsport ist doch der Gedanke reichlich absurd, dass ein schmächtiger Mann gegen einen durchtrainierten antreten soll, bloß weil beides Männer sind. Die Existenz von transgeschlechtlichen Menschen ist eine Chance für uns als Gesellschaft. Eine Chance, Normen und Zwänge zu erkennen, die uns im Alltag sonst gar nicht mehr bewusst sind.“

Jan Plobner

Irgendwas mit Menschen

Auch hier mag es dezent holpern, das macht allerdings nicht weniger richtig, was der Oberpfälzer sagt. Es gibt auch ein Statement zum heutigen Tag von Falko Droßmann; das besagt allerdings „nur“, dass es natürlich gut ist, wenn das so genannte TSG abgeschafft, und durch das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt wird. Ja. Dazu haben die drei einen Beitrag für vorwärts verfasst, den wir euch natürlich nicht vorenthalten wollen

Apropos Gesetze: Es gibt ja dieses Grundgesetz, habt ihr sicher schon mal von gehört, ist so ein Bestseller und wird mehr oder weniger regelmäßig aktualisiert. Da steht etwas von „Würde“ und „Menschen“ drin. Das ist alles total cool. Weniger cool ist es halt, dass da wohl doch manches Mal mit zweierlei Maß gemessen wird, wie die Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen Tessa Ganserer ausführt:

„‚Art. 1 Abs 1 GG schützt die Würde des Menschen in der Individualität, in der er sich selbst begreift. Dieser Verfassungsgrundwert gewährleistet zugleich in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG die Freiheit des Individuums, sich seinen Fähigkeiten und Kräften entsprechend zu entfalten. Die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig empfindet, betrifft den Sexualbereich, den das Grundgesetz als Teil der Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz gestellt hat.’

Das ist ein Zitat aus dem Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 15.08.1996 (2 BvR 1833/95), wonach transgeschlechtliche Menschen von staatlichen Organen die Achtung dieses Bereichs verlangen können. Das schließt die Pflicht ein, die individuelle Entscheidung eines Menschen über seine Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren und ihn auch unabhängig von der amtlichen Personenstandsänderung in seiner Geschlechtszugehörigkeit korrekt anzusprechen.

Dennoch glauben Teile der Bevölkerung auch ein Vierteljahrhundert nach diesem Urteil noch, dass sie transgeschlechtlichen Menschen ihre Geschlechtszugehörigkeit in Abrede stellen können. Und nicht wenige glauben, dass man zumindest darüber diskutieren können muss.

Genau das erleben transgeschlechtliche Menschen tagtäglich und meist bleibt im Alltag gar nicht die Zeit und die Kraft, sich zu wehren. Wenn so etwas so im öffentlichen Raum passiert, ist mensch einfach nur froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Diese unzähligen Mikroaggressionen sind es, die auf Dauer mürbe machen und die wir endlich als das begreifen müssen, was sie sind: verbale psychische Gewalt.

Deshalb kann es nicht laut und deutlich genug gesagt werden: Anderen Menschen ihre Geschlechtszugehörigkeit und damit ihre grundgesetzlich geschützten Menschenrechte in Abrede zu stellen, ist nichts, worüber wir debattieren und nichts, was wir akzeptieren können, denn das ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.“

Tessa Ganserer

In die Gesellschaft

Tessa Ganserer weiß sehr gut wovon sie spricht, ein Blick auf diesen Moment im Deutschen Bundestag reicht da völlig aus, um das zu wissen. Nun wollen wir mit einer schöneren Note enden und zitieren nochmals Nora Eckert, die zum Thema Sichtbarkeit noch folgendes zu sagen hat:

„Sichtbarkeit, wie ich sie verstehe, heißt […]:

Die Gesellschaft, in der wir leben, denkt in allem trans* mit – sozial, politisch, rechtlich, wissenschaftlich, kulturell, medizinisch – und überhaupt in allen menschlichen Belangen.

Sichtbarkeit heißt für mich Teilhabe, Gleichberechtigung und Gleichstellung – alle Menschen sind gleich in ihrer Verschiedenheit. Das ist noch längst nicht in allen Köpfen angekommen, und es ist längst noch nicht im Alltag unserer Gesellschaft fest verankert. Aber genau da muss unsere Sichtbarkeit hin – in die Gesellschaft hinein.“

Nora Eckert

Habt einen schönen Tag der Sichtbarkeit. Und habt ihn nicht nur heute.

Eure queer-reviewer

PS: Der Bundesverband Trans* e. V. hat ein sehr gutes und wichtiges Statement zum Buch von Alice Schwarzer und Chantal Louis veröffentlicht, das wir hier kommentiert haben

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