Immer Ärger mit Alice

ZEIT-ONLINE hatte als gekürzten Vorabdruck einen Text von Alice Schwarzer aus ihrem für den 30. März angekündigten Buch über „Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist Mann?“ (KiWi-Verlag) veröffentlicht.

Ein Hilferuf von Nora Eckert

Alle haben eine Meinung und wollen mitreden. Aber wer weiß eigentlich, worum es geht? Sei’s drum. Was spielt das Wissen für eine Rolle, wenn man Alice Schwarzer heißt. Und wozu Fakten, wenn sie sowieso keiner kennt? Es geht auch ohne. Das hat sich wahrscheinlich auch die Online-Redaktion der ZEIT gedacht und einen Text ins Netz gestellt, der zwar ungenießbar, aber als Realsatire wirklich zauberhaft ist. Der alte Karl Kraus (wer kennt den eigentlich noch?) hätte seine Freude daran gehabt, weil er ein ausgeprägtes Faible besaß für den Wahnwitz der Zwillingsschwestern Dummheit und Borniertheit. 

Frau Schwarzer befand sich, wie der Titel ihres sogenannten „Debattenbeitrags“ zu verstehen gibt „Im Gendertrouble“. Derzeit ist das ein offenbar häufig auftretender Gemütszustand bei Politikerinnen in der Rechtsaußen-Position, aber auch bei sogenannten Radikal-Feministinnen (die man um Gottes Willen bloß nicht Trans-Exclusionary Radical Feminist nennen soll – das tun nur böse Menschen) und jetzt sogar noch bei eher biederen Gemütern, die man schon so lange aus dem Tante-Emma-Laden kennt und für harmlos hielt.

Und worum geht es jetzt eigentlich? Natürlich immer noch und immer wieder um trans* – und die Republik steht Kopf. Genau davon hat Frau Schwarzer Ahnung, vom Kopfstehen wie vom trans*Sein. Denn sie kennt nämlich höchstpersönlich einen Transmenschen, wie Sie uns wissen lässt. „Er fühlte sich als Frau, steckte jedoch in einem Männerkörper.“ Ach herrje, wie konnte das passieren? Aber der traurige Mensch hatte ja eine Versteherin an seiner Seite.

Spaß beiseite, die Angelegenheit ist bitter und leider viel zu ernst. Wer nicht bis drei zählen kann, der rutscht mit seinem Binarismus ständig hinten runter – also zum Mitschreiben: Ein Mensch besitzt neben einem Körpergeschlecht (1) eine Geschlechtsidentität (2) und lebt eine Geschlechterrolle (3) plus ein paar weiteren Details wie Geschlechtsausdruck, Begehren (Sexualität) etc. – auf Englisch: Sex, Identity, Gender. Wenn man jedoch, wie Frau Schwarzer, nicht weiß, was alles zur menschlichen Natur gehört und was als Kultur gratis hinzukommt, hat man in der Schule des Lebens nicht aufgepasst.

Aber sie passt wirklich nicht auf, sonst würde sie sich nicht selbst ständig widersprechen. Da will sie zum einen die „sozialen Kategorien“ von „männlich“ und „weiblich“ dekonstruieren und im nächsten Moment sieht sie „durch den subjektiven, beliebigen Umgang mit der Geschlechterzugehörigkeit“ die Gefahr einer Auflösung der Kategorie Geschlecht. Was denn nun? Dann will sie Transmänner darin bestärken, einfach nur „weibliche Menschen“ zu sein. Oder sie warnt davor, dass „geschlechtsspezifische Gesetze“ geändert werden müssten, womit – so ihre Angst – jegliche Frauenförderung obsolet werden würde. Ja, wenn man natürlich, wie ihre Kolleginnen aus der EMMA-Redaktion, Transfrauen als „verkleidete Männer“ diffamiert, dann hat Frauenförderung wirklich keinen Sinn mehr. Wie hieß doch Rosa von Praunheims Film von 1971? Richtig, „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Der Titel funktioniert auch mit trans*.

Blanker Hohn ist, wenn sie das Transsexuellengesetz (TSG) von 1981 als „sehr fortschrittlich“ bezeichnet und die Begutachtung als sorgfältige (!!!) psychiatrische und medizinische Prüfung beschreibt. Es war so fortschrittlich, dass in den Folgejahren ein halbes Dutzend höchstrichterliche Urteile die Verfassungswidrigkeit feststellen mussten. Das TSG demonstrierte, dass die Verletzung der Würde des Menschen auch mit rechtsstaatlichen Mitteln funktioniert. Wäre ich damals 1982 ein psychisch weniger stabiler Mensch gewesen, hätte mich die Begutachtung in eine schwere psychische Krise stürzen können. 38 Jahre später konnte ich darüber lachen. Wer mitlachen will, dem sei das Kapitel „Meine Gutachter – eine Boulevard-Komödie“ in meinem Memoir Wie alle, nur anders (C.H.Beck Verlag) empfohlen. Damals war es nur zum Heulen.

Und übrigens, Frau Schwarzer, wir Transmenschen fallen nicht vom Himmel, wir werden trans* geboren und sind trans* schon als Babys. Und ich „fühle“ mich als Frau exakt so wie Sie sich als Frau „fühlen“, wenn es denn auch eine Frage des Gefühls sein soll. Das, was sie einmal den „kleinen Unterschied“ nannten, spielt für mich keine Rolle, um das zu sein, was ich bin, aber wohl für Menschen, die ihre Genitalien auch noch im Kopf haben, wo bei uns, falls Sie das auch nicht wissen, die Identität sitzt. Also hören Sie endlich auf, uns verstehen zu wollen. Es ist doch nur verbales Stalking. Sie haben es schon 1975 nicht kapiert und seither außer gutgemeinten Vorurteilen und Ressentiments nichts dazugelernt. Was Sie verstehen nennen, schadet uns nur. Oder, um mit Kurt Tucholsky zu sprechen: Das Gegenteil von gut ist gutgemeint. 

PS: Vielleicht irre ich mich, aber falls mit dem erwähnten „transsexuellen Menschen“, der sich später als Anwältin engagierte, Maria Sabine Augstein gemeint ist – also nur für diesen Fall: Die „operative Geschlechtsumwandlung“ fand in Singapur und nicht in Casablanca statt.

Update, 27. März 2022: Nora Eckert spricht in ttt über Alice Schwarzers Buch.

Nora Eckert ist Publizistin und Ausführender Vorstand bei TransInterQueer e. V.

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