Freiheit, Solidarität und Risiko gehören in einer Demokratie untrennbar zusammen. Wer sich solidarisch verhält, soll auch die Freiheit haben, mehr zu tun und im Schadensfall die Solidarität der Gesellschaft zu erfahren. Dazu gehört aber auch, das Möglichste zu tun, um Risiken für sich selbst und für die Solidargemeinschaft so niedrig wie möglich zu halten. Wer sich bewusst einem Risiko aussetzt, sollte nicht auf die Solidargemeinschaft zählen dürfen. Ein Kommentar.
Zwei Themen bewegen die Menschen hierzulande dieser Tage sehr: die Überschwemmungen und die daraus entstandenen Schäden in Westdeutschland einerseits sowie der Impffortschritt mit angeschlossener Debatte um eine allgemeine Impfpflicht andererseits. So unterschiedlich beide erst einmal sind, an einer Stelle haben sie doch eine erstaunliche Überschneidung: die der Solidarität.
Die Opfer der Überschwemmungen haben in den Fluten teils ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Nicht wenige stehen erstmal vor dem Nichts und an solcher Stelle gebietet es die gesellschaftliche Solidarität, dass diese Menschen Unterstützung erfahren. Die Spendenbereitschaft scheint jedenfalls ungebrochen und das zeigt, dass die Solidarität in der Zivilgesellschaft noch immer gut funktioniert. Auch der Staat muss seinen Beitrag leisten. Wer unverschuldet in Not gerät, dem muss unkompliziert geholfen werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie die Landeseltern Malu Dreyer (SPD) und Armin Laschet (CDU) haben bereits angekündigt, dies zu tun. Auch das ist gut.
Angemessenheit und Eigenverantwortung
Allerdings darf auch an dieser Stelle auf ein gewisses Maß an Angemessenheit nicht verzichtet werden. Unkomplizierte und schnelle Hilfe ja, aber nicht uneingeschränkt und bedingungslos. Bei den Coronahilfen haben wir vor allem in Berlin gesehen, wie anfällig ein solches System für Betrug ist. Nun wollen wir den Opfern auf keinen Fall Betrug unterstellen, sondern vielmehr zeigen, wie wichtig ein gewisses Maß an überprüfbaren Einschränkungen und beispielsweise Rückforderungsmöglichkeiten ist. Wenn nun über eine verpflichtende Elementarschadenversicherung für Immobilieneigentümer diskutiert wird, dann kann eine solche vielleicht nicht uneingeschränkt befürwortet werden, aber zumindest sollte es für jeden und jede beim Hausbau oder -kauf verpflichtend sein, sich über eine Elementarschadenversicherung zu informieren.
Manchen mag sie zu teuer sein – auch von solchen Beispielen haben wir bereits in Ahrweiler und Co. gehört – aber in einem solchen Fall muss den Menschen klar sein, dass das nicht durch ein gesellschaftliches Vollkaskoversprechen gelöst werden kann. Eine Kfz-Haftpflichtversicherung ist beispielsweise für jede und jeden verpflichtend, der oder die ein Auto halten will – unstrittig. Private Haftpflicht- und eine Brandschutzversicherung sollten es für jeden und jede sein, die eine Immobilie besitzen und eben auch eine Elementarschadenversicherung oder zumindest die Information darüber. Nur wenn ein Schaden partout nicht versicherbar ist, dann sollte die Solidargemeinschaft noch in der Regel einspringen dürfen – und selbst dann sollte man sich fragen, ob es nicht gute Gründe gibt, warum Versicherungen einen Schaden nicht versichern wollen. Das Leben ist eben ein Abwägen von Risiken und das kann nun auch einmal schlecht ausgehen. Dann sollte aber nicht auf die uneingeschränkte Solidarität der Gesellschaft gebaut werden (dürfen).
Impfpflicht egal durch welche Tür
Ähnlich gelagert ist die Situation bei der Impfpflicht. Kanzleramtschef Helge Braun hat eine solche jüngst noch einmal ins Gespräch gebracht, zumindest mittelbar. Geimpfte Menschen sollten seiner Einschätzung nach mehr Freiheiten haben als solche, die sich nicht impfen lassen. Das ist natürlich keine Impfpflicht, aber ein so deutlicher Zaunpfahl, dass sich manch eine und einer sicherlich verpflichtet fühlen könnte oder sollte. Gut so. Denn auch hier geht es um die Abwägung zwischen Solidarität und Risiko.
Diese Einstellung ist im Prinzip richtig. Wir haben nun lange genug erfahren, wie sehr uns die Pandemie einschränken kann. Und ja, auch hier gibt es Personenkreise, die sich nicht schützen können, quasi nicht durch eine Impfung „versicherbare“ Personenkreise. Aber genau darum geht es doch: diese zu schützen. Je mehr Menschen nun einen Schutz genießen, desto schwieriger wird es für das Virus sein, sich weiter zu verbreiten.
Geimpfte haben ein nach aktuellen Erkenntnissen weit niedrigeres Risiko, das Virus zu verbreiten. Sie leisten also einen solidarischen Beitrag für die Gesellschaft (und natürlich auch für sich selbst). Wer das nicht tut, der sollte, wenn er oder sie es kann, auch weniger aus dem Reservoir der Solidarität schöpfen können.
Anreize schaffen, finanziell und nicht-finanziell
Dabei geht es nicht um die „Kürzung“ von Leistungen oder Freiheiten, sondern darum, dass Verantwortung belohnt werden sollte. Zum Beispiel eignen sich Anreize wie mehr Bewegungsfreiheit (aka gesellschaftliche Teilhabe durch Veranstaltungsbesuche, Gastronomie, Sportereignisse oder ähnliches), aber auch durchaus finanzielle Anreize. Es kann nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft sein, dauerhaft ein „Freitesten“ für Impfverweigerer zu finanzieren. Coronatests für Ungeimpfte sollten dann nicht mehr von der Solidargemeinschaft getragen werden, wenn jemand sich bewusst gegen das Impfen entschieden hat.
Auch finanzielle Anreize wären denkbar, aber anders als Prämien, Gutscheine oder sonstige Dinge, die jene schlechter stellen, die sich bereits vor Wochen und Monaten impfen ließen (und aufgrund der durchaus streitbaren Priorisierung auch lassen konnten). Die persönliche Übernahme der Kosten für Corona-Schnell- oder PCR-Tests muss ab einem gewissen Punkt kostenpflichtig für diejenigen werden, die sich nicht impfen lassen wollen.
Dem Gesundheitssystem entstehen durch Corona außerdem enorme Kosten und ähnlich der Tabaksteuer oder des Kinderlosenzuschlags in der Pflegeversicherung könnte man auch hier über ähnliche „verursachergerechte“ Lastenverteilungen denken. Beitragszuschläge bei der Krankenversicherung für alle, die sich nicht impfen lassen wollen zum Beispiel. Long Covid, also Langzeitfolgen der Erkrankung, sind teils noch nicht absehbar und konsequenterweise auch nicht die Kosten.
Freiheit, Solidarität und Risiko gehören in einer Demokratie untrennbar zusammen, nicht umsonst ist der Freiheitsentzug der größte legitime Sanktionsmechanismus, den wir haben. Wer sich solidarisch verhält, soll auch die Freiheit haben, mehr zu tun und im Schadensfall die Solidarität der Gesellschaft zu erfahren. Dazu gehört aber auch, das Möglichste zu tun, um Risiken für sich selbst und für die Solidargemeinschaft so niedrig wie möglich zu halten. Freiheit, Solidarität und Risiko bedürfen stets auch des Bewusstseins der Verantwortung, die man für sich und andere trägt und auch der Bereitschaft diese anzunehmen. Wer dies nicht möchte, dem muss klar sein, dass nicht jedes individuelle Risiko kollektivierbar ist.
HMS
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Ein wahnsinnstoller Ansatz, mit nur leider einem Haken. Sobald Tests nicht mehr kostenfrei sind, werden sie weniger frequentiert und die Bereitschaft Testergebnisse zur Teilnahme an Veranstaltungen oder so zu faken wird größer werden. Da ändert dann auch die trotz allem bestehende Testpflicht nix dran.
Man muss sich eben bewusst sein, dass wer kriminell sein will, das auch wird. Es darf einfach kein Kavaliersdelikt mehr sein, wenn man doch soooo gern hinwollte und keinen Test hatte, den dann zu faken. Das muss fast genau so strafbar sein, wie als HIV infizierter einen anderen bewusst anzustecken.
Mit diesem Druck, kombiniert mit den Vorschlägen des Kommentars könnte unsere Gesellschaft ein bisschen weiter kommen. Leider besteht unsere Gesellschaft ja immer mehr aus „Helikoptermenschen“, die alles vermeiden wollen, damit bloß keiner auf die Fresse fliegt.
Aber so ist das wahre Leben nicht. Die Gemeinschaft kann den Einzelnen nicht vor allem und jedem schützen. Indem wir uns schützen, schützen wir aber auch die Gesellschaft. Aber die Debatte ist so alt, wie die Menschheit.
Danke für den erneuten Anstoß!