Rechts, Zwo Drei Vier

Leute, wir müssen reden. Es gibt gerade zwei Dinge, die Deutschland und die Buchbranche beschäftigen und so unterschiedlich sie sein mögen, sie hängen doch miteinander zusammen. Natürlich geht es um die Correctiv-Enthüllungen zu rechtsextremen Deportationsplänen – und die AfD steckt einmal wieder mittendrin. Und es geht um das Buch Willkommen im falschen Film der Kabarettistin Monika Gruber und des Journalisten Andreas Hock.

In beiden Fällen geht aktuell eine Welle der Empörung durch das Land – oder zumindest die daran interessierten Teile, denn klar ist, dass die Causa Gruber/Hock vermutlich viele Menschen gar nicht erreichen dürfte. Gruber und Hock wird vorgeworfen, in ihrem Buch eine Bloggerin persönlich und mit Klarnamen diffamiert zu haben und auch sonst soll das Buch nur so vor Ressentiments und Fremdenhass triefen.

Shitstorm seit Weihnachten

Ein paar Auszüge, die in sozialen Medien geteilt wurden scheinen dies zu bestätigen. Etwa seit Weihnachten tobt daher ein Shitstorm in den sozialen Medien und vor allem Buchblogger*innen distanzieren sich von Buch, Verlag und Autor*innenduo. Viele fordern eine Solidarisierung des Verlags mit der Bloggerin und das Buch vom Markt zu nehmen und wollen die Bücher des Verlags nun vollständig boykottieren. Und der betreffende Verlag reagiert mit etwas, was von vielen als „Nopology“, also eine unzureichende Entschuldigung bzw. Herausreden empfunden wird.

In der Tat scheint die Krisenkommunikation des Verlags an dieser Stelle auch aus unserer Sicht unzureichend, schwamming und eher ein Versuch, sich aus einer unangenehmen Situation herauszuwinden. Hier werden die Verantwortlichen in Verlagsführung, PR-Abteilung und vor allem Lektorat hoffentlich zu einem späteren Zeitpunkt Konsequenzen ziehen, denn so einen Fall hätte mensch – gerade über die Weihnachtsfeiertage – deutlich besser handeln können und müssen.

Mithaftung vs. Verantwortung

Aber werfen wir doch einmal einen Blick auf die andere Seite, die der hier öffentlich Anklagenden, denn auch hier scheinen viele doch über das Ziel hinauszuschießen. Viele fordern nämlich Autor*innen, die beim betreffenden Verlag publizieren, auf sich selbst davon zu distanzieren und den eigenen Verlag zu boykottieren. Da das Publizieren jedoch vielfach ihren Lebensunterhalt finanziert, stecken diese Menschen nun in einer Bredouille: sich mit dem eigenen Brötchengeber anlegen und das eigene Auskommen riskieren oder sich für etwas in Mithaftung nehmen lassen, wofür sie selbst nichts können?

Ja, es ist wichtig, gegen Rassismus und Menschenhass aufzubegehren, aber andere Menschen in Situationen, die wir nicht kennen, hier in Mithaftung – oder bei Verlagsboykotten seitens der Blogger*innen sogar in eine Art Geiselhaft zu nehmen – ist… sagen wir einmal schwierig. Am Ende werden hier Menschen zu etwas genötigt, was ihnen sehr schaden kann und das fällt in der Tat bereits fast in die Kategorie von Menschenhass und Druck, den viele auch an einigen Stellen des Buchs von Gruber und Hock sehen.

Zweitens hierzu: Deutschland ist ein Rechtsstaat und Persönlichkeitsrechte sind ein von der Verfassung geschütztes Gut. Der Rechtsweg steht auch der betroffenen Bloggerin offen und wenn sie sich in diesen Rechten verletzt sieht, dann hat sie alles Recht gegen Verlag und Autor*innen zu klagen. Und ja, Anwält*innen sind teuer, aber da der Fall nun bereits so viel Aufmerksamkeit erregt hat, wird sich – so eine Klage Erfolg verspricht – bestimmt eine Kanzlei finden lassen, die diesen Kampf mit der betreffenden Bloggerin ausfechten möchte, ohne dabei Millionen in Rechnung zu stellen.

Es rechtet so schön…

Womit wir nun zum zweiten aktuellen Punkt kommen, nämlich den Correctiv-Recherchen. Es ist sehr erfreulich zu sehen, wie viele Menschen aktuell aufzustehen scheinen, um gegen den Rechtsextremismus zu demonstrieren, der unser Land noch weiter zu erfassen droht. In der Tat sind die Enthüllungen von Correctiv aufrüttelnd, wenn auch nicht überraschend. Wer in den vergangenen Jahren beobachtet hat, wie die rechte Szene und vor allem die AfD sich entwickelt haben, der dürfte hiervon nicht im Ansatz überrascht sein. Wer hiervon in den vergangenen Jahren nichts bemerkt haben will, sorry, der ist entweder blöd oder hat bewusst weggesehen.

Spätestens jetzt ist das jedoch nicht mehr möglich. Vielfach wird daher nun ein Verbot der AfD gefordert. Das mag als ein einfacher Weg erscheinen, aber angesichts der Umfragen im Bund, aber auch in den Ländern, in denen in diesem Jahr die Landtage gewählt werden, stellt sich die Frage, ob sich das Problem lösen lässt, indem eine Partei verboten wird, die immerhin irgendwo zwischen 15 und 30 Prozent (oder teils mehr) liegt. Die Ideologie scheint sich ja dennoch weit in die DNA der Republik gefressen zu haben, sonst hätte die AfD nicht einen solchen Zulauf. Und ein Scheitern des Verbots würde die Partei nur stärken und ihr – zumindest in ihren eigenen Augen und derer ihrer Sympathisant*innen – eine Illusion der Legitimität verleihen.

Nicht gesehen

Dennoch einmal angenommen die Partei würde verboten (was mehrere Jahre dauern könnte), diese 15 bis 30 Prozent der Wähler*innen sind ja nicht einfach weg. Die Menschen sind unzufrieden, denn viele fühlen sich von „der“ Politik nicht mit ihren Problemen gesehen. Inflation, hohe Mietzahlungen und ein dysfunktionaler Wohnungsmarkt sind wesentliche Probleme, die die Koalition nicht in den Griff bekommt. Das neu geschaffene (und eigentlich nur aus dem Seehofer’schen Innenministerium ausgegliederte) Bauministerium hat keine Erfolge vorzuweisen, ganz im Gegenteil.

Die Preise für Strom und Gas steigen quasi unaufhaltsam, der Umstieg auf Erneuerbare Energien läuft mehr als schleppend. Vieles davon ist – wie oft behauptet wird – in der Merkel-Zeit verhaftet (aber, auch das gehört hier zur Wahrheit: Sehr vieles wurde von Merkels Koalitionspartnern und vor allem der heutigen Kanzlerpartei SPD schlicht und einfach ausgebremst), aber auch die als Hoffnungsprojekt gestartete Ampel bekommt diese Probleme nicht in den Griff.

Wir brauchen mehr Zumutungen

Was vielen nicht klar sein dürfte: Wir stehen vor gravierenden Herausforderungen und ja, diese zu bewältigen wird teuer. Eine neue Heizung ist teuer, aber sie macht uns unabhängig(er) von fossilen Brennstoffen oder Kernenergie. Aber das kostet eben und das treibt die Preise – eben auch für Wohnen, Heizen, Strom etc.

Ein Mut, den die Politik bisher nicht aufgebracht hat, ist den Leuten Zumutungen aufzubürden. Wenn doch – beispielsweise Robert Habecks „Heizungsgesetz“ – dann wird dagegen Sturm gelaufen, das torpediert und gegen jeden kleinen Fortschritt der „Fortschrittskoalition“ kurzerhand aufbegehrt. Auch das ist das gute Recht in der Demokratie, aber es bringt uns eben bei der Lösung der Probleme nicht weiter.

Wir alle sind gefragt

Was wir tun müssten, ist, unsere eigenen Einstellungen zu ändern. Weniger Konsum, mehr Bereitschaft, Lasten zu tragen, wo das möglich ist und vor allem nicht nur eine öffentliche Demonstration des Aufstehens gegen Rechts, sondern wirklich etwas tun. Sich mit Menschen, die rechtsextremem Gedankengut zumindest nicht abgeneigt sind, auseinanderzusetzen, ist mühselig und viele schrecken nachvollziehbarerweise davor zurück. Aber mal ehrlich: Wer hat schon einmal in Sachsen oder Thüringen versucht, AfD-Wähler*innen wirklich davon zu überzeugen, dass sie hier Brandstiftern folgen? Viele sagen, dass „die anderen“ was tun müssen.

Nein, die Verteidigung der Demokratie ist die Verantwortung einer und eines jeden von uns. Demonstrationen oder das öffentliche Anprangern eines scheinbar diffamierenden Buches sind Elemente daraus. Aber eben auch nicht mehr. Es gehört dazu, dass sich Menschen wirklich für ihre Überzeugungen einsetzen und bereit sind, etwas dafür zu geben.

Keine Eintagsfliege

Wir betreiben auf eigene Kosten seit einigen Jahren dieses Online-Magazin und stecken unglaublich viel Zeit, Arbeit und ja, auch privates Geld hinein, um unseren Beitrag für Vielfalt, Toleranz und eine offene, demokratische Gesellschaft zu leisten. Manche Verlage sollten bei der Auswahl ihrer Bücher vermutlich tatsächlich mehr auf die genannten Aspekte achten und Schriften, die hier entgegenstehen, ablehnen.

Und ja, auch jeder und jede einzelne sollte sich jeden Tag dafür einsetzen, dass unsere offene und pluralistische Demokratie erhalten bleibt. Denn wie fragil sie ist, merken wir erst, wenn es brenzlig wird. Und so langsam wird es das. Bleibt also zu hoffen, dass der zuletzt aufgekeimte Aktivismus mit Demos gegen Rechts und die AfD keine Eintagsfliege bleibt.

HMS

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