„Fußball ist unser Leben…“

„…Der König Fußball regiert die Welt“ – so heißt es in einem bekannten Schlagerhit der DFB-Auswahl. Vielleicht nicht für die Welt, aber zumindest für Deutschland gilt das durchaus. Gemeinsam mit Sex ist er für viele Deutsche wohl die schönste Neben-oder auch Hauptsache. Umso schlimmer, dass die Nationalteams sowohl von Männern als auch Frauen zuletzt bei großen Turnieren schon in der Vorrunde rausflogen und mit Hansi Flick im September erstmals in der Geschichte des deutschen Fußballs ein Nationaltrainer gegen seinen Willen entlassen wurde.

Fußball kann eine ernste Angelegenheit sein. Die WM letztes Jahr in Katar hat zumindest dazu geführt, dass wir uns für eine Weile mit Menschenrechten am Golf auseinandergesetzt haben. Das ist zwar schon wieder vorbei und glich rückblickend eher einer aufgeregten medialen Debatte – schade eigentlich. Aber es zeigt einmal mehr, wie über den Fußball manch gesellschaftlich relevantes Thema transportiert werden kann.

Drei Monologe

Das zeigt sich auch wieder in Thomas Brussigs Buch Mats Hummels auf Parship, das Anfang 2023 bei Wallstein erschienen ist. Es besteht aus drei Monologen unterschiedlicher Länge, von denen nur der titelgebende neu ist, die anderen beiden aber sind bereits in der Vergangenheit an anderer Stelle erschienen (2001 im S. Fischer Verlag sowie 2007 im Residenz Verlag). 

Die drei Monologe Leben bis MännerMats Hummels auf Parship sowie Schiedsrichter Fertig – Eine Litanei. beschäftigen sich – welch Überraschung – mit Fußball, aber eben auch mit mehr. Wir haben es mit einem Profischiedsrichter zu tun, der im Hauptjob für eine Versicherung arbeitet. Ein Amateurtrainer beherbergt Gäste wohl zum Public Viewing im Umfeld der besagten WM in Katar. Und ein weiterer Trainer – scheinbar ebenfalls Amateur – führt uns durch seinen Monolog und teilt seine Gedanken.

Lauterer Wettbewerb

Autor Thomas Brussig // © Wallstein Verlag

Worüber so ein Trainer oder ein Schiedsrichter nicht so alles nachdenkt… Es geht bei den drei Herren selbstverständlich um Fußball. Um legendäre Spiele und wie Schlüsselelemente den Fußball geprägt haben. Das Wembley-Tor natürlich. Oder die Entwicklung des Abseits von einem Schutzmechanismus zu einer aggressiven Strategie, um den Gegner auszumanövrieren.

Natürlich auch Fankultur und die fließende Grenze zur Korruption. Uwe Fertig, der Vortragende in der nach ihm benannten Story, beispielsweise beklagt sich nicht ganz zu Unrecht über die enorme Geräuschkulisse im Stadion und dass jeder Fan behauptet zu wissen, wo sein Auto stehe. Was aber hinter diesem und vielen anderen Punkten steht, die die drei Herren vorbringen, sind auch teils weniger schöne Dinge im Fußball –  Fangewalt oder Hooliganismus zum Beispiel.

Wende und „Weib“

Die Ausführungen der drei Herren gehen allerdings weit darüber hinaus. Fußball ist auch deren Leben, aber er regiert nicht deren ganze Welt. Einer der drei Männer scheint beispielsweise das zu sein, was wir gern etwas verächtlich als „Wendeverlierer“ betiteln. Sein Haus „im Osten“ ging wegen scheinbar bestehender Restitutionsansprüche an einen „Wessi“, die Handwerkerarbeiten durfte hingegen der „Ossi“ gern noch erledigen. Was wohl die Frau des Wessis davon hielt…?

Frauen, gutes Stichwort. Natürlich kommen auch die vor. Frauenfußball ist ja eigentlich kein richtiger Fußball? Ist ja nicht frauenfeindlich, wenn man so etwas sagt. Oder vielleicht doch? Brussig schafft es, uns in allen drei Monologen die Gedankenwelt der drei Herren offenzulegen und diese geht eben doch deutlich über den Ballsport hinaus. Frauenfußball oder Frauen im Allgemeinen sind hier nur ein Beispiel von vielen. Mehr als nur latente HomofeindlichkeitRassismus, mindestens verbale Gewalt gegenüber Flüchtlingen flicht Brussig hier gekonnt und ironisch ein.

When life gives you lemons…

Es geht weiters um Familie und eben die deutsche Einheit, um die Corona-Pandemie und soziale Spannungen verschiedenster Art. Das ist natürlich nicht repräsentativ, aber gewährt uns dennoch einen Einblick in das Seelenleben vieler unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Nicht alles ist schön und mindestens zwei der Geschichten enden auch vollkommen anders und trauriger, als wir zu Beginn erwarten würden.

Andererseits: Auch das Leben ist nicht immer gut zu uns. So ist das eben. Und das ist eigentlich eines der schönen Dinge an Thomas Brussigs zusammengestellten Monologen: Sie scheinen doch irgendwie aus dem Leben zu stammen. Zumindest dürften sich die meisten Menschen damit in gewisser Weise identifizieren können. Dass er und der Verlag dazu auch den Mut haben und etwa zwanzig Jahre alte Geschichten so zu belassen, wie sie erstmalig veröffentlicht wurden, ist heute nicht selbstverständlich.

Im stetigen Wandel

Ja, es gibt Dinge die würde mensch heute so nicht mehr sagen oder ausdrücken. Sprache ist im Wandel, das gesellschaftliche Bewusstsein auch. Das aber nun umzuschreiben, würde manches verfälschen. Insofern ist das bewusste Beibehalten und kommentierte Wiederverwerten deutlich klüger und zeugt von einer Reflexion, die wir vielen Menschen wünschen können.

Die drei Monologe, die in Mats Hummels auf Parship versammelt sind, zeigen ein ähnliches Maß an Reflexion. Die drei Herren elaborieren in ihren Monologen, gewähren uns einen reflektierten Einblick in ihre Gedankenwelt. Eine Welt, die an vielen Stellen deutlich mehr dem entsprechen dürfte, als das, was uns in einem durch und durch kommerzialisierten Geschäft, das im Zweifel doch vor der FIFA (oder UEFA) einknickt – Stichwort One Love-Binde, vorstellen.

Fußballbuch des Jahres?

Mats Hummels auf Parship ist in diesem Jahr als Fußballbuch des Jahres nominiert. Es zeigt in der Tat, dass Fußball unser Leben ist oder für viele zumindest ein nicht unwesentlicher Teil davon. Thomas Brussig zeigt in seinen drei Monologen aber auch, wie schnell mensch vom Fußball ganz wo anders sein kann. 

Das mag für manche ein wenig an den Haaren herbeigezogen sein (Foul!), aber eigentlich wird so nur klar, wie symbolisch der Fußball für manch anderes in unserem Leben steht. Als Fußballbuch des Jahres wäre es auf jeden Fall ein würdiger Preisträger, lesenswert und auf groteske Art unterhaltsam ist es aber auch ohne die Auszeichnung.

HMS

Thomas Brussig: Mats Hummels auf Parship; Januar 2023; Hardcover, gebunden; 140 Seiten; ISBN 978-3-8353-5428-9; Wallstein Verlag; 18,00 €

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