Anfang April, nicht allzu lange nach dem Transgender Day of Visibility also, hatten wir in the little queer review einen Beitrag mit dem Titel „Trans* im Sprech“ veröffentlicht, in dem es in erster Linie um den Umgang der Medien und der veröffentlichenden Öffentlichkeit mit trans* bezogenen Themen ging. Beispielhaft stand für uns dabei der gerade erschienene, von Alice Schwarzer und Chantal Louis herausgegebene, trans*feindliche Hetzband Transsexualität – Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streitschrift und manche bestenfalls undifferenzierte Berichterstattung darüber.
In diesem Zusammenhang wiesen wir nicht nur auf die eingehenden Analysen und die Fehlinformationen aufdeckenden Erläuterungen unserer Gastautorin Nora Eckert – ihres Zeichens Teil des Ausführenden Vorstands bei TransInterQueer e. V. – hin, sondern auch auf Informationen zur Lektüre des Buches vom Bundesverband Trans* sowie diverse Broschüren, die mit Mythen und Desinformationen aufräumen und sich mit einer angemessen Ansprache von trans* Themen und Personen befassen.
Falsche Worte und viel Gewalt
Wie wichtig dies ist, wird auch deutlich, wenn mensch sich ansieht, welchen Schaden bewusst oder unbewusst verbreitete Fehlinformationen anrichten können. Trans*feindliche Stimmungsmache in Großbritannien etwa führte dazu, dass die Gewalt gegen trans* Personen zunahm und Gesetzesinitiativen zu ihrem Schutz und mehr Selbstbestimmung zum Erliegen kamen und sie gar im Gesetzesbeschluss zum Verbot von Konversionstherapien ausgeschlossen wurden.
Ähnliches lässt sich auch in den USA beobachten, wo trans*feindliche Gesetzesentwürfe wieder zum guten Ton zu gehören scheinen und nicht zuletzt auch Mobbing und Suizidversuche wieder bedrohlich zunehmen. Es zeigt sich also, dass diese Stimmungsmache, die nicht selten unkritisch, ja manches Mal gar wohlwollend, von manchen Medienvertreter*innen und deren Publikationen übernommen werden, nachhaltig Schaden anrichtet, die Uhr zurückdreht und Menschen bedroht.
Zwei Tage, zweimal 11:00 Uhr – zwei entscheidende Wegmarken
An diesem Donnerstag um 11:00 Uhr stellen die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) und Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann (FDP) das Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz in der Bundespressekonferenz vor. Gegen dieses wird in Deutschland gezielt Stimmung gemacht. Umso wichtiger ist es, dass „die Medien“ hier wachsam und, nun, menschlich unterwegs sind.
So kommt die Initiative #TransMedienWatch, die, organisiert vom Bundesverband Trans* (BVT* e. V.), der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.), TransInterQueer (TrIQ) e. V. und der Inter*Trans*Beratung Queer Leben, am heutigen Montag um 11:00 Uhr ein Manifest veröffentlicht hat, keine Minute zu spät – im Grunde aber auch nicht zu früh.
In sechs Forderungen steht #TransMedienWatch, die auch wir von the little queer review als Organisation unterstützen, gegen trans*feindliche Berichterstattung und für einen respektvollen und sachlichen Umgang, wie schon die Überschrift verdeutlicht.
Nach der „Homo-Lobby“ nun die „Trans-Lobby“
Die Petition – beziehungsweise das Manifest – beginnt mit einer Einleitung, die sich auf mittlerweile beinahe salonfähig gewordene Formulierungen wie „Trans* als Trend“ und der „Trans-Lobby“ bezieht und auf die Gefahren von Psycho-Pathologisierung und der selten aufgegriffenen Lebensrealität von trans* Personen bezieht und an die Verantwortung und Sorgfaltspflicht von Journalist*innen und Medien appelliert.
Klar macht der Text auch, dass es hier nicht darum gehe, Meinungen zu unterbinden. Die Meinungsfreiheit sei schließlich höchstes Gut für eine demokratische Gesellschaft – ebenso wie die Würde des Menschen. Etwas, das natürlich schwierig wird, wenn queere Menschen und vor allem trans* Personen fortwährend breit entmenschlicht und unter biologistischen Punkten „abgehandelt“ werden.
„Wir fordern Einordnung und Ausgewogenheit“
Nora Eckert schrieb hier zuletzt in zwei ausführlichen Kommentaren Erwiderungen und Richtigstellungen, unter anderem bezugnehmend auf Interviews mit dem Kinder- und Jugendpsychotherapeuten Alexander Korte. Dessen Einlassungen, die sich, seit klar ist, dass die aktuelle Bundesregierung das Selbstbestimmungsgesetz umsetzen und also das unsägliche so genannte Transsexuellengesetz ersetzen möchte, wieder häufen, nehmen die Initiator*innen von #TransMedienWatch in ihre erste Forderung – „Wir fordern Einordnung und Ausgewogenheit“ – auf.
So heißt es dort: „Wir fordern eine ausgewogene und einordnende Berichterstattung. Zu oft wird auf Quellen zurückgegriffen, deren Behauptungen zwar ‚schlagzeilentauglich‘ sind, denen jedoch der breite wissenschaftliche Konsens fehlt. Vermeintlich wissenschaftliche Einzelmeinungen erhalten somit verhältnismäßig große Aufmerksamkeit und Gewicht, und spielen damit falscher Ausgewogenheit [‚False Balance‘] in die Hände. Auch sparen sich viele Medien zu oft fundiert recherchierte Einordnungen.“
Ob nun Alexander Korte, Alice Schwarzer oder zuletzt auch hierzulande Kathleen Stock – gern wird unhinterfragt Behauptetes übernommen, im Zweifel wird es als „kontroverse Debatte“ bezeichnet. Dass allerdings zwischen kontroverser Debatte, wissenschaftlich mindestens wackeligen Ansichten und nachweisbar falschen Informationen Welten – auch der Verantwortung – liegen, wird gern unter den Tisch fallengelassen (Hallo, NZZ!).
Alle sechs Forderungen von #TransMedienWatch:
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Es gelte dabei, keine eindimensionalen Bilder von trans* Personen zu vermitteln, mit statt nur über sie zu sprechen und sie in ihrer Würde und ihren Rechten zu achten. Ebenso müsse auf die Biologie geachtet werden, die „Geschlecht als ein Spektrum und mehrdimensional [betrachtet]: Es gibt mehr als zwei Geschlechter, und Geschlecht setzt sich aus vielen körperlichen, psychischen und sozialen Merkmalen zusammen. Der Fokus der Berichterstattung über trans* Personen sollte auf der Geschlechtsidentität liegen, und nicht auf Genitalien.“ Im Übrigen ebenfalls etwas, auf das Nora Eckert in ihren Beiträgen und ihrem Memoire hinzuweisen nicht müde wird.
„Wir fordern sachliche und fundierte Berichterstattung“
Betont wird auch, dass Trans*geschlechtlichkeit kein „Fluchtversuch“ sei und dass trans* Personen in ihrem Geschlecht genauso gefestigt seien wie cis-Personen – dies auch schon als Kinder; unterlegt wird dies, wie auch anderes, durch reichlich wissenschaftliche Quellen. An dieser Stelle wird auch nochmals hervorgehoben, dass es sich eben nicht um einen Trend handele: „Trans*geschlechtlichkeit gibt es schon so lange es Menschen gibt – an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten wurden trans* Personen unterschiedlich bezeichnet.“
In puncto mit statt nur über „sie“ zu reden und im Rahmen einer ausgewogenen und respektvollen Berichterstattung, fordern die Intiatiator*innen wie auch wir als Unterstützer*innen, auf die Erfahrungen und Expertise von trans* Personen und Trans*- Selbstorganisationen zurückzugreifen. Das Wissen und der Wille sind auf jeden Fall da. Stattdessen müssen auch wir hier bei the little queer review Geschichten hören, dass Autor*innen in Talkshows eingeladen werden, um dort nach Möglichkeit mit trans*feindlichen Akteur*innen über ihre Daseinsberechtigung und ihr Recht aufs Existieren debattieren zu können – geplanter Krawall deluxe also statt menschenwürdiger Themenbetrachtung und Aufklärung.
In diesem Zusammenhang steht der sechste und letzte Punkt:
„Wir fordern, auch in den Medien Trans*feindlichkeit als Problem für eine demokratische Gesellschaft zu benennen“
„Desinformationen über trans* Menschen, Erzählungen über ‚Gender-Ideologie‘ und einen angeblichen ‚Trans*-Hype‘ werden aktuell in zahlreichen Ländern, auch in Deutschland, u. a. von antifeministischen, rechten und rechtsextremen sowie queerfeindlichen Akteur*innen genutzt. Ziel dahinter ist, Ressentiments zu schüren und die Einschränkungen von Selbstbestimmungs- und Freiheitsrechten aller Menschen zu begründen. Trans*feindlichkeit ist demokratiegefährdend. Wir appellieren an Journalist*innen, sich im Rahmen ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht mit der Gefahr von Trans*feindlichkeit für die gesamte Gesellschaft auseinanderzusetzen, anstatt ohne jegliche Grundlage trans* Menschen als ‚Gefahr‘ darzustellen.“
Dem schließen wir uns, für aufmerksame Leser*innen wenig überraschend, uneingeschränkt an, weshalb es für uns wie erwähnt keine Frage war, diese Petition, dieses Manifest zu unterstützen. Ebenso werden die Forderungen unter anderem von den folgenden Organisationen unterstützt: BLSJ – Bund Lesbischer und Schwuler JournalistInnen e. V., CSD Deutschland e. V., Deutsche Aidshilfe e. V., Intergeschlechtliche Menschen e. V., Jugendnetzwerk Lambda e. V., Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, Lesbenberatung Berlin/LesMigraS, Neue deutsche Medienmacher*innen e. V., Nollendorfblog, Prinz Eisenherz, PROUT AT WORK-Foundation, Queer Media Society, QUEERKRAM, RosaLinde Leipzig e. V., SchwuZ, Sonntags-Club e. V., Trans-Kinder-Netz e. V., u. v. m.
Zu guter Letzt: Adolf Hitler und Josef Stalin
Auch ihr, liebe Lesende, könnt mitmachen – beispielsweise indem ihr diesen Beitrag unter dem Hashtag #transmedienwatch in den sozialen Medien teilt; selbstredend auch den Petitionslink. Indem ihr der Kampagne auf Instagram und Twitter folgt und die Sharepics teilt. Oder indem ihr Leser*innebriefe an die Redaktionen schreibt und/oder offene Briefe auf euren Social-Media-Kanälen teilt. Ihr könnt euch die im Manifest verlinkten Informationen ansehen und euch eingehender über die initiierenden Vereine und Verbände informieren. Ihr könnt aufmerksam und achtsam lesen.
Wir jedenfalls sind gespannt, wie das Medienecho auf #TransMedienWatch ausfallen wird, vermuten allerdings schon manch schnappatmende und wutfreudige Überschrift sowie den Verzicht auf jede sprachliche und den Verlust jeder inhaltlichen Freiheit durch diese „Gender-Ideologen“ ausgerufen zu sehen. Wer jedoch Freiheit mit der Gefährdung anderer gleichsetzt, sollte in der Tat so wenig journalistisch tätig sein, wie wir eine Young-Adult-Romance-Novel zwischen Hitler und Stalin brauchen.
Eure queer-reviewer
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