Meinungen zur Freiheit

Bei allem was uns im vergangenen Jahr 2020 aufgrund der Corona-Situation entgangen sein mag, gab das Jahr im Grunde auch die Gelegenheit hier und da doch mal ein wenig zu reflektieren, sich die letzten Jahre noch einmal zu vergegenwärtigen und auch an manch einer Aufgeregtheit rund um die Pandemie gewisse Strukturen und Muster in Berichterstattungen, Diskussionen und Einlassungen auszumachen. Das führte bei manchen zum Aluhut, bei anderen dazu, sich einmal mit dem Wert des vernünftigen Austauschs widerstreitender Meinungen auseinanderzusetzen. Und dann vielleicht ein wenig resigniert zu denken: Oy vey. 

Der FDP-Politiker, Bundestagsvizepräsident und Strafverteidiger Wolfgang Kubicki nutzte die Zeit des Lockdowns, um sich neuerlich Gedanken über eines seiner Herzensthemen – Debattenkultur, Meinungsfreiheit, Fairness und Stil im Streit – zu machen und legte diese wie gewohnt schlüssig und süffisant im Oktober 2020 mit Meinungsunfreiheit – Das gefährliche Spiel mit der Demokratie in Buchform (Westend Verlag) vor. Zugegeben der Untertitel klingt ein wenig reißerisch, der Rest des Buches dafür dann weniger, umso mehr aber nach Wolfgang Kubicki.

„Haltung zeigen!“-Rufer mit moralischer Überlegenheit

Dieser arbeitet sich quasi dreidimensional durch drei verschiedene wesentliche Gebiete: Er betrachtet jeweils die rechtliche, mediale und gesellschaftliche Dimension. Anschließend geht es um „Die Verletzlichkeit der Meinungsfreiheit“ und „Die politische Arena“. Immer mit einer Mischung aus Erläuterungen der Theorie und reichlich Praxisbeispielen. In einigen davon ist auch der Bundestagsvizepräsident selber Gegenstand der Betrachtung, was die wenigsten Leser*innen überraschen dürfte. Ebensowenig sollte es überraschen, dass Wolfang Kubicki sein Buch Meinungsunfreiheit nicht dafür nutzt, alte Rechnungen zu begleichen, sondern es viel eher ebenso anspricht, wenn politischen Gegner*innen oder Gruppierungen und Parteien, für die er sonst keinerlei Sympathie hegt, Unrecht widerfahren ist. 

Und natürlich argumentiert der Strafverteidiger Kubicki neben dem gesunden Menschenverstand vor allem mit dem Recht, so findet sich manch ein Beispiel von ihm auch im Recht gegen Rechts Report 2020, zu dem sein Parteifreund Gerhart Baum das Vorwort schrieb. Das Grundgesetz und hier nicht nur den Artikel 5 zur Meinungsfreiheit zieht ein Verfassungsliebhaber wie er naturgemäß häufiger heran. Auch unterscheidet er scharf zwischen Recht bekommen, Recht haben und Rechthaberei. Ebenso warnt er häufig vor dem moralischen Zeigefinger, der die Debattenkultur nicht nur verenge, sondern sie letztlich schlicht zum Aussterben brächte. So kann immer wieder herausgelesen werden, wie gefährlich es wäre oder vielmehr ist, Humanismus mit moralischer Überlegenheit zu verwechseln oder gar bewusst gleichzusetzen. 

Kubicki macht interessante und richtige Punkte, wenn es um das berühmte „Haltung zeigen“ geht und kommt hier natürlich nicht an der von vielen gefeierten Anja Reschke, die ein gleichnamiges Buch geschrieben hat, und am dem selbsternannten Haltungsjournalisten Georg Restle vorbei, dem Kubicki vorwirft, dass er durch die Vermengung seines meinungsstarken Twitter-Accounts und seiner Aufgabe als öffentlich-rechtlicher Journalist Grenzen überschreite. Zu recht, wie der Autor dieser Zeilen findet. Wolfgang Kubicki macht überdies einen Unterschied, ob es sich um einen Journalisten für ein privates Medium, wie beispielsweise den Spiegel, oder eben einen Journalisten eines gebührenfinanzierten Programms handelt. Auch dies ist völlig richtig.

Jörg Meuthen, Xavier Naidoo und Tilo Jung

Ob SPD, Die Grünen, AfD und CDU – keine Partei spart er aus, manchmal nur in kurzen Anmerkungen (beispielsweise Peter Tauber und dessen Vorschlag „Verfassungsfeinden die Meinungsfreiheit zu entziehen“, was Kubicki peinlich und gefährlich nennt, vgl. S. 28 f.), manchmal weit ausführlicher erläutert und analysiert. So auch, wenn er beschreibt, wie einzelne Aussagen gern aus dem Kontext gerissen werden und es nirgendwo den Bedarf zu geben scheint, sie diesem wieder zuzuordnen. Oder wenn es um den Punkt der Kontaktschuld vom ehemaligen Leiter der hessischen Filmförderung Hans Joachim Mendig zu AfD-Chef Jörg Meuthen geht, was auch Jan Fleischhauer in seiner Focus-Kolumne ausführlich und ansehnlich beschrieb, die Kubicki hier zitiert.

An diesem und weiteren Beispielen lässt sich gut nachzeichnen, wie sich Prominente aus Film und TV, Musik und Literatur gern für die vermeintlich moralisch einzig richtige Sache einsetzen, so auch als sich Til Schwieger, Jan-Josef Liefers und Herbert Grönemeyer und viele andere 2015 für Xavier Naidoo einsetzten um den Vorwurf zu entkräften, Naidoo stünde den Reichsbürgern nahe oder hege eine offenkundige Schwulenfeindlichkeit. Tja, dieses selbstgerechte Engagement hat sich nicht so gut gehalten, was?!

Apropos selbstgerecht: Tilo Jung. Auch der fehlt nicht. Kubicki schreibt in einem Kapitel über „Rechte Angriffe von links“ (S. 96 ff.) und erwähnt hier natürlich Jungs grandios verballerten Kommentar, der von tiefem politischen Unverständnis zeugt, die „DDR war bis 89 autoritäres Regime. ergo rechts.“ Das schlichte Weltbild Tilo Jungs beneidet Kubicki und merkt an, dass diesem sein Tweet immerhin peinlich gewesen sein müsse, da er diesen löschte „in der bemerkenswerten Hoffnung, dass das Internet vergessen möge und niemand davon erführe, wie niedrig er gedanklich wirklich unterwegs ist.“

Ausgrenzung in den Gender Studies und keine Einigkeit!

Auch auf manch queere Themen kommt der sozial-liberale Politiker zu sprechen: So schildert er einen einigermaßen abstrusen Vorfall an der Humboldt-Universität zu Berlin im Seminar Gender Studies, wo es zu einer sich hochschaukelnden Auseinandersetzung zwischen einer weißen trans*-Person und einer Person of Color (PoC) kam, die die Fachschaft schließlich mit möglichst erhabener Gefühligkeit auflöste. Der Shitstorm, der Patsy l’Amour laLove in gewisser Regelmäßigkeit sicher ist, wird ebenso an einem Beispiel ausgeführt, wie auch der Vorfall um das geplante Kölner CSD 2020-Motto „Einigkeit! Recht! Freiheit!“, dem „nationale Rhetorik“ unterstellt wurde, als Beispiel moralischer Ausgrenzung herangezogen wird.

Natürlich arbeitet sich der streitlustige aber faire Bundestagsabgeordnete immer wieder an der Absolutheit von manchen im Streit aufgebrachten, dann kaum mehr so zu nennenden, „Argumenten“ ab. Mit einem Absolutheitsanspruch kommt natürlich kein vernünftiger Streit, keine solide Debatte, zustande, stattdessen werden Schwarz-Weiß-Welten geschaffen und Feindbilder verfestigt. Wenn, so ein Beispiel, die Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Deutschen Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, in einer Kanzelrede die Fridays for Future-Anführerin Greta Thunberg mit biblischen Propheten vergleiche, mache sie Politik zu einer Glaubensfrage und somit würden Kritik und abweichende Meinungen als Gotteslästerung gelten (vgl. 110 f.). Der Vergleich ergibt allerdings insofern Sinn, als dass wir wissen, dass es auch bei Jesus und seinen Jüngern häufig nur absolute Positionen gab.

Gesunder Menschenverstand und Humanismus

Es soll nun nicht jedes Beispiel aus Meinungsunfreiheit wiedergegeben werden, nur noch so viel: Die Fülle an Beispielen deckt ein derart breites Spektrum ab, dass es auch Kubicki-kritischen Leser*innen nicht allzu leicht fallen dürfte, das Büchlein erst einmal direkt als „neoliberales Irgendwas“ abzutun oder ihm zu unterstellen, sich mit jeder im Buch angeführten Meinung gemein zu machen. Aber wir wissen, sicherlich nicht erst nach Lektüre des Buches, wo ein Wille ist, ist jede (Vor)-Verurteilung möglich. Umso dringlicher ist der Appell Kubickis, eine vernünftige Debattenkultur, vor allem auch in der „politischen Arena“, zu pflegen und es als unsere Aufgabe zu sehen, auch Mindermeinungen nicht „wert- und wortlos unter den Tisch fallen zu lassen“ (S. 140). 

Kubicki stimmt zu keiner Zeit in den Chor derer ein, die behaupten mundtot gemacht zu werden oder keinen Kanal mehr für ihre Stimmen zu finden. Er beklagt allerdings eine gewisse Einseitigkeit und den rechthaberischen, moralinsauren Anspruch einzelner Seiten, Stichwort: Meinungskorridor. Es bedarf nicht mehr als ein wenig gesunden Menschenverstands und dem Wunsch nach einem vernünftigen Miteinander, um das zu erkennen und sich zu bemühen, da auch im Kleinen gegenzusteuern. Die Spalter sind eben nicht immer die anderen. Meinungsunfreiheit ist ein wichtiges Buch, zum richtigen Zeitpunkt.

Eine Leseprobe gibt es hier

Wolfgang Kubicki: Meinungsunfreiheit: Das gefährliche Spiel mit der Demokratie; 1. Auflage, Oktober 2020; 160 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-8648-9293-6; Westend Verlag; 16,00 € (auch als eBook erhältlich, 11,99 €)

AS

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