Von Abaka bis Zylinder(hut)

Zeiten ändern sich. Mit ihnen Gepflogenheiten, Trends, Einstellungen und nicht zuletzt auch die Sprache. Aus diesem Grund werden Wörterbücher regelmäßig aktualisiert, schaut der Rechtschreibrat immer mal, welcher in der Gesellschaft angekommenen Sprachwandlung Rechnung getragen werden sollte. Im größeren Stil erleben wir das aktuell in Bezug aufs Gendern. Das übrigens keine Marotte von Gelangweilten ist, die einer von manchen Kreisen abschätzig interpretierten Identitätspolitik nacheifern.* Es geht dabei unter anderem um Repräsentanz und die Wahrnehmung und Akzeptanz einer sich bereits veränderten Gesellschaft. Dazu sicherlich an anderer Stelle mehr.

Mehrsprachigkeit und Vielfalt

Etwas weniger heiß diskutiert wird nämlich, wie sich manch ein spezieller Bereich in unseren Sprachwelten ändert. Etwa jene der Mode, die, viele mögen es wissen, eine reiche Wortpalette parat hält. „Mode und Sprache – beide sind in stetem Wandel und spiegeln unsere Lebensweise und Kultur wieder. Beide haben eine lange Geschichte mit vielen Einflüssen: linguistischen, kulturellen, ökonomischen und politischen. Neue Trends, Technologien und Materialien brachten neue Wörter hervor. Man denke an den Humpelrock 1910, an den Bikini 1946, in jüngerer Zeit an die neuesten Hightech-Materialien oder an intelligente Textilien“, schreibt Joëlle Murray in der Einleitung der vierten durchgesehenen Auflage ihres Wörterbuchs der Mode, die vor gut einem Jahr im Reclam Verlag erschienen ist.

Dreisprachige Accessoires /Accessories/Accessoires // Illustrationen: © Eva Pehar

Hinzu kommt im Modebereich etwas, das wir sonst primär — und gern satirisch aufgegriffen — aus dem Banking- und Managementbereich kennen: Mehrsprachigkeit innerhalb einer Muttersprache (Hallo, Karl Lagerfeld et al.!). Da ergibt es nur Sinn, dass Murray das entsprechend inhaltsvolle Wörterbuch der Mode dreisprachig gestaltet. So finden wir neben den deutschen Begriffen auch die englischen und französischen. Chapeau (Hut/hat, bspw. chapeau à plume/Federhut/feather hat oder chapeau de soleil/Sonnenhut/sun hat — den wir hoffentlich bald wieder rausholen können)! 

Klassisch gepflegt

Das Wörterbuch der Mode kommt dabei im handlichen Format von 14,5 x 9,5 Zentimetern und ist trotz seiner gut 300 Seiten ein Leichtgewicht, was es umso praktischer für den Alltag macht, wenn’s mal irgendwo hingeht, wo es halt nützlich sein könnte. Wunderbar ist auch die thematische Gliederung in Teilbereiche der Mode, die den Überblick und manch Zuordnung erleichtert. 

Der vielseitige Buchstabe „P“ // Illustrationen: © Eva Pehar

Da beginnen wir ganz klassisch mit der „Damen- und Herrenkleidung“ kommen zu „Tag- und Nachtwäsche, Strumpfwaren“ und „Bademoden und Accessoires“, bevor es auf zwei der ertragreichsten Felder der Modeindustrie geht: „Accessoires“ und „Schuhe“. Dass sich das Wörterbuch der Mode an interessante Laien, Verbraucher*innen, aber auch Personen, die in der Industrie arbeiten, wendet, wird spätestens mit Blick auf die Kapitel „Technische Details und Beschreibungen“ (der längste Abschnitt — spannend!), „Muster und Drucke“ (toll!), „Stoffe und Materialien“ sowie „Maße und Pflegesymbole“ offenbar. Es schließen sich die Register in Deutsch, Englisch und Französisch an, selbstredend mit Verweis auf die jeweilige Seite im Thementeil.

Kragen und Knoten

Ganz wunderbar sind auch die zahlreichen Illustrationen von Eva Pehar, die unterschiedliche Schnittformen und Stile sichtbar machen oder als mögliche Look-Option dienen. Eine Doppelseite zu Röcken oder Kleidern etwa ist etwas, das uns wunderbar verbildlicht, was sonst nicht selten einfach nur als Wort durch den Shopping Queen-Raum oder Ähnliches fliegt. Auch Abbildungen mancher Hemdkragenform dürften hier und da für Aufklärung sorgen. (Vermutlich führe ich das Buch fortan immer mit mir und schlage einfach Seite 119 auf, wenn ich mal wieder schief angesehen werde, nachdem ich „Haifischkragen sind schön, vor allem mit sexy Doppeltem Windsorknoten“ gesagt habe.)

Röcke über Röcke bei „Damen- und Herrenbekleidung“ // Illustrationen: © Eva Pehar

Dazu gibt es auf anderer Seite eine bebilderte Erläuterung des Aufbaus von Hemd- sowie Reverskragen und gleich nebenan Illustrationen von Bubikragen über Dackelohr- und Pierrotkragen zu Troyerkragen. Ähnliches gilt für Kopfbedeckungen, Taschen und Wäsche, selbst zu historischen Dingen wie der Tournüre oder dem nicht totzukriegenden Torselett aus dem Lingerie-Bereich, das aber auch erst einmal benannt werden möchte, finden sich Abbildungen. Gleiches auch bei den Körpermaßen (wo wird also bspw. die innere Beinlänge oder die Rückenlänge gemessen) und Pflegeymbolen. So weiß ich auch endlich, was die Balken unterhalb des Temperaturbottichs bei den Pflegehinweisen meiner Kleidung bedeuten.

Mehr als nur einen Schulterblick wert

Ob also für den professionellen Gebrauch, die Verwendung im an Begegnungen mit Mode und allem was dazugehört nicht armen Alltag oder auch einfach mal zum Blättern — das Wörterbuch der Mode ist auch ein kleiner Trip in die Modegeschichte und die Veränderung von Stil und Co. —, das Büchlein bietet sich als Begleitung durchaus an. Sehr nützlich erwies es sich hier zuletzt auch bei der eingehenden Lektüre des famosen Text-Bildbandes Oscars – Glamour auf dem roten Teppich. Eine Fashiongeschichte der Academy Awards von Dijanna Mulhearn, das kürzlich im Prestel Verlag erschien und wir ebenfalls heute besprochen haben. 

Kleider nicht nur für den Roten Teppich // Illustrationen: © Eva Pehar

In diesem finden sich so viele Details zu den verschiedenen Abendroben und Outfits, dass es beinahe ein kleines Fest war, so manches Detail auch noch einmal im Wörterbuch der Mode nachzuschlagen und sich zu vergewissern, dass die eigene Interpretation stimmt — oder eben etwas Neues zu lernen. Und was gibt es Schöneres, als konstant dazuzulernen? Entwickeln wir uns also wie die Sprache und bleiben auch beim lasziven Schulterblick zurück bestenfalls nie stehen.

AS

PS: * apropos Identitätspolitik und der Verunglimpfung der Bedeutung des Begriffs: Es ist spannend, wie jene, die doch die „Reinheit der Sprache bewahren“ wollen (Hallo, ihr völkischen Denker), sich Begriffe aneignen und deren Bedeutung verfremden, ja verfälschen. Was bedeutet das? Bewahrung einer Begriffsklitterung? 

Joëlle Murray: Wörterbuch der Mode; 4. durchgesehene Auflage 2022; 318 Seiten, 200 Illustrationen (Eva Pehar); Klappenbroschur; ISBN: 978-3-15-014257-8; Reclam Verlag; 11,80 €

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