Berlin liest – oder guckt jedenfalls Bücher

An diesem Wochenende heißt es statt Wien tanzt! einfach mal Berlin liest! (Wobei, nun, das stimmt nicht so ganz. An diesem Samstag findet mit der Regenbogenparade sowie diversen Afterpartys das große Finale des Vienna Pride statt, am morgigen Freitag gibt es den Pride Run via Wiener Ringstraße und dies alles eingerahmt vom Pride Village – mehr Infos hier. Zudem liest auch Wien, denn der geschätzte Zsolnay Verlag feiert in diesem Jahr den 100. Geburtstag. Anlässlich dieses feinen Jubiläums veranstaltet der Verlag am 8. Juni 2024 bei freiem Eintritt ein großes Lesefest im Belvedere 21, u. a. mit Dominik Barta, Daniel Glattauer, Lisz Hirn, Brigit Birnbacher, Karl-Markus Gauß, Toxische Pommes oder Elias Hirschl sowie einem Gespräch mit Verlagsleiter Herbert Ohrlinger. Also liebe Wiener*innen, nahwohnende Österreicher*innen und Oberbayer*innen – ab nach Wien; mehr Infos hier und ein Zsolnay-Highlight gibt es dieser Tage bei uns.)

Üppiges #WeBookBerlin

Zurück nach Berlin. Unter dem Motto #WeBookBerlin (ob das nun für WochenendeBuchBerlin oder WirBuchBerlin steht, sei euch überlassen) findet am Samstag und Sonntag jeweils von 11:00 bis 19:00 Uhr bei freiem Eintritt (was gut ist, ihr werdet genug Geld für Bücher ausgeben wollen) auf dem Bebelplatz in Berlin-Mitte das große Berliner Bücherfest statt. Für alle Fußballbegeisterten: Das ist quasi neben der Fanmeile fürs EM-Spektakel. Solide 93 (der um die 427) Berliner Verlage stellen sich vor, präsentieren sich, ihre Bücher und also ihre Programme und warten zum Teil mit Signierstunden, Mitmachaktionen und Lesungen sowie Gesprächen auf. Zudem werden 29 der 342 Berliner Buchhandlungen präsent sein.

Im Programmheft des vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels Landesverband Berlin-Brandenburg veranstalteten und finanziell von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe unterstützten Berliner Bücherfests heißt es:

Martina Tittel, 1. Vorsitzende, Johanna Hahn, Geschäftsführerin, Börsenverein Landesverband Berlin-Brandenburg e. V.

Demokratie und Meinungsvielfalt

Nun steht nicht nur die Fußi-EM bevor, sondern auch die Olympischen Spiele in Paris (die aus guten Gründen im Vorfeld für Aufregung sorgen). Außerdem findet am Sonntag die Europawahl statt und in acht Bundesländern zugleich Kommunalwahlen, unter anderem auch in vier der fünf Ost-Länder. So gelten diese in Brandenburg und Sachsen etwa als Stimmungstest für die anstehenden Landtagswahlen im September.

In diesem Kontext passt es sehr gut, dass im Mittelpunkt des Veranstaltungsprogramms in diesem Jahr die Themen Demokratie und Meinungsvielfalt stehen. Erneut Johanna Hahn:

In diesem Zusammenhang finden in den drei Veranstaltungszelten diverse Lesungen sowie Podiumsdiskussionen statt, die stark ins Politische gehen. So stellt Melanie Möller am Samstagmittag beispielsweise ihr soeben im Verlag Galiani Berlin erschienenes Buch Der entmündigte Leser vor. Im selben Zelt moderiert ab 15:00 Uhr Jens Balzer „PEN Berlin fragt nach: Antisemitismus im Kulturbetrieb?“ Diskutieren werden der Berliner Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Joe Chialo, die Soziologin Prof. Dr. Teresa Koloma Beck und der Sprecher des PEN Berlin Deniz Yücel. (Und wir hoffen, dass die Meinungsvielfalt ernstgenommen und die Veranstaltung nicht massiv gestört und/oder verhindert wird…) Im benachbarten PalaisPopulaire findet der Workshop: Diversity & Me – was hat eine vielfältige Gesellschaft mit mir zu tun? statt (Anmeldung erforderlich).

Nichts ist unpolitisch 2.0

Nicht weniger politisch sind die Samstagsveranstaltungen „Was hat Bildungsgerechtigkeit mit Demokratie zu tun?“ (Kleines Zelt) oder das Buchgespräch mit Autorin und Mitbegründerin und Herausgeberin des Missy Magazine Stefanie Lohaus und Maria-Christina Piwowarski zu Stärker als Wut. Wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht (Suhrkamp Verlag).

Am Sonntag geht Klaus Lederer im Großen Zelt Mit Links die Welt retten (Kanon Verlag), Judith Drews fragt im Kinder- und Jugendzelt Und wie wohnst Du? (Verlag Jacoby & Stuart), es wird über Demokratie und Politik in Bibliotheken diskutiert (da isser wieder, der Lederer), Knut Elstermann spricht mit Matthias Nawrat über dessen Europa-Buch Über allem ein weiter Himmel (Rowohlt Verlag). Zum Tages- und Bücherfestabschluss spricht Linus Giese im Großen Zelt über die von ihm mit Miku Sophie Kühmel herausgegebene Anthologie Brüste (Tropen Verlag), dies gemeinsam mit den Autor*innen Sarah Berger, Kirsten Achtelik und Michaela Dudley.

Queerness? Queerness!

Womit wir schon dezent zum Themenfeld Queerness kommen. Die gibt’s natürlich reichlich. Dies „nicht nur“ weil etwa die Salzgeber Buchverlage, der Querverlag oder der ebenfalls mit queeren Bücher gut ausgestattete Orlanda Verlag auf dem Berliner Bücherfest vertreten sind (den Standplan findet ihr hier). Nein, auch in den Zelten geht es queer zu. So stellt Querverlags-Gesellschafter Marc Lippuner gemeinsam mit dem Zeitzeugen René Koch sein kürzlich im B&S Siebenhaar Verlag erschienenen Band Eldorado“ Berlin. Expeditionen zum anderen Ufer vor (Samstag, ab 12:00 Uhr im Kleinen Zelt, Moderation: Dagmar Boeck-Siebenhaar) – unsere Besprechung lest ihr demnächst.

Selbes Zelt, andere Zeit (16:00 Uhr): Lars Werner liest aus und spricht über sein feines Buch Zwischen den Dörfern auf hundert, das im Frühjahr 2023 im Albino Verlag erschienen ist und irgendwie wie Arsch auf Eimer zu den Kommunal- und Landtagswahlen (im Osten) passt. Unsere Rezension lest ihr hier. Im Kinder- und Jugendzelt stellen die schreibenden Influencer darkviktory und Kostas Kind ab 18:00 Uhr ihre bei Fischer Sauerländer erschienene Young-Adult-Novel-Liebeskomödie Secondhand Toyfriend vor (wir werden das ab 14 Jahren empfohlene Buch sowie Hörbuch noch im Pride Month besprechen).

Am Sonntag tritt wie erwähnt Klaus Lederer mehrmals in Erscheinung; Robert Stadlober liest und singt Kurt Tucholsky: »Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut« (Verbrecher Verlag) und nachmittags geht Kevin Junk auf Einladung des Querverlags und des Verlagshauses Berlin in Lesung und Gespräch zu Queerer Lyrik mit Alexander Graeff, Odile Kennel, Hatice Açıkgözl und Jena Samura – da wird’s sicherlich voll im Kleinen Zelt.

Namedropping und zwei Highlights

Hier noch ein wenig Namedropping: Zoë Beck, Anna Faroqhi, Thorsten Nagelschmidt, Hanno Hochmuth, Regina Feldmann, Alan Posener, and then some.

Zu guter Letzt sei noch auf diese zwei (vermuteten) Highlights hingewiesen: Im Kafka-Jahr kommt natürlich auch das Berliner Bücherfest nicht ohne Franz Kafka aus. Der für seinen Trottel für den Deutschen Buchpreis nominierte Jan Faktor und die Schriftstellerin Gisela von Wysocki stellen den von Sebastian Guggolz (ja, der vom famosen Guggolz Verlag) herausgegebenen, bei S. Fischer erschienenen Band Kafka gelesen. Eine Anthologie vor (Großes Zelt, 13:00 bis 14:00 Uhr). In diesem sind 27 schreibende Stimmen (u. a. auch Michael Kumpfmüller, der den Bestseller Die Herrlichkeit des Lebens schrieb, der kürzlich verfilmt wurde und den wir gern gesehen haben) versammelt, die ihre persönlichen Kafka-Erfahrungen – die sicherlich auch mal kafkaesk anmuten – mit uns teilen. Eine Besprechung folgt.

Und ebenfalls am Sonntag wird zwischen 15:00 und 16:00 Uhr im Kleinen Zelt der Band Provinzlust – Erotikshops in Ostdeutschland (Ch. Links Verlag) vorgestellt. Dazu heißt es: „Uta Bretschneider und Jens Schöne beschreiben anhand der Erfahrungswelten und Lebenswege von Erotik– und Sexshop-Inhaber:innen die Möglichkeitsräume und -grenzen sowie die Wandlungsprozesse in ländlich geprägten Regionen und Kleinstädten bis heute. Der Band gibt Einblicke in ein intimes Kapitel der Transformationsgeschichte.“ Das dürfte interessant werden – der Band, den wir in Bälde ausführlich besprechen werden, ist es in jedem Fall.

Wobei: Das ganze Wochenende auf dem Bebelplatz (hier ist übrigens die Ausstellung „Verbrannte Orte“, die sich mit der Geschichte der Bücherverbrennungen im Nationalsozialismus auseinandersetzt, zu sehen) dürfte interessant, spannend, unterhaltsam, hoffentlich im besten Sinne herausfordernd und bitte, bitte angenehm sonnig werden. Gute Gespräche, gepflegter Austausch und manch Neuentdeckung sind wohl garantiert.

QR

PS: Wir von the little queer review sind übrigens auch in diesem Jahr wieder Teil der #PrideBuch-Kampagne, die von der Queer Media Society, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels sowie der Frankfurter Buchmesse initiiert wurde. Mehr dazu findet ihr u. a. bei Instagram, ebenfalls findet ihr bei den Kolleg*innen von PinkDot-Life eine Empfehlungsliste wie auch via VLB-TIX.

Postkarte Berliner Bücherfest (Gestaltung: Julia Dürr)

Das ganze Programm und weitere Informationen findet ihr hier.

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