Heiße Ware

Als bei der Preisverleihung zum Deutschen Sachbuchpreis im letzten Jahr – sehr zurecht – bemängelt wurde, dass die Thematik „Klimaschutz“ bisher kaum oder vielmehr gar nicht auf den Nominierungslisten des noch immer jungen Preises gewesen sei, war die Aufregung im Publikum merklich. Es scheint, dass sich auch manche der Verlage dies zu Herzen genommen haben. 

In diesem Jahr sind es nämlich direkt zwei Bücher, die sich zumindest im weiteren Sinne mit Klima- und Umweltthematiken befassen. Es ist einerseits Müll von Roman Köster aus dem C.H. Beck-Verlag, das sich mit den menschlichen Hinterlassenschaften beschäftigt und hieraus eine ganze kulturhistorische Analyse zaubert. Und auch Suhrkamp hat offenbar die Zeichen der Zeit erkannt und mit Jens Beckerts Verkaufte Zukunft – Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht einen Titel ins Rennen geschickt, dessen Thematik nicht einmal jemand mit verrotteten Tomaten auf den Augen fehlinterpretieren kann.

Das große Versagen

Beckert legt auf weniger als 200 Textseiten plus einer Reihe von Endnoten sehr prägnant dar, warum wir im Kampf gegen den Klimawandel immer noch und immer wieder versagen – und das, obwohl wir doch ganz genau wissen, welche Zeitbombe da tickt (große Teile der AfD und Klimaleugner*innen einmal ausgenommen). In neun Kapiteln gibt Beckert zuerst einen Überblick und ein analytisches Grundkonstrukt für seine weiteren Ausführungen, widmet sich den großen Verschmutzern um die fossilen Unternehmen und den Gründen, warum Gesellschaft und vor allem Politik so träge bei der Bekämpfung des Klimawandels sind.

Er stellt die Frage nach weltweitem Wohlstand und zeigt, wieso ungezügelter Konsum, der dem kapitalistischen System inhärent ist, uns von Anstrengungen zum Klimaschutz abhält. Schließlich stellt er die Frage nach grünem Wachstum, von planetaren Grenzen und wie wir angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe dennoch unser Verhalten anpassen könnten – und sollten.

Jenseits der Schrillheit

Fridays for Future, Extinction Rebellion und die Letzte Generation machen bereits seit mehreren Jahren lautstark auf die Problematiken des Klimawandels aufmerksam – und wir sind überwiegend nur noch genervt oder hören weg. Das mag daran liegen, dass viele Menschen sich von „Gören“ nichts sagen oder in ihrem Handeln einschränken lassen wollen. So weit, so… nun ja, nachvollziehbar. 

Mit Jens Beckert aber ist da jemand, dessen Buch nicht schrill und vermeintlich belehrend daherkommt, im Gegenteil. Er arbeitet sehr gründlich, deutlich und eindrücklich heraus, dass unser permanentes Wegsehen systemische Ursachen hat. Ja, die kapitalistische Logik, die auf permanentes Wachstum abzielt, ist ein Problem für das globale Ökosystem und Beckert erklärt mit wissenschaftlichem Anspruch, was die (de-)motivierenden Faktoren sind, denen wir auf gesellschaftlicher Ebene in Hinblick auf den Klimaschutz begegnen.

Mut zur Lücke

Er setzt sich kritisch mit den großen Ölkonzernen und deren Strategien auseinander, aber auch mit den Ausbauhindernissen für erneuerbare Energien oder den Faktoren, die uns davon abhalten, unseren Alltag klimaverträglicher zu gestalten. Von ihm hören wir in einer stringenten Argumentation, warum Wind- und Solarenergie vermutlich sinnvolle Alternativen zu Öl, Kohle und Gas sind – allein wirken sie bisher eher als Ergänzung oder Feigenblatt, denn der Konsum fossiler Energien steigt im Windschatten des Ausbaus der Erneuerbaren kontinuierlich an. Der Ersatz dieser Klimakiller ist also mehr Mythos, als wir uns eingestehen wollen.

Er weitet gekonnt den Blick in die Regionen, die für die Bekämpfung des Klimawandels entscheidend sein werden – die „Entwicklungsländer“ (wie er sie etwas veraltet meist noch bezeichnet) – und hat gleichzeitig den Mut, für seine Argumentation weniger essentielle Bereiche wie die Industrie jenseits der Energiewirtschaft nur so eingehend zu behandeln, wie es sein muss. Etwas ausführlicher hätte er allerdings auf die Potentiale der Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz eingehen können, denn hier mag es durchaus das eine oder andere Potential geben, das wir bis heute nicht kennen und deshalb nicht heben.

Aufräumen mit Mythen

Mit dem oft propagierten Schlagwort des „Grünen Wachstums“ setzt er sich kritisch auseinander, urteilt das Konzept nicht von vorneherein ab, aber legt doch sehr überzeugend dar, wieso der Gedanke in der Realität vor allem in seinem Umfang nicht umsetzbar sein dürfte. Einzig eines vermag auch er am Ende nicht zu liefern, obwohl er es versucht: eine Lösung für das globale und gesellschaftliche Klimaproblem. Er zeigt die Problemlagen, vor denen die Menschheit steht, zwar sehr gut auf, aber wirklich überzeugende Lösungen, die ein zuverlässiges Gegensteuern ermöglichen, bleibt auch er trotz ernsthafter Bemühungen am Ende schuldig. 

Gleichzeitig ist aber auch klar: Hätte er sie, wäre er nicht mehr „nur“ Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, sondern Bundesminister für Umwelt, Wirtschaft und Klimaschutz, Bundeskanzler, EU-Klimaschutzkommissar und UNEP-Chef in Personalunion. Zumindest wäre das dann für Menschheit und den Planeten Erde wünschenswert.

It’s society, stupid

Gerade die Sozialwissenschaften haben aus Jens Beckerts Sicht die Aufgabe, die gesellschaftlichen Problemstellungen zu lösen, die der Klimawandel für uns bereithält. Oder sie haben zumindest für ihre breite Artikulation zu sorgen. Zu dieser Artikulation trägt Verkaufte Zukunft einen sehr wesentlichen Teil bei.

Die Nominierung für den Deutschen Sachbuchpreis ist – nach der Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse vor wenigen Monaten – also nur folgerichtig. Ob die Jury sich am Ende dafür entscheiden wird, dieses Buch auszuzeichnen, werden wir am 11. Juni erfahren, wenn die Preisverleihung in der Hamburger Elbphilharmonie stattfindet (mehr dazu hier). Wünschenswert wäre es, denn Verkaufte Zukunft arbeitet sachlich, unaufgeregt und fundiert heraus, an welchen gesellschaftlichen Problemen der Klimaschutz bis heute scheitert.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Jens Beckert: Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht; März 2024; 238 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; IBSN: 978-3-518-58809-3; Suhrkamp Verlag; 28,00 €

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