Sex and the City, aber bitte queer

Torrey Peters empfiehlt mit ihrem Roman „Detransition, Baby“ das trans*Sein als neue Normalität.

Von Nora Eckert

Nein, es geht überhaupt nicht politisch korrekt zu in Torrey Peters Debütroman. Schonung gibt es schon aus Gründen der Gerechtigkeit nicht. Weder für uns Leser*innen noch für all jene, die sich im Roman zwischen queerer Bubble und großer weiter cis-Welt bewegen. Denn Peters erlaubt sich in menschlichen Fragen unverschämt offen zu sein. Das ist herzerfrischend, sehr oft komisch, dazu intelligent und außerdem politisch unbestechlich, wo immer sie das binäre Weltbild in seiner Lächerlichkeit vorführt und gleichzeitig Kritik an Ritualen und Tabus der trans*Community übt. In ihrem Fall ist es die New Yorker queere Szene, aus deren Fundus sie schöpft. Es ist eine Stadt des „Think big“, in der Horizontverengungen eher selten sind.

Ihren Roman nenne ich einen literarischen Volltreffer. Er ist wie eine Soap Opera für intellektuell fortgeschrittene Leser*innen, die von schrägen und ebenso perfekt sitzenden Dialogen nie genug bekommen können. Womit wir sehen, Lockerheit ist auch eine Frage der Formvollendung und schließt – ganz wichtig! –Tiefgang nicht aus.

Das Konzept lieferte „Sex and the City“, und Peters macht daraus eine literarische Studie zum Thema queere Beziehungskisten, angereichert mit dem leicht stachligen Charme der „Golden Girls“ (so meine gelegentlichen Assoziationen) und den politisch geschärften Erkenntnissen der Gender Studies. Ich meine darin eine Botschaft vernommen zu haben oder bilde sie mir auch nur gerne ein: Die Menschheit möge doch endlich trans* werden. Das zwischenmenschliche Chaos wäre sie damit zwar nicht los, aber sie könnte mit ihm dann wenigstens ehrlicher umgehen. Denn darum geht es – um Ehrlichkeit in menschlichen Angelegenheiten. Die Autorin weiß, wann sie die verbalen Blitzlichtgewitter abschaltet, um Raum zu schaffen für die wirklich bewegenden menschlichen Wahrheiten, die freilich immer erst gefunden werden müssen.

Doch der Reihe nach. Im Mittelpunkt stehen drei Personen und die Aussicht auf ein Baby. Die Drei sind drauf und dran, ein neues Familien- und Eltern-Modell zu kreieren: Die Transfrau Reese, die nicht weiß, wie und wo sie ihre Mütterlichkeit unterbringen soll, dann die ehemalige, inzwischen detransitionierte Amy, die jetzt wieder als cis-männlicher Ames lebt, und Katrina, eine schwangere cis-Frau, die sowohl als die Chefin als auch die aktuelle Geliebte von Ames auftritt. Als Ames noch Amy war, hatte sie ein Verhältnis mit Reese, das zwar beendet, aber nie wirklich aufgehört hat. Man bleibt eben an den schönen Dingen des Lebens hängen, ob man will oder nicht, woran auch eine Detransition nichts ändert.

Weil Ames sicher war, nach Östrogen-Vergangenheit und Testosteron-Blockern nicht mehr zeugungsfähig zu sein, wird Katrinas Schwangerschaft zum erklärungsbedürftigen Wunder. Die mittlerweile 39-jährige zukünftige Mutter, traumatisiert durch eine frühere Fehlgeburt, will aber genau das nicht – ein Kind. Und so kommt Ames auf die glorreiche Idee, Reese in die Beziehung als Co-Mutter hinein zu holen. Damit wäre allen geholfen, so Ames Kalkulation: Reese könnte ihre Mütterlichkeit ausleben, während Katrina sich ungestört ihrer beruflichen Karriere widmet, und Ames hätte die neue und alte Liebe unter einem Dach. Bliebe nur noch die Beziehungsfrage zwischen den beiden Müttern zu klären.

Um das literarisch zu bewerkstelligen, wechselt Peters von Kapitel zu Kapitel zeitlich vor und zurück, denn jede Geschichte hat eine Vorgeschichte, die die Gegenwart mal erklärt, mal verklärt und mal verkompliziert. So entstehen zwei Erzählstränge: Hier Katrinas Entdeckung, schwanger zu sein und die sich daraus ergebenden Zukunftsüberlegungen, dort Ames Vorleben als Transfrau samt der Liebesbeziehung zu Reese und natürlich die Lebensgeschichte von Reese, in der ihr unbezähmbarer Muttertrieb den roten Faden bildet, und die wir ansonsten als charismatische, stets schlagfertige Frau erleben mit lebensphilosophischen Ratschlägen, die sie selber leider nicht beherzigt. Währenddessen wächst der Embryo von Woche zu Woche heran. Mit der zwölften Woche jedoch endet der Roman (wenn auch nicht die Geschichte von Katrina, Ames und Reese).

Der Roman bespielt drei große Themen: Sexualität, Muttersein und Kinderwunsch, Transition und Detransition. Alle drei hängen miteinander zusammen und alle drei beschreibt Peters aus der jeweiligen Perspektive der zentralen Figuren. Bei der Sexualität geht es ganz klar um die Männerfrage, nämlich wer eigentlich die Sexualpartner im Falle von Transfrauen sind. Und die Frage kann nur im Plural beantwortet werden, für die Reese wiederum unschlagbare Kompetenz beweist, denn sie ist ein absolut sexuelles Wesen. Für sie enthält Sex immer auch etwas Identitätsstiftendes, ist pures Empowerment. Durch sie erfahren wir, dass trans* in der Libido-Ökonomie von cis-Männern einen festen Platz besitzt. Das ist zwar keine neue Erkenntnis, aber es schadet nichts, gelegentlich daran zu erinnern.

Es sind insbesondere verheiratete cis-Männer, die auf trans* ansprechen. Warum ist das so? „Die bequemere Antwort, für die alle ihre Freundinnen plädieren: Männer sind Tiere.“ Doch Reese sieht das egoistischer: „Mit verheirateten Männern ließ sich die Einsamkeit am besten vertreiben, denn verheiratete Männer konnten selbst nicht allein sein.“ Das entscheidende Argument ist jedoch der gute Sex und die Bequemlichkeit aller Routine. Warum sollte Reese scheue Jungs überzeugen, „wie sexy ein Mädchen mit einem Schwanz ist, wenn es Tausende Männer gab, die das schon wussten“? „Sie verachtete die trans Frauen, die Menschen verachteten, die auf trans Menschen standen. Es war einfach dumm, alle Männer auszusortieren, die begriffen haben, dass sie auf deinen Körper stehen.“ Aber Sexualität ist noch mehr, wie uns Katrina und Ames und ebenso Amy und Reese vorführen, um uns zugleich das allgegenwärtige Thema Fetisch zu veranschaulichen.

Bei Peters taugt das Thema Detransition vor allem nicht als Argument gegen trans*. Amy ist zwar inzwischen Ames, aber schon die Namenswahl signalisiert, dass er nicht aufhört, trans* zu sein, denn das ursprüngliche James wollte er nicht zurückhaben. Und was ihn am meisten auf die Palme bringt, das ist Mitleid. Er begreift es vielmehr als „die große Lektion“, „dass man nie alle Perspektiven kennt, […] dass man einfach herausfinden muss, was man will, und es dann tut“. „Und wenn man nicht weiß, was man will, tut man vielleicht trotzdem was und alles ändert sich, und so zeigt sich dann vielleicht, was man wirklich will.“ Wie es schließlich zur Detransition kommt, soll hier nicht verraten werden (nachzulesen ist es im 8. Kapitel). Der „Sirenengesang“ der Transfrauen hält ihn weiterhin gefangen, weshalb Ames jede Begegnung mit einer Transfrau versucht sein lässt, „von ihr die Bestätigung zu bekommen dazuzugehören“. Ja, es bettelte etwas in ihm, „freigelassen zu werden, zu ihr zu rennen und um Aufmerksamkeit zu flehen“. 

Und dann wäre da das Muttersein, der Kinderwunsch und die Absicht, die patriarchale Kleinfamilie queer aufzumischen. Aber stimmt denn die Chemie zwischen Katrina und Reese? Können sie zwei Mütter auf Augenhöhe sein? Ihr erstes Kennenlern-Treffen ist eines der dramaturgischen Highlights. Man verabredet sich zu einer Gala und befindet sich inmitten einer glamourhaften Gesellschaft, an der alles nur Oberfläche ist, während das Treffen und das Gespräch genau das Gegenteil zum Ziel haben: zu entdecken, wie das Sein hinter dem Schein aussieht. Reese darf nun hoffen, Scheitern und trans*Sein nicht mehr für dasselbe halten zu müssen. Und so wechselt die Tonlage vom Smalltalk ins nachgerade Philosophische, ins Existentialistische. Wobei Reese daran erinnert, dass der Kinderwunsch von Transmenschen eben nicht als „natürlich“ gehalten werde. Genau diese Natürlichkeit werde einem abgesprochen, „wenn ich sage, dass meine biologische Uhr tickt, weil mir eine biologische Uhr gar nicht erst zugestanden wird“. 

Das Ende darf nicht verraten werden, aber der Weg dorthin auf den letzten hundert Seiten ist vom Feinsten und hochdramatisch – ein reichgefülltes Sortiment an Psychologie und Gesellschaftssatire mit Szenen aus einer ziemlich durchgeknallten cis-Welt im bissigen Sitcom-Format und dazu noch einige „hübsche“ Überraschungen, die durchaus an die Nieren gehen. Nicht unerwähnt seien hier die Übersetzer*innen Nicole Seifert und Frank Sievers, die durch eine flüssige und gutsitzende Übersetzung nicht ganz unbeteiligt sind an der Lektürespannung auf immerhin 456 Seiten.

Für „Detransition, Baby“ wurde der Autorin der Hemingway-Preis zugesprochen. Da kann die Ankündigung einer Verfilmung des Romans kaum noch überraschen. Was dieser Roman auf keinen Fall ist – nämlich eine therapeutische Wohlfühlanleitung für Bubble-Bewohner*innen, dafür um so mehr eine Ermutigung für mehr trans*Wirklichkeit unter der Devise: Stand up!

Nachspiel 8000 km südlich von New York:

Es nicht anzunehmen, dass alle Transfrauen Mütter sein wollen, so wenig wie es von allen cis-Frauen anzunehmen ist. Aber der Wunsch ist da, woran mich ein anderer Roman erinnerte, wo ich las: „Wir trans Frauen hatten alle Mütter sein wollen, es ist eigenartig, wie sehr wir alle dasselbe gewollt hatten.“ Der Satz stammt aus Camila Sosa Villadas autobiografisch gefärbtem Roman „Im Park der prächtigen Schwestern“, der im Original hingegen „Las Malas“ heißt – also „die Bösen“.

8000 km südlich von New York gibt es also auch Transfrauen – wie natürlich überall auf dieser Welt. Bei Villada sind es Sexarbeiterinnen, die nachts in einem Park der nordargentinischen Stadt Córdoba ihre Dienste anbieten. Unter ihnen ist Tia Encarna, die sich schon immer ein Kind wünschte und es eines Nachts tatsächlich findet, wimmernd in einem Gebüsch versteckt, dort ausgesetzt und seinem Schicksal überlassen. Sie nimmt es an sich, zieht es auf und schafft es später, als ihres auszugeben, bis es schließlich auch amtlich ist. Das geht ans Herz – ohne falsche Sentimentalität. Das Kind wächst heran und versteht, dass es Mama und Papa in einer Person hat. Nicht alle Kinder hätten dieses Glück, versichert es uns. Encarna ist stolz auf ihr Kind, das den schönen Namen Glanz trägt. Weil es so klug ist, kommt es nie durcheinander – es nenne sie draußen Papa und daheim Mama.

Auch dies eine Leseempfehlung für einen Roman, der in all der brutalen Lebenswirklichkeit von Transmenschen immer auch einer berührenden Menschlichkeit auf der Spur ist: „Die Tia Encarna sagte immer: ‚Jede von uns hat bei der Verteilung der Gaben die Fähigkeit zur Transparenz und die Kunst zur Blendung erhalten.‘ Wir hatten uns alle angewöhnt, sehr schnell zu gehen, an der Grenze zum Trab. Das Tempo unserer Schritte ergab sich aus dem Bedürfnis, transparent zu sein. Sobald unsere Leiblichkeit sich erneut verfestigte, schrien uns Männer, Frauen und Kinder, Alte und Junge ihr Nein entgegen, dass wir eben nicht transparent waren, dass wir trans waren und damit alles, was in ihnen den Wunsch nach Beleidigung, nach Ablehnung weckte. Deshalb arbeiteten wir, mehr oder weniger geschickt, daran, transparent zu sein.“

PS: Auch wenn ich einen Punktsieg über Political Correctness im Fall von „Detransition, Baby“ behaupte, hatte der Ullstein Verlag es nicht versäumt, prüfen zu lassen, ob denn begrifflich alles korrekt sitze und zumutbar sei. Deshalb steht auf der Impressum-Seite dieser Satz, der mir noch nie begegnete und Erwähnung verdient: „Der Verlag bedankt sich herzlich bei Linus Giese für sein Sensitivity Reading.“ Ich muss ihn bei nächster Gelegenheit mal nach seinem Urteil fragen.

Nora Eckert ist Publizistin und Ausführender Vorstand bei TransInterQueer e. V.

Hinweis: Buchpremiere mit Torrey Peters und Inga Busch im Gespräch mit Christian Dunker am 12. Mai um 19:00 Uhr bei Geistesblüten und am 13. Mai wird Torrey Peters bei shesaid lesen.

Torrey Peters: Detransition, Baby; Aus dem Englischen von Frank Sievers, Nicole Seifert; März 2022; Hardcover mit Schutzumschlag; 464 Seiten; ISBN: 978 3 550 20204-9; Ullstein Verlag; 24,00 €; auch als eBook

Camilla Sosa Villada: Im Park der prächtigen Schwestern; Aus dem Spanischen von Svenja Becker; Januar 2021; Klappenbroschur; 220 Seiten; ISBN: 978-3-518-47118-0; Suhrkamp Taschenbuch; 14,95 €; auch als eBook

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