Plauderstunden rund ums Geschlecht

Kristina Schippling und Harald Seubert führen einen Dialog über Geschlechteridentitäten und -differenzen und möchten gerne Fronten aufbrechen. Handlich verpackt und ediert ist das Ganze in einem Band der Reflexe-Reihe des Schwabe Verlags.

Von Nora Eckert

Sie sprechen sich immer wieder gerne mit „liebe Kristina“ und „lieber Harald“ an, kennen sich wohl schon länger, und es ist nicht ihr erstes Gespräch; persönliche wie intellektuelle Vertrautheit klingt aus ihrem Dialog. Der Umgang ist äußerst freundlich, entspannt, und sie sind gern einer Meinung. Offene Fragen sind nicht ihre Sache und Konträres schon gar nicht. Sie ist Schriftstellerin und Filmregisseurin und er ist Philosophieprofessor, und sie reden über das, was sie und wohl alle Menschen haben – nämlich über Geschlecht und am liebsten im Plural.

Das ist durchaus vernünftig und zeugt von Aufgeklärtheit. Ihr eigenes lassen sie weitgehend ausgespart, und räsonieren dafür lieber über das der anderen – das sind dann die Frauen und die Männer und eben jene Menschen, die zur Vermehrung des Geschlechterspektrums beitragen. Der Dialog bleibt akademisch-niveauvoll, hält sicher die Spur auf konsensfähigen Wegen, scheut sich nicht vor Banalitäten, wo andernorts die Diskurswellen oft mächtig hochgehen: Genderfrage und Gendertrouble und damit die brennende Frage, wer sich denn nun Frau und wer Mann nennen darf

Genau die Frage bleibt aber offen beziehungsweise wird durch sprachliche Umleitungsschilder mitten in den Paradigmenwechsel gelenkt. Ja, man wolle die Fronten aufbrechen und „kulturelle, biologische, gendertheoretische und mythologische Zusammenhänge in ein Gespräch“ bringen zum Thema Frau und Mann samt „Zwischenformen“. Nun ja, die Zusammenhänge haben zwar nicht miteinander kommuniziert, aber es reichte ja, dass Kristina und Harald es taten.

Die Rede kam dann auf die „sich vermischenden Polaritäten“, die „ein ganzes Feld an neuen diversen Geschlechtern“ eröffnen würden. Hört sich nicht schlecht an und bleibt inhaltlich doch seltsam vage und irgendwie oberflächlich. Denn bei aller behaupteten Pluralität und Diversität scheinen Kultur und Gesellschaft davon nichts oder nur wenig widerzuspiegeln. Der Standard bleibt eindeutig weiblich und männlich justiert. Geschlechterstereotypen sind nach wie vor Trumpf. Und was hilft dagegen? Kristina Schipplings Vorschlag lautet: „Wenn die Stereotypen spielerisch zwischen den Geschlechtern als Attribute wechseln, sind sie ihrer Wirkung enthoben. Das wäre doch ein großer Schritt der Befreiung.“ Aber wie macht man das, Attribute wechseln?

Harald Seubert, der Philosoph, bleibt dem Wunschbild der Vermehrung des Geschlechterspektrums jedenfalls treu und beschreibt einen Wechsel weg „von einem statisch biologischen Paradigma“ hin zu einer „Phänomenologie der Geschlechtlichkeit in ihren vielfachen individuellen Spielarten“. Um nicht falsch verstanden zu werden, ich bin da ganz bei Schippling und Seubert, wo es um den Paradigmenwechsel in der Frage von Geschlecht geht, aber ein wenig konkreter und analytischer hätte es schon sein dürfen. Schon deshalb, weil in gewissen Debatten der geschlechtlichen Vielfalt gern das Totschlag-Argument (wie ich es nenne) „biologisches Geschlecht“ entgegengehalten wird. Genau hier hätte ich mir ein paar tiefgründige Gesprächsschleifen gewünscht.

Stattdessen tritt ein wenig Prominenz auf – beispielsweise berühmte Paare, wie Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre oder Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Die Geschlechterfrage muss man hier freilich nicht erst suchen, aber die Geschichten drum herum sind halt auch nicht gerade neu. Und das Resümee aus solchen Beziehungskisten fällt dann bemerkenswert banal aus, wenn es heißt, „dass kein Mensch frei von Fehlern ist und man hier beide Seiten der Beziehung betrachten muss“. Sicher, was denn sonst. Aber gute Ratschläge kann man auch selbst beherzigen.

An gutgemeinten Vorschlägen hat es bei den beiden keinen Mangel, aber warum klingen die oft so banal, wobei ich nichts gegen einfache Wahrheiten habe, aber dass die Akzeptanz der Pluralität weniger Ausgrenzung von Minderheiten bewirke, ist doch wirklich simpel. Klar geht es darum, Raum für das Andere zu lassen, aber nicht um im nächsten Satz den Raum mit einem Fragezeichen zu versehen, wenn es heißt: „Gerade Transgender zu sein, bedeutet ja, im Körper des anderen Geschlechts zu leben und somit nicht zuhause sein zu können.“ Das stimmt so wenig wie die Behauptung, trans* sei ein Gefühl, „sich ständig falsch zu fühlen“. Ich habe mich noch nie in meinem Körper falsch gefühlt, sondern immer nur Zuhause. Ich stehe mit meinem trans*Leben dafür ein. Ja, Stereotypen lauern überall. Vielleicht sollten Schippling und Seubert das nächste Gespräch offener führen und dabei nicht nur unter sich bleiben, wenn sie es wirklich ernst meinen, Fronten aufbrechen zu wollen, und nicht bloß vertraute und gut eingeübte Weisheiten zum Besten zu geben.

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverband Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

Kristina Schippling, Harald Seubert: Zwischen Frau und Mann – Ein Dialog über Geschlechteridentitäten und -differenzen; November 2022; 196 Seiten; Broschur; ISBN 978-3-7965-4751-5; Schwabe Verlag; 23,00 €

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