Brathähnchen am Nichtschwimmerbecken

Als vor einigen Wochen bekannt wurde, dass die Römertopf Keramik GmbH & Co. KG pleite sei, dachte ich mir, dass sich da ein Traditionsunternehmen verabschiede, das immer irgendwie da war, aber das gleichsam nicht die Welt bewegte. Zumindest meine nicht – wir hatten (oder haben) aber auch keinen Römertopf.

Nur wenige Tage später lese ich in einem Buch, das kurz darauf in die deutschen Buchläden kommen sollte und in dem der Römertopf auch eine wiederkehrende Nebenrolle spielt. Teenager Julle, der Hauptcharakter aus Stephan Lohses Roman Das Summen unter der Haut isst für sein Leben gern Brathähnchen im Römertopf (außerdem Salami mit Senf – also nur Salami mit Senf – urgs). So erfahren wir auf Seite 24 des jüngst im Insel Verlag erschienenen Buchs.

Massen- vs. Freilandhaltung

Dieses nimmt uns mit ins Hamburg des Jahres 1977, in dem Julle sich in seinen neuen Klassenkameraden Axel verliebt. Julle selbst ist seit Längerem klar, dass er schwul ist, seinem Umfeld weitestgehend nicht. Aber Axel scheint seine erste, zarte Liebe zu sein. Die beiden freunden sich an, aber wirklich auf Gegenseitigkeit scheinen die tieferen Gefühle nicht zu beruhen.

Julle ist schüchtern, Axel auch nicht gerade der extrovertierte Typ. Das mag auch daran liegen, dass er mit seinem Vater erst kürzlich in die Gegend gezogen ist und dann auch noch in eine Gegend, die etwa so viel von Massenhaltung hat wie die Mehrzahl der Brathähnche), die in den Römertöpfen der Republik landen. Julle wiederum trägt aus dieser Perspektive eher das Prädikat „Bio-Freilandhaltung“, wenn auch bei seiner Familie im Eigenheim ebenfalls nicht alles in bester Ordnung zu sein scheint – zumindest was seinen dezent jähzornigen und gleichermaßen besorgten Vater betrifft.

Nachts ins Schwimmbad

Julle und Axel verbringen viel Zeit miteinander: in einer verfallenden Hütte finden sie alte Röntgenaufnahmen, an der Tankstelle zweckentfremden sie einen Kompressor, um einen platten Reifen aufzupumpen und ins Schwimmbad geht’s nachts auch einmal. All die Dinge, die Teenager eben in der Zeit vor Entdeckung des „Neulands“ eben so machten…

Was das angeht, ist Das Summen unter der Haut in der Tat eine recht atmosphärische Geschichte. Julle und Axel freunden sich an, es gibt – wie es neudeutsch so schön heißt – einige Bonding-Momente und es entsteht eine tiefe gegenseitige Zuneigung. Nur ist sie bei dem schüchternen Julle offenbar anderer Natur als bei Axel.

Hase und Igel? Oder eher Nacktmull?

Dies kann dann in mehrere verschiedene Richtungen gehen: Entweder es wird eine mehr oder weniger spannende Hase-und-Igel-Story wie in Becky Albertallis und Adam Silveras Was ist mit uns? oder es wird eine eher dröge Geschichte daraus. Bei Stephan Lohse ist leider letzteres passiert.

Leider wirken viele der kurzen Kapitel eher ein wenig zusammenhangslos, selbst wenn es verbindende Elemente und eine stringent eingehaltene Chronologie gibt. Auch Charakteraufbau und -entwicklung sehen wir in dieser Geschichte sehr gut am Beispiel von Julle – nicht so sehr bei Axel, der aber ohnehin eher ein größeres Mysterium zu sein scheint.

Dünne Brühe oder Schmorroulade?

Und dennoch ist die Geschichte, die Stephan Lohse hier erzählt, nicht wirklich fesselnd. Wir leiden zwar ein wenig mit Julle, freuen uns auch über so manche Versatzstücke aus der Vergangenheit (Rolos oder Schaummäuse am Schwimmbadkiosk – mensch fühlt sich auch wieder wie mit dreizehn), aber wirklich mitreißend ist die Geschichte eben nicht.

Das ist schade, denn gerade das junge Erwachen und Erkennen der eigenen Sexualität, der Beginn der Pubertät, die erste große Liebe können mitreißende Themen sein, ebenso wie das Gefühl, als Leserin oder Leser in die eigene Jugend zurückversetzt zu sein. Das allerdings war nicht unbedingt das Leseerlebnis, das ich bei der Lektüre von Stephan Lohses Buch hatte. Oder, wie es jemand auf Instagram formulierte: „Ich fand es leider völlig belanglos und frage mich , warum diese Geschichte erzählt werden musste.“

Wer somit auf der Suche nach einer seichten Lektüre für den Beckenrand des Nichtschwimmerbeckens ist, ist mit Das Summen unter der Haut gut bedient. Wer eher auf lange geschmorte Rouladen aus dem Römertopf oder eine bis ins kleinste Detail fesselnde Geschichte steht, muss sich vermutlich eine andere Sommerlektüre suchen.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Stephan Lohse: Das Summen unter der Haut; Juli 2023; 176 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN 978-3-458-64389-0; Insel Verlag; 20,00 €

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