Als ich Kritiken las, in denen The Queen Mary als „mess“, also großes Durcheinander, oder „überlang“ und „wirr“ bezeichnet, doch immerhin jeweils die Ausstattung gelobt wurde, dachte ich zunächst, dass da die Kritik zum Horror–Schocker von Gary Shore mit jener zum hanebüchenen Historien-Kitsch Mary Queen of Scots von Josie Rourke vertauscht worden sei. Dem war nicht so. Was irritierend ist. Zwar ist durchaus einiges los im Schiffs-Horror, der heute im Verleih von splendid films in unseren Kinos startet und nicht immer mag die innere Logik des Films mit der der äußeren Welt kongruent sein, doch im Rahmen des Gezeigten ergibt sie (meist) Sinn.
Ein Film, der steppt
Die Queen Mary, ein realer, luxuriöser Ozeandampfer, nahm Mitte der 1930er Jahre ihren Betrieb, also Fahrt auf. Schon 1940 war Schluss mit Luxus – wie so viele andere musste das Schiff in den Kriegsdienst. In dieser Zeit überstand die Queen Mary den Zusammenstoß mit einem Begleitschiff (1942) und sogar eine „rogue wave“, einen Kaventsmann, eine Monsterwelle (1943). Vermutlich hätte der Queen Mary wohl nicht einmal ein Eisberg etwas ausgemacht… (FunFact #1912: Ein Teil der Schifffahrtsgesellschaft Cunard-White-Star-Line betrieb vor dem Zusammenschluss infolge der Weltwirtschaftskrise ab 1929 auch die Titanic.)
The Queen Mary (im Original The Hauntig of Queen Mary) lassen Regisseur Gary Shore (Dracula: Untold mit Luke Evans) und seine Co-Autoren Stephen Oliver und Tom Vaughan auf zwei Zeitebenen spielen, in welchen es zusätzlich noch kleine Rückblenden gibt. Im Jahr 1938 schleichen sich drei Reisende der Dritten Klasse – David Ratch (Wil Coban), dessen Frau Gwen (Nell Hudson) und die Tochter Jackie (Florrie May Wilkinson) – auf eine Halloween-Party der Ersten Klasse.
Hier soll das Stepptanz begabte Kind den einflussreichen Produzenten Victor (Angus Wright) von ihrem Können überzeugen. Leider werden die Ratchs vorher als Blender enttarnt. Wie Jackie es dennoch schafft, plötzlich einen soliden Stepptanz zu „Heave Away“ mit der Ikone Fred Astaire (sympathisch: Wesley Alfvin) hinzulegen, ist nur ein stilistisches Faszinosum an The Queen Mary.
Nicht in den Pool springen!
Im Hier und Jetzt besichtigen Anne (Alice Eve) und Patrick Calder (Joel Fry) gemeisan mit ihrem Sohn Lukas (Lenny Rush), die Queen Mary, die, nachdem sie im Herbst 1967 außer Dienst gestellt wurde, seit geraumer Zeit als Museum, Kulturdenkmal, Tagungsort und Hotel in Long Beach, Kalifornien, liegt. Anne möchte gern ein Buch, verknüpft mit Mitteln der Virtual Reality, über den Dampfer, dessen Geschichte und all die diesen umgebenden Mythen und Schauergeschichten schreiben.
Während sie im Gespräch mit Kapitän Bittner (haha: Dorian Lough) ist, nehmen Patrick und Lukas an einer der Haunted Tours teil. Während dieser verschwindet der Sohnemann kurz und taucht wenig später durchnässt und dezent verändert wieder auf. Nur wir Zuschauer*innen wissen, dass der Junge während seiner Abwesenheit seltsamen Erscheinungen begegnet ist und in einen Pool gezogen wurde…
Die Mischung macht‘s
Shore und Team springen munter zwischen den Zeitebenen hin und her, bis diese sich später überlappen, was ziemlich hervorragend in Szene gesetzt wird (Editing: Colin Campbell und Ken Blackwell). Isaac Baumans Kamera liefert dazu ein paar unvergessliche Einstellungen, weiß die Vorstellungen diverser Inszenierungskniffe und mancher Spielerei Shores gekonnt umzusetzen. Denn das ist The Queen Mary im Grunde: Eine große Schaustellerei von Seemannsgarn, Schiffsmythen und düsteren Legenden. Ob Geister, die das Schiff nicht verlassen können (Hey, Ghost Ship!), Bonzen, die nicht erkennen, wann etwas nicht mehr Teil der Show ist (Hey, Triangle!) oder besessene Passagiere (Hey, Death Ship!) – auf der heimgesuchten Queen Mary finden wir alles.
Das ist recht üppig und erklärt auch die Laufzeit von zwei Stunden, die jedoch – so mensch bereit ist, sich auf den teils etwas verworrenen Spaß einzulassen – recht kurzweilig sind. Die Mischung aus trockenem bis schwarzem Humor, stimmungsvoller Inszenierung und packendem Soundtrack (Jason und Nolan Livesay sowie wie manch feinem Song), soliden Leistungen der Darseller*innen, manch gut sitzendem Schockmoment, diverser Reminiszensen und einigem Gore sowie gar einer fein animierten Sequenz, die ein wenig Licht ins Dunkel des Grauens bringt, macht‘s.
Grausiger Spaß
Sicherlich ist, wie bereits erwähnt, nicht alles immer hart logsich. Dass war‘s bei den zurecht abgefeierten Horrorklassikern Nightmare on Elm Street oder The Shining (Buch wie Film) eben auch nicht. Und da The Queen Mary an mancher Stelle wie ein Shining on a ship meets David Lynch wirkt, passt das doch alles. Wie ebenfalls bereits erwähnt, muss mensch sich auf den Film, der mit mehr Nebenhandlungen und Backround-Storys auch eine American Horror Story-Staffel sein könnte, einlassen wollen und sich ein wenig konzentrieren, denn wer aufpasst und hinhört, dürfte manches als gar nicht so wirr und widersinnig empfinden.
Spoiler (zum Lesen markieren):
Dass etwa der vermeintliche Kapitän Bittner beziehungsweise der Körper dieser Person beispielsweise vom „foundation sacrifice“, also der Opfergabe zur Stabilisierung des Schiffes, Clarky bewohnt wird, ist doch klar, als Patrick mit Vorschlaghammer auf ein Bild einschlägt und Bittner blutend zusammenbricht. Schiff und Opfergabe sind untrennbar miteinander verbunden. Duh.
Es lässt sich bei richtiger Einstellung und der Lust auf einen kreativen, mutigen, womöglich auch leicht überladenen, dafür aber nie langweiligen Horrorfilm, einiger grausiger Spaß auf und mit The Queen Mary haben. Was nach dem Besessenheits-Reinfall von Exorzist: Bekenntnis wunderbar ist.
AS
PS: „Tourists love that. You know, kowing what famous people did, where they went.“
PPS: „Fine. We can be the dead family still walking the deck.“
The Queen Mary startet am heutigen Donnerstag in unseren Kinos.
The Queen Mary; USA 2023; Regie: Gary Shore; Buch und Story: Gary Shore, Stephen Oliver, Tom Vaughan; Bildgestaltung: Isaac Bauman; Musik: Jason und Nolan Livesay; Darsteller*innen: Alice Eve, Joel Fry, Nell Hudosn, Wil Coban, Dorian Lough, Tim Downie, Lenny Rush, Florrie May Wilkinson, Wesley Alfvin, Angus Wright, Jim Piddock, Maddison Nixon; Laufzeit ca. 125 Minuten; FSK: 16; ab dem 28. Dezember 2023 im Kino
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