„Nachbarschaften sind aufschlussreich“

Dies sagt Herzog Franz von Bayern, Familienchef der Wittelsbacher, während er in der Galerie von Fred Jahn eine gegebenenfalls zu erwerbende Zeichnung neben eine andere halten lässt. Der Galerist kommentiert die Sammelleidenschaft des Herzogs wie folgt: „Der liest einfach Bilder anders.“ Denn er kaufe Kunst nicht als Investitionsobjekte, sondern weil sie ihm zusage, gefalle, anspreche, er etwas sehe. So gehörte der am 14. Juli 1933 in München geborene Franz Bonaventura Adalbert Maria Herzog von Bayern etwa zu jenen „Entdeckern“ Gerhard Richters, als dieser noch nicht DER Gerhard Richter war. Er selber sehe sich jedoch eher als schlampigen Sammler, meint Franz von Bayern.

„Sichtbarer hier als in München“

Zu sehen sind diese Momente, zu gewinnen sind diese Eindrücke und viele, viele darüber hinaus in der kurzweiligen, sehr informativen und so charmanten wie aufschlussreichen Dokumentation Wittelsbacher der Moderne — Herzog Franz von Bayern von Julia Benkert, die der Bayerische Rundfunk anlässlich des anstehenden 90. Geburtstags des „Königs ohne Krone“ am morgigen Montag um 22:00 Uhr zeigt. Für Gespräche und Spaziergänge mit ihm und seinem Lebensgefährten Thomas Greinwald (siehe Bild oben) hat Benkert beide im Wohnsitz des Herzogs, dem wohlbekannten Schloss Nymphenburg (an dem er, wie er sagt, sichtbarer sei, als zuvor in München), besucht. 

Franz Herzog von Bayern (rechts) mit Galerist Fred Jahn // © BR/Verwaltung des Herzogs von Bayern/Sigi Müller

Auch hier führt er kunstsinnig durch Teile der für das Publikum geöffneten Ausstellung (insbesondere griechischer Kunst) und weiß zusätzlich natürlich einiges über die Geschichte seiner Familie zu erzählen. Hierbei kommt es auf die Frage, ob die Wittelsbacher sich denn auch gottgleich gefühlt hätten, zu einer Antwort, die allein die Doku sehenswert macht. Überhaupt hat der Mann, der sich sowohl seiner Verantwortung wie auch seiner Privilegien bewusst zu sein scheint, viel Kluges, manch Süffisantes, auch mal Herbes und nur selten Belangloses zu sagen. 

„Das Leben als Netzwerk“

Doch geht es in Wittelsbacher der Moderne — Herzog Franz von Bayern nicht ausschließlich um die Kunst und die Sammlung des Herzogs, die er via des Wittelsbacher Ausgleichsfonds spendet und unter anderem an die Pinakothek der Moderne München (die es ohne ihn und eine engagierte Bürgerschaft auch nicht geben würde, wie auch der Sammlungsleiter Gegenwartskunst, Bernhart Schwenk, betont) gibt.

Auch wird die „jüngere“ Familiengeschichte angerissen, wie etwa die Flucht vor den Nazis nach Ungarn, die Besetzung des Landes, die Verhaftung und Internierung in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Flossenbürg. Letzteres besucht er gemeinsam mit seinem Bruder Max Emanuel Herzog in Bayern und erinnert sich noch genauestens an viele Details — und zaubert anschließend eine wunderbare, von der Oma reingeschmuggelte, Krippe auf dem Tisch.

Allzu kurz geht es um die New Yorker Zeiten des Herzogs, die uns dann wieder zur Kunst und der Weltgewandtheit und Weltoffenheit des bald 90-Jährigen führen. Schön auch jene Geschichte, in welcher sein Lebenspartner seit vierzig Jahren, Thomas Greinwald, erzählt, wie es zu jener sehr bekannten Aufnahme der beiden des niederländischen, sehr geschätzten Fotografen Erwin Olaf kam, in welcher der Herzog sitzt und Greinwald hinter im steht (an der selben Stelle, an der das Foto entstand, werden die Gespräche mit ihnen nun geführt).

„Ich bin sicher einer der freiesten Menschen in diesem Lande“

Das Bild, welches eigentlich als privater Schnappschuss für Greinwald gedacht war, schließlich aber doch vor zwei Jahren in einer Ausstellung Olafs zu sehen war, kann als „stilles“ Coming-out der beiden Männer bezeichnet werden. Hierzu meint der Herzog im Film, dass es für ihn durchaus Sinn ergab, sich auf dem Niveau eines großen Künstlers „zu diesem Thema zu äußern“. Ebenso meint er, dass die Welt sich weiter entwickelt und die Akzeptanz sich verstärkt habe — wenn das auch nicht immer geäußert würde. Das ist nun ein Satz, denn mensch nehmen kann, wie er will. Im Kontext der komplexen und hierarchischen Familienstrukturen des Adels passt er in jedem Fall ins Bild.

Kunstsammler aus Leidenschaft, hat sich Franz Herzog von Bayern sein Leben lang für die Kultur in Bayern eingesetzt // © BR/Verwaltung des Herzogs von Bayern/Sigi Müller

Immer wieder kommt das Familienoberhaupt der Wittelsbacher, seine Nachfolge wird übrigens Neffe Ludwig von Bayern antreten (der ebenfalls zu Wort kommt), auf die erwähnte Weltoffenheit, Kunstsinnigkeit, Entwicklung und das Akzeptieren von Menschen und Umständen. Wenn der distinguierte aber nicht abgehobene Mann am Ende betont, dass auch sein Großvater und Vater „jede Entwicklung ja auch mitgemacht und mitgetragen [haben]. Die haben enorme Umbrüche erlebt und sind nie einer Vergangenheit kleben geblieben. Das hab’ ich halt auch gemacht und ich hoff’, dass die nächsten Generationen das genauso machen werden“, passt ein Mäusehaus aus Legosteinen perfekt in diese freie Leben.

AS

PS: Im C.H. Beck Verlag sind kürzlich die Erinnerungen von Franz von Bayern unter dem Titel Zuschauer in der ersten Reihe erschienen. Unsere Besprechung folgt in Kürze.

PPS: Durchaus gab es die eine oder andere Szene, in der auch ich, obschon kein Adelsfeind, dezentes Bauchweh ob dieser ganzen Adelskultur hatte. Der Adel ist hierzulande immerhin abgeschafft, so könnten wir, könnte auch ich in dieser Besprechung, auf jedwede Nennung von nicht mehr existenten Titeln verzichten. Habe mich nun aber aus Respekt vor dem Leben dieses Mannes dagegen entschieden. Bei einem gewissen Georg Friedrich möge das freilich anders sein.

PPPS: Apropos Titel: Es ist beinahe rührend, wie Greinwald seinen Lebenspartner immer als „der Herzog“ betitelt. Eine spannende Stelle übrigens, in der es um Standesunterschiede geht. Auch hier wirkt Franz von Bayern so bewusst wie menschlich.

Franz Herzog von Bayern // © BR/Verwaltung des Herzogs von Bayern/Sigi Müller

Der Bayerische Rundfunk zeigt Wittelsbacher der Moderne — Herzog Franz von Bayern am morgigen Montag um 22:00 Uhr und ist nun in der ARD-Mediathek verfügbar; um 21:00 wird der Film König Ludwig I. und seine Bavaria gezeigt und um 22:45 König Ludwig II. Von Bayern, beide Filme sind bereits etwas älter.

Wittelsbacher der Moderne — Herzog Franz von Bayern; Deutschland 2023; Buch und Regie: Julia Benkert; Kamera: Thomas Wittmann, Robert Matzek, Peter Gillemot, Julia Benkert; Musik: Simon Kummer; Sprecherin: Irina Wanka; Redaktion: Henning Weber; Laufzeit: ca. 43:00 Minuten

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