Nach Trans? Ach nö, lieber für immer trans*!

Sie habe die Schnauze voll von trans*, schreibt Elizabeth Duval in ihrem diskussionswürdigen, zu Widerspruch animierenden Essay „Nach Trans. Sex, Gender und die Linke“, und hätte besser geschrieben, sie habe die Schnauze voll von jenen, die alles besser wissen, aber nichts wirklich genau.

Von Nora Eckert

Klar, wer sich als trans*Person in die Öffentlichkeit begibt, der muss viele Fragen beantworten und meistens die immergleichen. Da hilft es mit Sicherheit auch nicht, ein Buch zu schreiben und sei es noch so klug. Eine Illusion zu glauben, damit wäre alles erklärt, man werde danach in Ruhe gelassen und nicht weiter mit Fragen zu trans*Themen behelligt. Weder entkommen wir den Dauerschleifen des Outings als öffentliche Person noch der Neugierde unserer lieben Mitmenschen, denen am Ende die Jacke doch näher als die Hose oder der Rock ist. Was nichts anderes bedeutet, als dass sie mal eben neugierig zu uns rüber schauen und uns von Fall zu Fall zuhören (das geht zugegeben auch ganz empathisch und wirklich nett), aber sich anschließend lieber mit ihrem eigenen Kram befassen, um im nächsten Moment wieder ganz erstaunt über uns zu sein. So gesehen, ist trans* eine Never-Ending-Story

Dass trans* heute überhaupt eine Stimme oder, um genau zu sein, viele Stimmen besitzt, dafür war ein langer Weg zurückzulegen. Auch war es ein Lernprozess, der uns begreifen ließ, wer und was jede*r von uns ist, und es war und ist ein Kampf um Anerkennung, der noch lange nicht ausgefochten ist. Aber mit der wachsenden Anerkennung ging die Befähigung zur Selbstbeschreibung einher. Dies festzustellen, ist aus zweierlei Gründen wichtig:

Erstens, weil wir weder unsere Geschichte noch die darin geleistete Pionierarbeit vergessen beziehungsweise uns ihrer überhaupt bewusstwerden sollten, und zweitens, weil ein Buch wie das von Elizabeth Duval mir zu verstehen gibt, wie selbstbewusst wir mittlerweile geworden sind. Das „wir“ meint die so heterogene trans*Community. Ein Buch wie Nach Trans wäre vor dreißig oder vierzig Jahren undenkbar gewesen – und nicht etwa, weil die Autorin da noch gar nicht geboren war. Bei allem Erreichten sollten wir also nicht dem Irrtum verfallen, alles sei schon getan und alles Erreichte besäßen wir bereits sicher. Fatal wäre zudem der Glaube, trans* höre irgendwann auf, als bedeute es eine Art Häutung und was da von uns abfalle, sei das, was wir einmal waren und nicht mehr sind. Nein, wir sind trans* für immer – und das ist auch gut so.

Duval war zwanzig, als sie Después de lo trans schrieb, erschienen ist es 2021 in Spanien und mittlerweile liegt auch eine deutsche Übersetzung vor, die von Luisa Donnerberg stammt und im Wagenbach Verlag herauskam. Duval studiert Philosophie in Paris und ist in Spanien ziemlich prominent. Manches in ihrem Buch antwortet auf die spanischen Verhältnisse, etwa auf das dort bestehende Selbstbestimmungsgesetz, auf Diskurse der spanischen trans*Community und auf Reaktionen der Öffentlichkeit und der Medien. Wenn sie etwa davon spricht, trans* befinde sich „in einer Rücklaufphase“ und Duval deshalb eine neue Welle medialer Präsenz und organisierte Bündnisse anmahnt, ist das für mich nur schwer einzuordnen. Auch habe sich der Kampf entpolitisiert, und es sei eigentlich unmöglich, eine trans*Bewegung aufgrund der partikularen Interessen zu strukturieren. „Die Trans-Community existiert nicht“, heißt es an einer Stelle lapidar. Für mich ist das schwer bis gar nicht nachzuvollziehen in Unkenntnis der aktuellen Situation von trans* in Spanien. Die Situation in Deutschland scheint eine völlig andere zu sein. Also, lassen wir das mal unkommentiert stehen.

Darüber hinaus diskutiert sie über die Ansichten von Paul B. Preciado, Kathleen Stock, Abigail Shrier, über Feminismus im Verhältnis zu trans*, über Fragen von Selbstbestimmung und Identitätspolitik. Darin findet sich viel Kluges, stets recht beflissen vorgetragen. Das ist intellektuell mitunter schwere Kost, womit sich die Frage stellt, wen sie sich beim Schreiben als potentielle Leser*innen vorgestellt hat. Beeindruckend die Wissensfülle, auch der Ehrgeiz und Eifer, die argumentativen Schlaglöcher der anderen mit lauter Warnschildern zu umstellen. Der Glaube an die Macht des Wortes und an die Überzeugungskraft des schlüssigen Arguments wirkt mit Blick auf den durch und durch trans*feindlich eingeschworenen genderkritischen Feminismus à la Stock & Co. doch eher naiv. Brücken kann man nicht gegen Mauern bauen, auch wenn Duval sich noch so gerne als Brückenbauerin geriert.

Duval ist entschlossen, sich ganz edel, fast schon selbstlos zu geben: „Ich versuche ihnen aufmerksam, ja sogar liebevoll zu begegnen.“ Oder so: „Ich glaube, dass diese Angst ein Ausdruck von Verletzlichkeit ist, von einer Wunde, die sich zum Glück noch nicht so weit entzündet hat, dass sie sich zur Wut wandelt.“ Da scheint die Autorin an der Realität vorbei zu galoppieren. Obschon ihr nicht verborgen blieb, dass der trans*Ausschluss „ähnlich strukturiert [ist] wie andere reaktionäre Strömungen oder rechtsextreme Bewegungen“. Natürlich ist Kommunikation eine feine Sache, aber TERFs geht es bekanntlich nicht um Verständigung. Meine Hoffnung geht also nicht in deren Richtung, sondern in Richtung Mehrheitsgesellschaft. Dort sehe ich unsere Zukunft.

Befremdlich indes kommt mir anderes bei Duval vor, wo die Lektüre zu einem Wechselbad der Empfindungen wird: 

„Es ist ein Fehler gewesen, von der Entpathologisierung und der Forderung, sich von der Voraussetzung medizinischer Diagnosen zu befreien, dazu überzugehen, von Geschlecht zu sprechen, als könne man es sich morgens nach dem Aufstehen und beim Anziehen aussuchen, ganz so, als wäre es ein Kostüm.“

Wer tut das? Ich kenne das nur als Unterstellung von trans*feindlicher Seite, aber in der trans*Community ist das kein Konsens. Andererseits heißt es auf derselben Seite:

„Die Rede von Wahlfreiheit und Selbstbestimmung verschleiert Geschlecht als soziale Tatsache und System. Ich schlage vor, lieber davon zu sprechen, dass trans Menschen ein Recht auf Anerkennung ihres Geschlechts haben, das heißt auf Anerkennung ihrer frei zum Ausdruck gebrachten Geschlechtsidentität, ohne dass ein medizinischer Befund erforderlich ist.“ 

Letzterem stimme ich gerne zu, denn genau das drückt die im Menschenrechtsdiskurs beheimatete Idee der Selbstbestimmung aus und mit der nicht gemeint ist, Geschlecht sei wählbar. Keine Zustimmung findet bei mir ihr Glaube an die Psychoanalyse. Da halte ich es lieber mit Simone de Beauvoir, die die Psychoanalyse den Religionen zurechnet. Für etwas, das angeboren ist wie das trans*Sein, kann Sigmund Freuds Erfindung als erklärende Instanz nur so nützlich und sinnvoll sein, wie für die Erklärung, warum ein Mensch grüne Augen und rotes Haar hat. Das Angeboren-Sein von trans* erwähnt Duval zwar kurz durch ein Zitat, doch scheint es sie nicht weiter zu interessieren. Und weil das so ist, erklärt sie:

„Ich bin nicht einverstanden mit der These, dass es schon immer trans Menschen gab und wir uns ihrer Existenz bloß noch nicht bewusst waren. Ich denke vielmehr, dass sich die Geschlechtercodes und mit ihnen die Struktur, innerhalb derer sie erlernt werden, gelockert haben.“

Das ist historisch und ethnologisch so grundfalsch wie ihre Annahme einer „Androgynisierung unserer Gesellschaft“ verwegen erscheint. Das wurde schon in den 1960er Jahren im Zuge der sexuellen Revolution unter der Parole Unisex gemutmaßt, aber geblieben ist es beim bipolaren Geschlechterkonzept, das nach wie vor fest im Sattel sitzt. Und um bei Duvals Missverständnissen zu bleiben, die ich jedenfalls als solche sehe, wenn sie etwa behauptet, trans* könne nur im Rahmen von Medikalisierung und in seiner medikalisierten Existenzform verstanden werden.

Offenkundig ignoriert sie hier, was seit den 1990er Jahren sich unter dem politisierten Begriff Transgender und dann später unter genderqueer versammelt. Dabei ist der Begriff Transgender noch viel älter und wurde unter Virginia Prince in den USA zu einer vernehmlichen Gruppe innerhalb der trans*Bewegung. Von ihr stammt das Motto: Wir sind nicht kaputt, also hört auf, uns reparieren zu wollen. Jedenfalls ist Duvals Behauptung, „[d]as moderne trans Subjekt kann ohne diese Medikalisierung nicht existieren“, in diesem Zusammenhang mit einer gewissen Vorsicht zu behandeln.

Das ändert nichts daran, wie sehr Duvals Intellektualität beeindruckt, wie akribisch sie beispielsweise Preciados Denkfehlern ebenso nachstellt wie denen von Kathleen Stock. Duval verhandelt, wie schon gesagt, ihre Themen auf hohem Niveau und bleibt dabei selbst nicht ganz widerspruchsfrei. Ganz abgesehen davon, dass in der trans*Community die Meinungsvielfalt schon deshalb ein Merkmal darstellt, weil es eben in ihr ein Spektrum von Selbstverständnissen und Lebenswirklichkeiten gibt. Am Ende sind wir so individuell wie alle Menschen, auch mit dem Button trans* im Knopfloch. Allerdings sehe ich kein „nach“ trans*, sondern nur ein „mit“ trans* und ein „immer“ trans*, es sei denn, Geschlecht würde eines Tages tatsächlich abgeschafft werden. Aber das ist wohl eher Stoff für Alpträume gewisser Leute. Ich selbst bin davon überzeugt, dass in der Binarität genügend Platz für alle ist.

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverbandes Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

Elizabeth Duval: Nach Trans. Sex, Gender und die Linke; April 2023; Aus dem Spanischen von Luisa Donnerberg; 224 Seiten; Klappenbroschur; ISBN 978-3-8031-5195-7; Verlag Klaus Wagenbach; 24,00 €

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