Das Loch in der Biologie

Genderkritische Feministinnen und andere Reaktionäre haben nicht nur den trans*Aktivismus zum Lieblingsfeind erklärt und bringen mit ihrem biologistischen Weltbild trans* zum Verschwinden, sondern machen sich auch zu Anwält*innen der patriarchalen Matrix.

Von Nora Eckert

Ich will hier ein paar Überlegungen nachliefern zu dem Kommentar „Das letzte Aufgebot“. Es ging darin um die trans*feindliche Aktivität bestimmter Gruppen, für die Namen wie Kathleen Stock, Alice Schwarzer, Eva Engelken, Alexander Korte stellvertretend genannt wurden. Wie kommt es, dass ausgerechnet eine gesellschaftlich nach wie vor benachteiligte Minderheit zum Feindbild und zu einer Bedrohung für Frauen erklärt wird? Die Horrorszenarien (als eine Endlosschleife immergleicher Einzelfälle) sind ja nicht neu und haben im Feminismus eine lange Tradition. Seit den 1970er Jahren gelten Transfrauen beispielsweise als eine patriarchale Verschwörung, als wären wir das trojanische Pferd des Patriarchats.

Mit der biologistischen Argumentation jener Gruppen, die Geschlecht allein durch Genitalien und Keimdrüsen definiert und den reproduktiven Körper (Stichwort Fortpflanzung) letztendlich zum Maßstab menschlicher „Echtheit“ macht, werden trans*Körper stigmatisiert und vom Frau- und Mannsein ausgeschlossen mit weitreichenden Konsequenzen sowohl für den sozialen Raum als auch für ihre Existenz überhaupt. Es kursiert der Vorwurf, man wolle Geschlecht abschaffen und so den Kampf um Frauenrechte untergraben. Verbunden ist damit die Leugnung der Geschlechtsidentität als Basis für das Empfinden von Weiblichkeit und Männlichkeit (was immer davon nach Abzug kultureller Konstruktionen übrigbleibt). 

Gegen trans*Weiblichkeit sind die Diffamierungen am schärfsten. Das bedeutet beispielsweise: Ich als Transfrau, die Männer begehrt, bin im O-Ton von Kathleen Stock ein (verkleideter) schwuler Mann, eingetaucht in die Illusion (sie nennt es Immersion), eine Frau zu sein. Ich führe als Transfrau gewissermaßen ein virtuelles Leben, fernab jeglicher Wirklichkeit. Für Engelken & Co. wiederum existiere ich unter der Bezeichnung „transidenter Mann“.

Entscheidend ist immer die Benennung als Mann, da ich für sie eingesperrt bleibe in der Schublade des Geburtsgeschlechts, und es auch keine Rolle spielt, dass ich von den 46 Jahren, die ich als Transfrau seit 1976 lebe immerhin 36 Jahre nicht geoutet als Frau im Alltag und im Beruf erfolgreich unterwegs war mit dem einzigen Vergehen, die Damentoilette zu benutzen. Der gebetsmühlenartige Einspruch lautet, Geschlecht ist unwandelbar, dem ich freilich soweit zustimme, dass aus Eierstöcken keine Hoden und aus einer Vagina kein Penis werden kann. Was dabei beharrlich ignoriert wird, ist die Geschlechtsidentität, die außerdem gern verwechselt wird mit der Geschlechtsrolle. 

Ich kann es nur wiederholen: Die vom Körpergeschlecht abweichende Geschlechtsidentität ist das einzige und entscheidende Kennzeichnen für trans*. Damit ist klar, wenn die Beteiligung des Gehirns an der Geschlechtlichkeit und am Sexualverhalten geleugnet wird, dann wird das trans*Sein zwangsläufig zur Fiktion, zur Einbildung und ist im Verständnis von trans*Feindlichkeit eine Krankheit. Geleugnet wird ebenso das Angeboren-Sein der Geschlechtsidentität.

Als angeboren gelten allein die Genitalien und Keimdrüsen, die als sogenanntes biologisches Geschlecht bezeichnet werden, nicht aber die im Gehirn vorhandenen „Programmierungen“ (um es in Ermangelung eines treffenderen Begriffs einmal so auszudrücken). Denn für jene Leugner existiert kein Zusammenhang von Gehirn und Geschlecht. Pränatale Prägungen und deren postnatale Aktivierungen kommen in ihrem Konzept nicht vor. Für sie ist das Gehirn in erster Linie dazu da, trans*feindliche Kampagnen auszudenken.

Drei Themen will ich im Folgenden ansprechen: Ich möchte das „Loch in der Biologie“, das all die trans*feindlichen Attacken geschlagen haben, durch ein vollständigeres Bild von der menschlichen Biologie zu schließen versuchen. Zweitens möchte ich das in der trans*Feindlichkeit wirksame menschenfeindliche Bild beleuchten, das menschliche Existenz für disponibel und verhandelbar hält. Und drittens will ich zu erklären versuchen, was daran reaktionär ist und was das alles mit der Aufrechterhaltung der patriarchalen Matrix zu tun hat (und selbstverständlich auch, was mit diesem Begriff gemeint ist).

„Das wichtigste Sexualorgan sitzt zwischen den Ohren“

Dass ein Medizinier wie Alexander Korte, der einen Teil seines Geldes mit Transmenschen verdient, die angeborene Geschlechtsidentität für abstrus erklärt, ist nun wirklich gruselig. Als Mediziner sollte er wenigstens von bestimmten biologischen und neurobiologischen Erkenntnissen gehört haben – etwa von denen eines Milton Diamond. Der Zwischentitel ist übrigens ein Zitat von Diamond und entstammt einem Interview, das 2008 in der Zeitschrift für Sexualforschung erschien. Als Biologe begann er in Tierversuchen den pränatalen Einfluss von Sexualhormonen auf die Geschlechtsdifferenzierung zu erforschen. Auch andere haben sich seither mit dem Einfluss von Sexualhormonen während der Schwangerschaft beschäftigt. Später erweiterte er die Forschung auf den Menschen und beschäftigte sich mit trans* und inter*Geschlechtlichkeit.

Wer es genauer wissen will, hier die Links zu dem Interview und zu dem Beitrag „Transsexualism as an Intersex Condition“:

http://www.hawaii.edu/PCSS/biblio/articles/2005to2009/2008-sexualforsch.html

https://www.hawaii.edu/PCSS/biblio/articles/2015to2019/2016-transsexualism.html

„Der heute noch gültige Grundgedanke lautet, dass das Verhalten pränatal organisiert, aber erst postnatal aktiviert wird.“ Ein von ihm gern zitiertes Beispiel ist die Menstruation. Die Frage war dabei, ob „es kritische Phasen in der Embryonal- und Neonatalentwicklung [gebe], vor allem was die hypothalamische Struktur angeht […]“. Diamond jedenfalls geht von solchen „kritischen Phasen“ aus, in denen es etwa durch Hormonschwankungen zu unterschiedlichen Entwicklungen zwischen Genitalien und dem entsprechenden Gehirnareal kommt. Genau hier haben wir die Situation, in der ich eine plausible Antwort auf die Frage sehe, warum es trans* gibt. Unbeantwortet indes, wie diese biologische Einschreibung postnatal aktiviert wird und schließlich zu dem führt, was ich unser Evidenzerlebnis nenne – nämlich zu erkennen, dass wir trans* sind.

Ein Mensch weiß ganz einfach, welches Geschlecht er hat, und zwar unabhängig von den Genitalien. Auch dafür gibt es einen Beweis – den Fall Reimer (siehe hierzu M. Diamond: Sexual identity, monozygotic twins reared in discordant sex roles, 1982). Das Internet bietet darüber hinaus noch weiteres Material. Für Diamond gibt es keinen Zweifel, dass irgendetwas im Inneren sagt „Ich bin anders“, weil er von einer Geschlechtsidentität ausgeht, die nicht Gender, sondern Sex meint, und dass diese nur angeboren sein kann wie die Genitalien und außerdem noch Priorität beansprucht: „Das wichtigste Sexualorgan sitzt zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen.“

Sind wir nur eine Ideologie?

Gerade erst hat sich Ayaan Hirsi Ali in einem Interview für die Neue Zürcher Zeitung zu Wort gemeldet, worin sie verdeutlicht, wie gut eingeübt gewisse Sprachschablonen in feministischen Kreisen rund um den Globus mittlerweile funktionieren. Der Transgender-Aktivismus, wie sie ihn nennt, sei gleich nach der zunehmenden Gewalt gegen Frauen das zweitgrößte Problem in den USA. Das steht tatsächlich so im Interview. Trans* kommt gleich nach Femizid, Misogynie, Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt. Wahrscheinlich glaubt Hirsi Ali an ihre Imagination von Transmenschen als Unterdrücker*innen und Aggressor*innen. Trans* als Ideologie zu deklarieren ist ein bewusster Akt der Realitätsverweigerung. Mein Leben ist keine bloße Sprachexistenz, kein ideologisches Derivat.

Trans*Aktivismus sei eine linke Ideologie, die „in einem sprachlichen Tarnkleid“ daherkomme, weil sie von Gerechtigkeit und Menschlichkeit rede, um aber Cancel Culture gegen Andersdenkende zu praktizieren und Frauenräume einzunehmen, als ginge es um eine feindliche Übernahme und Okkupation.  Ja, ich gestehe, dass ich nach wie vor die Damentoilette benutze. Dass es dabei vor allem um gefährdete Lebenswirklichkeiten von Menschen geht, die nicht zuletzt durch solche Aussagen diskriminiert werden, dass trans*Misogynie ebenso ein Tatbestand ist, das scheint in Hirsi Alis Vorstellungswelt zu fehlen. Für sie sei trans*Aktivismus nur frauenfeindlich, indem er das Konzept der Frau in Frage stelle. Welcher Frau, bitte schön, wurde in der großen weiten Cis-Welt durch die Existenz von Transmenschen je etwas genommen? Wenn etwas in Frage zu stellen ist, dann in der Tat das Konzept Geschlecht. Und wo bleibt in ihren Überlegungen das Patriarchat?

Ein auf Biologismus gestützter Feminismus kann nur regressiv sein, der zu lernen versäumt hat, dass Natur erst durch die Kultur natürlich wird und dass Menschen mehr als ihre biologischen Funktionen sind. Aber auch wo es um die Kultur als eine zweite menschliche Natur geht, nämlich um die Sozialisation, herrscht Realitätsverweigerung vor. Darauf verwies Mine Wenzel in ihrem online-Beitrag für das Gunda-Werner-Institut. „Es geht nicht um männliche und weibliche Sozialisation, sondern um eine Sozialisation in einer Gesellschaft, die trans*, inter* und nichtbinären Menschen beibringt, dass ihre Existenz verkehrt, falsch, beschämend, krank und nicht lebenswert ist – trans*, nichtbinäre und inter* Sozialisation heißt nicht, männliche Privilegien zu genießen (wie TERF’s behaupten), sondern zu verinnerlichen, dass in dieser Welt ein Platz für dich höchstens die Ausnahme ist.“

Eine gern wiederholte Behauptung ist, dass es eine Kluft zwischen der Elite der trans*Aktivist*innen und der trans*Basis gebe, die freilich durch die Wiederholung nicht richtiger wird. Die Wirklichkeit zeigt vielmehr im Aktivismus ein inhaltliches Spektrum bis hin zu Rivalitäten, bei denen ich mir wünschte, wir würden tatsächlich mit einer Stimme sprechen. Das ist ja leider nicht einmal in Fragen der Selbstbestimmung möglich. Woher Hirsi Alis Realitätsverweigerung kommt, ist unschwer zu erkennen. Sie ist mit dem Historiker Niall Ferguson verheiratet, der für „Andersdenkende“ wie Kathleen Stock eine Universität in Austin gründen will. Gute Aussichten für ein akademisches Forum der trans*Feindlichkeit. Damit sie endlich frei sagen können, wie man das angeblich zweitgrößte Problem in den USA loswird.

Wenn Feministinnen Sexismus predigen

Sie tun es über den Umweg ihrer biologistischen Weltsicht, die die Geschlechterdifferenz einbetoniert in ihre trans*Feindlichkeit und die dabei das Hohelied der Binarität singt. Das trans*Sein wiederum stellt das binäre Modell in Frage. Denn trans*Körper bestätigen niemals die Norm und bleiben auch außerhalb der Norm Körper, um deren Anerkennung es gehe. In Körper von Gewicht stellt Judith Butler klar, dass „Gender Trouble“ bei der Determinierung der Geschlechtsidentität keineswegs die Relevanz des Biologischen verneine. Es werde vielmehr die körperliche Freiheit höher angesetzt „als die einschränkenden Wirkungen der Hetero-Normativität“. Gerade trans* zeigt, dass Geschlechtsidentität keine Frage der Wahl ist, die wir morgens mal als diese, mal als jene dem Kleiderschrank entnehmen, und dass „seine Existenz schon längst vor der sozialen Geschlechtsidentität entschieden ist“.

Binarität und Heteronormativität sind ein Produkt dessen, was der Evolutionsbiologe Carel van Schaik und der Kulturhistoriker Kai Michel als die patriarchale Matrix bezeichnen. Was nicht heißt, dass die Samen- und Eizellen produzierenden Keimdrüsen mit den dazugehörigen Genitalien eine patriarchale „Erfindung“ seien. Nein, das hat selbstredend die Natur aus Gründen der Fortpflanzung so entschieden, während die Kultur entschieden hat, in welchem Verhältnis diese Organe und die Körper zur Macht stehen, ob sie herrschen oder beherrscht werden.

Mit patriarchaler Matrix meinen die genannten Autoren in ihrem Buch Die Wahrheit über Eva eine Wirklichkeit, „die behauptet eine objektive zu sein, dabei ist sie nur eine sexistisch verzerrte Simulation“ (wie in der computergenerierten Scheinwelt von The Matrix). Denn die „Vorstellung ewiger Männermacht“ sei ein Artefakt und nicht der menschliche Normalzustand, „sondern eine kurze Anomalie, ein Irrweg“ in der Menschheitsgeschichte. Indem genderkritische Feministinnen die Geschlechterdifferenz festschreiben, die Frau auf eine biologische Funktion reduzieren, bleiben sie auf dem patriarchalen Holzweg. Deshalb liegt außerhalb ihrer Wahrnehmung, was Judith Butler so beschrieb: „Es gibt Menschen, die in den Zwischenräumen dieses binären Verhältnisses leben und atmen und damit zeigen, dass es nicht erschöpfend, nicht zwingend ist.“

Bei der Historikerin und trans*Aktivistin Susan Stryker fand ich einen Gedanken, der mir auf Anhieb einleuchtete: Sie verglich das trans*Sein mit dem Überschreiten von Geschlechtergrenzen und dem Hineinbewegen in einen geschlechtlichen Raum, in dem es auch Nationalist*innen gebe, die etwas gegen Fremde haben. „Die Feindschaft von traditionellen Feministinnen gegen Trans* kann man als Xenophobie bezeichnen – als politisch reaktionäre Position im Gleichklang mit anderen Reinheitspolitiken.“ Sie habe dabei kein Problem mit der Zweigeschlechtlichkeit, mit Leuten, die sich eindeutig als Frau und Mann wahrnehmen. Nur mit dem Zwang, das eine oder das andere sein zu müssen habe sie ein Problem. „Natürlich gibt es mehr als zwei Möglichkeiten. Aber ich glaube, dass es in einer utopischen Welt (und das heißt nicht: einer unmöglichen Welt), in der man sein Geschlecht frei leben kann, neben anderen immer noch Männer und Frauen gäbe, und dass ich mich immer noch als Frau definieren würde, weil das zu mir passt und mich gut beschreibt, auch wenn ich anders lebe als andere in der gleichen Kategorie.“

Nora Eckert ist Publizistin und Ausführender Vorstand bei TransInterQueer e. V.

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Comments

  1. Zur Frage nach der Verankerung von Geschlecht im Gehirn bzw. der neuronalen Verankerung der sogenannten „Geschlechtsidentität“ gab es an der Goethe-Universtität Frankfurt a.M. im Jahr 2016 eine internationale, interdisziplinäre Konferenz mit dem Titel „Transsexualität. Eine gesellschaftliche Herausforderung im Gespräch zwischen Theologie und Neurowissenschaften“ – daraus entstand das Fachbuch (Hrsg: Prof. Dr. Gerhard Schreiber) mit dem Titel „Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften“ sowie das Taschenbuch „Das Geschlecht in mir“ (Hg. G. Schreiber). Beide kann man ebenso zur Vertiefung dieses Themas empfehlen wie die Internetseite der Uniklinik Ulm, die ganz selbstverständlich folgende Information im Web publiziert: „Es wird davon ausgegangen, dass (neben der Genitalentwicklung) nahezu alle Gewebe und Organe einer geschlechtsspezifischen Entwicklung unterliegen, die durch unterschiedliche Genexpressionsmuster geprägt ist. So konnte auch gezeigt werden, dass sich das menschliche Gehirn ebenfalls geschlechtsspezifisch entwickelt. In diesem Zusammenhang kommt der Begriff des psychischen Geschlechts zum Tragen, das unter anderem das geschlechtsspezifische Verhalten, die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität beinhaltet.“ (findet man schnell via google)

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