Von Körpersäften und Menschen

[Achtung: Der Text enthält leichte Spoiler, insbesondere zu Staffel eins]

Spoiler Alert: Kevin Bacon stirbt. Nun mögen manche mit den Schultern zucken — soll er doch, der kommt in anderer Rolle wieder. Aber nicht dieser Kevin Bacon. Nicht in der Serie WRONG — unzensiert von David Helmut, der gemeinsam mit seiner Produktionsfirma NEUESUPER 2022 den Nachwuchspreis des Blauen Panthers (ehemals Bayerischer Fernsehpreis) bekommen hat. Die Jury meinte, [k]aum ein Beitrag hat die Jury so gut unterhalten wie WRONG – unzensiert.“ Das können wir verstehen. 

Alle mittendrin

Seit Kurzem ist nun die achtteilige zweite Staffel der Mockumentary mit vielen Improvisationsmomenten um eine Hamburger Wohngemeinschaft auf dem Streamingportal RTL+ verfügbar. Zu Beginn der Serie, in der ersten Folge „Nico ist tot“, treffen wir auf Influencerin Melisa (Melisa Dobric), ihren Bruder, den Polizisten Titus (Titus Kraus), der in der Wohnung von Hauptmieter David (Helmut) auf der Flur-Couch crasht, nachdem seine Freundin Saskia ihn verlassen hat. Äh, die beiden eine Beziehungspause eingegangen sind.

David (David Helmut), Lena (Lena Meckel) und Nico (Nicolas Fethi Türksever) machen sich einen gemütlichen Tag auf dem Sofa – noch // Foto: © RTL

Außerdem wohnen hier noch High-Performer Nico (Nicolas Fethi Türksever) und der bedrohlich-stille Dennis (Dennis Huszak, auch Teil des Writer’s Room); regelmäßig in der WG ist Davids Langzeit-On-Off-Freundin Lena (Lena Meckel), vor der David nicht nur immer wieder Seitensprünge zu verbergen versucht. So auch in der Auftaktfolge, in der er mit einer ehemaligen Studienfreundin Lenas schläft. Diese lädt sie wiederum zu einer kurzfristig angesetzten Geburtstagsparty für den bald sterbenden Nico ein. Das kann ja nur eskalieren, vermutlich…

Kinderblut, Mushrooms und Behinderungen

Ähnlich wie Davids Seitensprünge, die auch sehr persönlichen Analsex beinhalten, ziehen sich manche Motive durch die bisher insgesamt sechzehn Folgen von WRONG. Titus, der unschuldig aussieht und sich doch immerfort (manches Mal wohl nur scheinbar widerwillig) in problematische Aktionen ziehen lässt, zwischendurch seine Ex stalkt, feststellt, dass er schwul und sex- sowie liebessüchtig ist und dabei weder vor Gift noch Erpressung oder Waffen zurückschreckt. 

Titus (Titus Kraus, l.) freut sich, dass sein neuer Freund (Louis von Klipstein) ihn jetzt braucht… // Foto: © RTL

Nico, der tausende Business-Ideen hat, ob es sich nun um ein Anal-Plug-Schneeballsystem, Musikkarriere aus Fürzen oder AfterMeat handelt — flexibel ist er. Letztere Idee setzt er gemeinsam mit David, dem im Wohnhaus eine Kneipe gehört (die vor der zweiten Staffel wohl einen enormen Umbauprozess erfahren hat) und Dennis um, der ebenfalls in unzähligen Töpfen rührt und im Grunde für jede Überwachung ääähhh Überraschung gut ist. In der zweiten Staffel ist er abwesend, dafür ergänzt seine nicht minder mysteriöse Cousine Mona (Stefanie Adler) die WG, bleibt als Figur aber leider eher blass. Zugegeben, Dennis hat in der ersten Staffel auch wenig Handlungsmomente oder Redeanteile, aber wenn, dann plätschern diese genüsslich.

Sperma, Pisse und ein wütender Gott

Anfangs scheint noch Melisa Dreh- und Angelpunkt von allem zu sein, pisst mal einen Penner an, sammelt mal Scheiße von ihrer Wand, schläft mit einem Fußballer und macht eine Nachhilfeschülerin bulimisch. Läuft bei ihr. Doch geht WRONG schnell immer mehr Richtung Ensembleserie, in der wir in den meisten Folgen zwei parallel laufende Handlungsstränge finden, die gern auch einmal zusammenlaufen… oder eher zusammen knallen. 

Die Nachbarin (Marie Nasemann, l.) ist da, um ihr Kind wieder abzuholen – brenzlige Situation // Foto: © RTL

Dabei setzen die spitze aufspielenden WG-Bewohner*innen manches Mal auf verschworene Schweigsamkeit, an anderer Stelle werfen sie einander den Wölfen zum Fraß vor. Am Ende will es keine*r gewesen sein und jede*r ist sich selbst am Nächsten. Damit bildet diese politisch so unkorrekte wie herrlich bitterböse Wohngemeinschaft definitiv einen sehr zeitgemäßen Spiegel der deutschen Verfasstheit. Wenn in ihrer Drastik wohl auch überspitzt. Immer begleitet werden sie dabei von einem Filmteam, das die Gruppe für eine Dokumentation aufzeichnet — wie es dazu kommt, das erfahren wir auch in der ersten Folge.

Holterdiepolter

Diese holpert noch ein wenig, ist allerdings beim zweiten Schauen umso spannender, da sich hier schon Linien und Momente abzeichnen, die WRONG prägen werden. Bei aller anekdotischen Plötzlichkeit vieler Handlungsmomente ist die Serie in ihrer Figurenzeichnung alles in allem doch konsequent und konsistent. Mit einer Ausnahme: In der zweiten Staffel lernen wir Nicos Mutter kennen und das, was er hier über ihr Verhältnis sagt und wie sie sich verhält, deckt sich nicht mit Dingen, die am Serienbeginn stehen.

Nicos heiße Mutter (Ilonka Petruschka) ist eine „MILF“ – sehr zu Davids Gefallen, denn manche Chancen gibt’s nur einmal im Leben… // Foto: © RTL

Ebenso verpoltern die Macher*innen eine trans*-Handlung. Dies nicht etwa, weil sie allzu garstig wären. Nein, ganz im Gegenteil merken wir, dass das nicht als Kalauer angelegt sein soll. Und doch scheitert WRONG gerade daran, diese Momente organisch einzubinden. Überhaupt sind die ersten beiden Folgen der zweiten Staffel die mit Abstand schwächsten der Serie. Wenn in „Lena tickt Höschen“ auch eine nette Nummer um sie, Melisa und eine ältere Bewohnerin des Hauses entwickelt wird (da denken wir doch direkt an die ebenfalls von NEUESUPER geschaffene Serie Luden mit Aaron Hilmer). Treppenlifte wecken das Schlimmste in den Menschen. 

Schwänze, Staubsauger und Schusswaffen

Interessant ist dabei, dass diese Folgen durchaus Einblick in sehr Persönliches von David und Nico geben — allein es mag nicht recht verfangen. Schnell kommt die Staffel aber wieder auf die Beine und die verbleibenden Folgen sind bis zu einem knalligen Staffelfinale, das quasi in einem One-Shot gedreht wurde, herrlich boshaft.

BUH! Mona (Stefanie Adler) und David (David Helmut, M.) wundern sich, warum Titus (Titus Kraus, l.) eine Tür eingeschlagen hat… // Foto: © RTL

Ob Therapie, Spuk in der Wohnung, ein „Ich weiß was du letzten Sommer getan hast“-Moment (so, so wunderbar fies), Drogengeschäfte und politisch heikle Affären, Selbst- und Staubsaugerliebe, Beziehungscoaching und Gruppentherapie, Gartenscheißerei und Kitzelkämpfe, Offenbarungen und gleich mehrfach falsche Kinder (Melisa in Staffel eins: „Also heulende Kinder… gaaaaaar nicht. Also gaaaar nicht. Damit kann ich gaaaaaar nicht. Also ist nicht schlimm. Aber ich kann’s nicht.“ We hear you) — alles dabei, es gibt kaum eine Keule der Abstrusität, die nicht geschwungen wird und selbst eine gewisse in Hamburg geborene ältere Dame bleibt von dem bitterbösen Humor nicht verschont.

Titus (Titus Kraus, l.) und Nico freunden sich mit den Zwillingen Oliver (Lion Wasczyk) und Lilli (Fabienne Haller) an und denken an Kleeblätter… // Foto: © RTL

Diese Menschen sind schlicht furchtbar, auch wenn sie in der zweiten Staffel mehr noch als in der ersten Opfer mancher Umstände sind, treffen sie doch zielgenau immer die möglichst schlechte Entscheidung. Ein paar nette Gastauftritte wie unter anderem von Marie Nasemann, Sara Fuchs, Marcel Zuschlag oder Lion Wasczyk runden David Helmuts WRONG ab. Bleibt zu hoffen, dass die urkomische Mockumentary nicht mit der zweiten Staffel endet. Wir wären bei einer dritten Runde außerordentlicher Abartigkeit dabei.

JW

PS: „Nein ich habe gesagt ‚hier sind noch ein paar Pilze‘… Ist doch nichts passiert.“

PPS: „Wenn Du Wodka gesoffen hast, redest Du schon so Ostblock-Kauderwelsch. Und Du machst auch immer Flickflack wenn Du besoffen bist… „

V.l.: Lena (Lena Meckel), David (David Helmut), Mona (Stefanie Alder), Titus (Titus Kraus), Melisa (Melisa Dobric) und Nico (Nicolas F. Türksever) // © RTL

WRONG — unzensiert, zwei Staffeln sind auf RTL+ verfügbar.

WRONG — unzensiert, Staffeln 1 und 2; Deutschland 2021-2023; Idee und Regie: David Helmut; Drehbuch: David Helmut, Evi Prince, Julian Adiputra Witt, Dennis Huszak, Leonie Grandi; Musik: Jordan Prince; Darsteller*innen: David Helmut, Melisa Dobric, Lena Meckel, Dennis Huszak, Titus Kraus, Nicolas Fethi Türksever, Stefanie Adler, Iris Ried, Vivien König, Florian Dobric-Gerl, Jan Liem, Lion Wasczyk, Fabienne Haller, Marie Nasemann, Louis von Klipstein, Adam Jaskolka, Yasmin Saleh, Andrea Beblo-Krause, Sevda Polat, Diana Müller u. v. a.; FSK: 16; sechzehn Folgen à ca. 23 Minuten

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