Wer Hass sät, erntet… nichts

Wie damit umgehen, wenn du in deinem Leben einmal oder mehrmals eine herbe Gewalterfahrung machen musstest? Sowohl verbal als auch physisch. Wie damit umgehen, ständig in der Gefahr zu sein, dass dies wieder und wieder und wieder geschehen kann? Wie damit umgehen, diese Gewalt innerhalb der Familie, des eigenen Umfelds, in der Obhut Schutzbefohlener zu erfahren? Nein, hier hat nicht jemand zu oft irgendein Mafia-Epos geschaut, sondern bezieht sich auf die Gewalt, den Hass gegen Queer(s).

Kennen wir uns nicht?

So, Hass gegen Queer, auch der Titel der neuen Dokumentation von Tristan Ferland Milewski (Dream Boat), die am heutigen Dienstag um 21:45 Uhr auf arte ausgestrahlt wird. In Wort und Bild begegnen wir diversen Menschen der LGBTQIA*-Community. Manche, wie die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer, die Drag-Queens Barbie Breakout und Miss Ivanka T. oder der aus Frankreich kommende Arnaud, dürften als ein wenig bekannter gelten. Andere hingegen, wie die in der Berliner Ballroom-Szene aktiven trans*Personen Leo und Ria, dem bilingualen lesbischen Mütterpaar Charlotte und Linda, das auch über die eigene internalisierte Homofeindlichkeit spricht, oder Max als Opfer von Cybermobbing, werden viele Zuschauer*innen das erste Mal begegnen.

Charlotte (re.) und Linda (li.) wurden am helllichten Tag vor den Augen ihrer Tochter zusammengeschlagen // © Thomas Funk/Doclights Foto: WDR

Dass wir jedoch bereits genannten Arnaud in erster Linie von den Fotos, der Berichterstattung sowie seinem Instagram-Post zu einem homofeindlichen Angriff mitten in Paris kennen, zeigt schon einmal auf, wie prekär die Lage für Queers (in Europa) sein kann. „Ihr kennt euch doch alle untereinander.“ —„Klar, ich lese ja die Schlagzeilen über Schläge gegen uns.“ So nämlich.

Einordnung und Hintergründe

Die Dokumentation fokussiert sich dabei in erster Linie auf die Erzählung des Erlebten und wie die jeweiligen Protagonist*innen damit umgegangen sind oder noch umzugehen versuchen. Dazu eingestreut werden immer mal Beiträge zu den jeweiligen Vorfällen (so darüber berichtet wurde) sowie allgemeine News-Meldungen zu queerfeindllichen Vorfällen und Attacken und Nachrichtenbeiträge. Hier stört es ein wenig, dass diese so gut wie nie mit einem Datum versehen werden. Womöglich wollte Tristan Ferland Milewski so ausdrücken, dass Gewalt und Hass gegen Queer ein zeitloser Dauerbrenner sind. Doch ein wenig zeitliche Einordnung wäre eigentlich ganz nett.

Max war monatelang Opfer von homofeindlichem Cybermobbing. Sein Stalker bedrohte Max fast ein Jahr lang während seiner Schulzeit // © Dunja Engelbrecht/Doclights Foto: WDR

Ebenso ist der Fall von Max, der über lange Zeit von einem Stalker gemobbt, bedrängt und bedroht wurde (inklusive Outing im Netz und durch Aushangzettel, falscher Todesanzeigen und einem Trauerkranz an die Schule), ein wenig abstrakt. Wie lange dieses Mobbing etwa lief, was schließlich dagegen unternommen wurde, etc. bleibt etwas schwammig. Was an sich nicht so wild ist — es „erfreut“ an dem Film durchaus, dass es vorrangig um die Geschichten der Angegriffenen und nur wenn nötig um die der Täter geht —, doch scheint es, als seien hier manche Details dem Schnitt zum Opfer gefallen und hätten eigentlich stattgefunden. Stattdessen kann beim Abschnitt zu Max manches Mal beinahe der Eindruck entstehen, als würde hier eine gewisse Mitschuld des damaligen Schülers impliziert. Seltsam.

Nicht der letzte Film seiner Art

Weit sensibler ist Hass gegen Queer, wenn es nicht nur um dezidiert diesen geht, sondern auch die Vermengung mit anderen Vorurteilen und Diskriminierungserfahrungen, wie etwa Rassismus oder Antisemitismus (der allerdings eher als Allgemeinplatz vom Münchener Grünen-Politiker Marcel Rohrlack erwähnt wird, der nach einem CSD 2015 attackiert wurde). Hier werden auch strukturelle Fragen aufgeworfen und es wird klar, wie schwer es beispielsweise PoC haben, die dazu noch queer sind. Barbie Breakout bringt es aber an einer Stelle sehr gut auf den Punkt, als sie sagt, dass gerade Misogynie und der Hass gegen alles Weibliche den Kern vielen Hasses gegen alles Nicht-Heteronormative ausmache.

Leo (li.) und Ria (re.) haben in der Ballroom-Community ihr Zuhause gefunden // © Tristan Ferland Milewski/Doclights Foto: WDR

Dennoch ist die Dokumentation, in der vielfältige Erfahrungen zusammenkommen, keine hoffnungslose Angelegenheit. Wie erwähnt geht es allen Beteiligten auch darum, zu berichten, wie sie damit umgehen, umzugehen gelernt haben, wie sie sich auch weiterentwickelt haben. Verstecken als Abwehrmechanismus taucht in jedem Fall nicht auf. So erinnert Hass gegen Queer in der Struktur und dem Geschilderten nicht von ungefähr an Dokumentationen wie Jeder Tag ein Kampf? – Queere Menschen in Deutschland von Klaas-Wilhelm Brandenburg und Alex Grantl oder Hass gegen LGBTQ — Von Diskriminierung und Widerstand von Béla Batthyany und Barbara Frauchiger

Arnaud wurde in Paris auf offener Straße von sechs Jugendlichen zusammengeschlagen // © Dunja Engelbrecht/Doclights Foto: WDR

Dennoch gibt es hier nichts Altbekanntes zu sehen, keiner der Vorfälle gleicht einem Anderen. Nur die Gründe sind oft Ähnliche. Das ist ja eben so erschreckend: Dokumentationen in vergleichsweiser kurzer Folge mit ähnlichem Thema, machen umso deutlicher, dass wir eben nicht „alles erreicht haben“ und uns mal „nicht mehr so haben sollten“ (der Autor dieser Zeilen ist ebenfalls erst kürzlich attackiert worden — nicht das erste Mal). Gewalt gegen eine marginalisierte Gruppe damit zu begründen, dass sie gleiche Rechte und Akzeptanz einforderten, ist nichts, das irgendein demokratischer Staat jemals akzeptieren sollte. 

Wir werden wohl noch ein paar dieser Filme zu sehen bekommen. 

AS

PS: Zuvor zeigt arte den Dokumentarfilm Schweigen und Vertuschen. Die Todsünden der katholischen Kirche von Helmar Büchel, dieser sei ebenfalls empfohlen. 

Tessa Ganserer (Mi.) setzt sich im Bundestag auch für die Rechte queerer Menschen ein // © Jörg Junge/Doclights Foto: WDR

Das Erste zeigt Hass gegen Queer am Mittwoch, 19. Juli 2023, um 22:50; die Dokumentation ist bereits vorab und bis zum 19. Juli 2024 in der ARD-Mediathek verfügbar.

Hass gegen Queer; Deutschland 2022; Buch und Regie: Tristan Ferland Milewski; Kamera: Dunja Engelbrecht, Jörg Junge; Laufzeit ca. 81 Minuten; in der arte-Mediathek

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