#IDAHOBIT ist jeden Tag

Vor zwei Tagen, am 17. Mai 2023, war wieder der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter und Transphobie bzw. -feindlichkeit (IDAHOBIT) — wir haben euch an diesem Tag die neue Single und das Video von Musiker MKSMLoving Myself“ vorgestellt, in dem unter anderem Jochen Schropp und Brix Schaumburg am Start sind. Gut ist, dass im Zuge des IDAHOBIT Queerness und vor allem die noch immer unsichere Situation für Menschen der LSBTIQ*-Community für einen Tag stärker in der Berichterstattung vorkommen. 

Doch, was wir auch im Text zu „Loving Myself“ in Bezug auf manche Musiker*innen schrieben, gilt ebenso für andere Gruppen: An diesem Tag kann mensch sich mit Statements und Solidaritätsbekundungen brüsten, um sich dieser tags darauf kaum mehr zu erinnern. Vielleicht noch auf dem einen oder anderen CSD, aber das war’s dann auch. Dabei beobachten wir nicht nur in Deutschland, wie sich die Stimmungsmache gegen queere Menschen immer mehr verschärft.

Anti-queerte Vorbilder aus Russland und den USA

„Dabei kommen die ‚Sorgen‘, ‚Fragen‘ und der teilweise offen formulierte Hass gegen die queere Community nicht mehr nur aus anonymen Kommentarspalten, sondern mitunter auch ungeniert aus den ersten politischen Reihen. Plötzlich wandeln sich konservative Hardliner und ‚Wokeness‘-Gegner aus den USA zum Vorbild für die deutsche Politik und Drag Queens sollen das Kindeswohl gefährden“, bemerkt Detlef Raasch, Vorstandsmitglied der IG CSD Stuttgart e. V., ganz richtig in einer Pressemitteilung, die zur Unterstützung des diesjährigen Mottos der CSD-Kulturwochen Stuttgart Pride „Nicht mit uns! Gemeinsam sicher und stark.“ aufruft.

So erleben wir in Bayern eine Debatte darüber, ob die Drag Queen Vicky Voyage und der Drag King Eric BigClit Kindern aus altersgerechten Büchern, wie dem wunderbaren Marlon Bundo, vorlesen dürfen. Dabei klingt „Debatte“ zu sortiert. Denn das ist sie nicht. Hubert Aiwanger, der sich ohnehin für kaum etwas zu schade ist, entblödet sich nicht und twittert was von Kindswohlgefährdung („Kinder mit sowas zu konfrontieren ist Kindeswohlgefährdung, nicht ‚Weltoffenheit‘, Ihr grünen Spinner! Eric Große Kli…’liest ja nur nette Märchen vor?‘. Der Name spricht für sich. Ihr seid eine Gefahr für unser Land, wenn Ihr sowas gut findet!“), während der CSU-Generalsekretär Martin Huber schrieb am 3. Mai auf Twitter: „Lasst Kinder einfach Kinder sein… Vierjährige sollten mit Bauklötzen oder Knete spielen und nicht mit woker Frühsexualisierung indoktriniert werden.“

Die Frankfurter Drag Queen Tante Gladice bemerkte im Rahmen des Filmes Meine Freundin Volker, wie sich physische Übergriffe und verbale Attacken gegen Drag Queens und andere Queers häufen. Auf der aktuellen ILGA-Europe Rainbow Map stecken wir irgendwie mit 53 % auf Platz vierzehn fest (gemeinsam mit Irland und Großbritannien) — da mag sich mit dem wohl kommenden Selbstbestimmungsgesetz und dem einen oder anderen geplanten Aktionsplan sowohl des Queerbeauftragten Sven Lehmann als auch der Bundesländer manches ändern. Doch Papier ist geduldig, wie wir in unserem Beitrag zu den aktuellen Zahlen von Hasskriminalität schrieben.

China und Uganda: Queere Leben sind nichts wert

Immerhin werden hierzulande jedoch keine LGBTIQ*-Organisationen von staatlicher Seite aufgelöst, wie beispielsweise in China. Wie Die Zeit am 17. Mai berichtete, lösten die Behörden in Peking eine Organisation auf, die sich für queere Menschen engagierte und unter anderem kostengünstige psychologische Betreuung sowie Listen LSBTIQ-freundlicher Mediziner anbot und sich für die gleichgeschlechtliche Ehe stark machte. Bereits 2021 wurde die Gruppe LGBT Rights Advocacy China aufgelöst.

Noch drastischer ist die Lage in dem ostafrikanischen Binnenstaat Uganda. Dort wurde Anfang Mai ein Anti-LGBT-Gesetz verabschiedet, das unter anderem vorsieht, Personen oder Gruppen die „schwule Aktivitäten fördern“, mit bis zu 20 Jahren Haft zu bestrafen. Personen, die Sex mit Minderjährigen oder mit Menschen, die „schutzbedürftigen Gruppen“ angehören, haben, können laut Gesetz gar mit dem Tode bestraft werden

Präsident Yoweri Museveni hat noch ein wenig Zeit das Gesetz, bei dem es sich um einen zweiten Entwurf handelt — der erste sah vor, dass Menschen allein aufgrund des „Verdachts der Homosexualität“ festgenommen werden könnten — zu unterzeichnen und es so in Kraft zu setzen. Bei dem ersten Entwurf gab es Bedenken, dass das Gesetz angreifbar wäre. Doch gilt er als Befürworter des menschenfeindlichen Gesetzes.

Offener Brief wider der Menschenverachtung

International stieß und stößt dieses auf massive Kritik. In einem offenen Brief, der am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde und sich an Außenministerin Annalena Baerbock, die Menschenrechtsbeauftragte Luise Amtsberg, den Queer-Beauftragten Sven Lehmann und die Mitglieder der deutschen Bundesregierung richtet, fordern 80 größtenteils Prominente die Ampelkoalition zum Handeln auf. 

„Wir appellieren an die Bundesregierung, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um das Gesetz zu stoppen und diese menschliche Katastrophe zu verhindern. Wir unterstützen, dass die Bundesregierung internationale diplomatische Verurteilungen, die Einstellung staatlicher Zusammenarbeit und bedachte Sanktionen in Erwägung zieht“, heißt es darin unter anderem. Zu den Forderungen gehören die unbürokratische Ermöglichung von 200 humanitären „Visa für LGBTQI+ und Menschenrechtsverteidiger*innen“ sowie die Unterstützung von queeren Organisationen vor Ort — sowohl finanziell als auch politisch. Damit einhergehend das Schaffen sicherer Räume und Fluchtkorridore.

Zu den Erstunterzeichner*innen des offenen Briefes, der die WeAct-Petition „‚Anti-Homosexuality’ Gesetz stoppen & Sicherheit der LGBTQIA+ Community in Uganda garantieren“ der queeren Organisation Let’s Walk Uganda unterstützt, gehören Else Buschheuer, Rosa von Praunheim, Harald Christ, Zazie de Paris, Rainer Herrn, Manuela Kay, Ralf König, Kristof Magnusson, Meron Mendel, Wolfgang Tillmans, Lutz van Dijk und Hengameh Yaghoobifarah. Wieland Speck, ehemaliger Leiter der Panorama-Sektion der Berlinale, Journalist Dirk Ludigs und Edward Mutebi, Gründer von Let’s Walk Uganda, haben den Brief initiiert.

Mut, sich zu wehren

„Noch immer droht Lesben, Schwule, Bisexuellen, trans– und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen (LSBTIQ*) in vielen Staaten Gefängnis und in 11 Ländern sogar die Todesstrafe. Sie werden kriminalisiert, stigmatisiert und verfolgt. Ihre Menschenrechte werden nicht überall anerkannt geschweige dann durchgesetzt. Angriffe auf LSBTIQ* sind dabei oftmals eingebettet in autoritäre, rechtspopulistische, religiös-fundamentalistische und nationalistische Politiken. Sie zielen immer auch auf den Abbau von Demokratie, Rechtstaatlichkeit [sic!] und Gewaltenteilung insgesamt ab.“

So leitet der Grüne Sven Lehman seine Erklärung anlässlich des diesjährigen IDAHOBIT ein. Und weiter: „Der IDAHOBIT betont auch den Mut von Millionen queerer [sic!] Menschen auf der ganzen Welt, sich gegen Diskriminierung zu verteidigen, um in Freiheit und in Würde leben und lieben zu können. Die Bundesregierung muss fest an der Seite von LSBTIQ* stehen – in Deutschland und weltweit.“ Auch dass das sichere, offene und gleichberechtigte Leben queerer Menschen in Deutschland bis heute nicht selbstverständlich ist, betont der Queer-Beauftragte der Bundesregierung.

Ebenso spricht er auch die „Verbotsforderungen und Skandalisierung gegen eine Lesung von Drag Queens“ an und kommt auf die Gegenstimmen zum Selbstbestimmungsgesetz, die zumeist arg trans*feindlich ausfallen: „In der aktuellen Debatte um das geplante Selbstbestimmungsgesetz stehen transgeschlechtliche Menschen im Dauerfeuer. Sie werden alltäglich lächerlich gemacht, als Bedrohung dargestellt oder gleich ganz in ihrer Existenz in Frage gestellt.“

Artikel 3 GG endlich updaten 

Deutschland dürfe sich auf dem Erreichten nicht ausruhen. Genau wie sein Koalitionskollege, der LGBT-politische Sprecher der FDP-Fraktion Jürgen Lenders, setzt auch Lehmann sich für ein Update von Artikel 3 Grundgesetz ein — die sexuelle Identität solle explizit aufgenommen werden. Natürlich unterstützen wir dieses Anliegen, wie euch als unseren Leser*innen bekannt ist.

Doch nicht nur in Bezug auf Menschen mit deutschem Pass zeigt sich der Grünen-Politiker engagiert. So verweist er ebenfalls darauf, dass „die Abschaffung des Diskretionsgebots für queere Geflüchtete sowie die explizite Berücksichtigung von LSBTIQ* im Aufnahmeprogramm für Afghanistan“ bereits umgesetzt worden seien. Darüber hinaus habe die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem LSBTIQ*-Feindlichkeit ausdrücklich als menschenverachtender Beweggrund in die Strafgesetze zu Hasskriminalität aufgenommen würde. 

Anhörung zur weltweiten Rechtslage der LGBTIQ-Community

Zwar bewegen wir uns damit wieder im deutschen Raum, doch zeigen die geplanten und teils vorgenommen Maßnahmen recht deutlich in die richtige Richtung. Wenn dies natürlich erstmal noch keiner queeren Person in China oder Uganda hilft. Gespannt blicken wir, auch mit dem offenen Brief im Hinterkopf, auf den kommenden Mittwoch, den 24. Mai. An diesem Tag kommt um 14:00 Uhr im Saal 3.101 des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu einer öffentlichen Anhörung zusammen.

Das Thema: Die weltweite Rechtslage der LGBTIQ-Community. Die dreistündige Sitzung wird live im Parlamentsfernsehen übertragen. Eine Liste mit Sachverständigen liegt aktuell noch nicht vor, sollte aber demnächst online verfügbar sein. Ausschussmitglieder sind unter anderem auch Falko Droßmann (SPD) sowie Max Lucks (Bündnis 90/Die Grünen), die wir auch zur Situation queerer Menschen in der Ukraine zum Beginn des russischen Angriffskrieges befragt hatten.

All diese Gedanken, Beispiele und Themenabrisse zeigen deutlich: Die Lage queerer Menschen, ob nun hierzulande, in den Nachbarstaaten, der Europäischen Union oder weltweit, verdient immer Aufmerksamkeit. Zu groß sind die Gefahren, dass in Ländern, die ihre Demokratie nach und nach abwickeln, wie etwa in Orbáns Ungarn, oder auch in jenen, die sich für ihre Freiheit feiern, wie in den USA, versucht wird, die Uhr zurückzudrehen und uns wieder ins Abseits und den Abgrund zu treiben. Zum Glück wissen wir, wie mensch Spaß und Aktivismus miteinander verbinden kann. 

In diesem Sinne: Auf eine fabelhafte Pride Season 2023!

Eure queer-reviewer

PS: Kurz zum IDAHOBIT: Der Tag geht auf den 17. Mai 1990 zurück. An diesem beschloss die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Homosexualiät von der Liste psychischer Krankheiten auf dem Diagnoseschlüssel ICD-10 zu streichen. Seitdem wird jährlich am 17. Mai dieser Tag begangen und im Rahmen dessen auf Demonstrationen und Kundgebungen auf Diskriminierung aufmerksam gemacht.

PPS: Am Montag, den 22. Mai 2023, wird es um 10:00 Uhr ebenfalls im Saal 3.101 des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses auf Antrag der Partei Die Linke eine öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss zur An­erkennung queerer NS-Opfer geben. In ihrem Antrag fordert die Linksfraktion den Bundestag auf, anzuerkennen, „dass den queeren Opfern aufgrund der jahrzehntelangen Verweigerung der Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus großes Unrecht angetan wurde“. Eine Liste der Sachverständigen findet ihr hier; die Anhörung wird im Parlamentsfernsehen übertragen. 

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