Kräftiger Kaffee

„Die fetten Jahre sind vorbei!“ So hört mensch oft, wenn ein befriedigender Zustand lange andauerte und plötzlich – oder auch nicht so plötzlich – trübere Wolken aufziehen. Das Motiv allerdings, dass „es“ nun immer schlechter werde, ist immer wiederkehrend und auch normal. Ob es unsere aktuelle Lage mit Pan- bis Endemie sowie Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine – die 2010er-Jahre waren in vielerlei Hinsicht ja durchaus „fett“ – oder ob es die Vergangenheit ist.

Ein Löwe für die Löwin // © Rungstedlundsammlung der Königlichen Bibliothek (KB), Kopenhagen

Eine aus heutiger Sicht recht trübe Vergangenheit ist die Ära des Kolonialismus. Für manche bis vor etwa 50 Jahren lebenden Menschen war diese Episode der Menschheitsgeschichte in vielerlei Hinsicht „fett“, aber auch nur, weil sie vor vielen Dingen die Augen verschlossen haben. Heute stellen wir uns glücklicherweise zunehmend differenzierter diesen Themen, den schweren Menschenrechtsverbrechen, die in den Kolonien weltweit begangen wurden. Aus damaliger Sicht aber war das Leben für die herrschende Kaste vielfach in der Tat „fett“.

Meine nicht ganz so kleine Kaffeeplantage

So war das anfangs auch für die Inhaberin einer Kaffeeplantage in Britisch-Ostafrika, heute bekannt als Kenia. Das Leben als Inhaberin einer Kaffeefarm war es aber nur mittelbar, das sie bekannt machte. Vielmehr waren es ihre Erinnerungen an die Zeit in Kenia, die sie in einem weltbekannten Roman verarbeitete, der heute zu den Klassikern der Literatur gehört: Jenseits von Afrika von Tania Blixen.

Tania Blixen – dänische Kaffeefarmerin in Britisch-Ostafrika // © Rungstedlundsammlung der Königlichen Bibliothek (KB), Kopenhagen

Siebzehn Jahre verbrachte Blixen (mit mehrmaligem Heimaturlaub) im heutigen Kenia, also einen beachtlichen Teil ihres Lebens. Diese Zeit hat der dänische Autor Tom Buk-Swienty näher unter die Lupe genommen und ein fast schon monumentales biografisches Werk daraus gemacht: Die Löwin – Tania Blixen in Afrika erschien bereits im vergangenen Jahr im Penguin Verlag und wurde – wie das jüngst neuerschienene Blixen-Werk Babettes Gastmahl von Ulrich Sonnenberg fabelhaft ins Deutsche übersetzt.

Gemeinsam mit ihrem späteren Mann, dem Baron Bror von Blixen-Finecke, entschließt sich die junge und aus wohlhabendem Hause stammende Karen Diensen – später (hierzulande) bekannt eben als Tania Blixen – nach Britisch-Ostafrika auszuwandern und dort eine Kaffeeplantage zu betreiben. Schnell erweitern sie den Betrieb in der Nähe der heutigen Hauptstadt Nairobi, investieren in den Bau und Betrieb der Farm, genießen aber gleichzeitig das relativ sorgenfreie Leben in Afrika. „Fette Jahre“ für die Blixens also, denn sie ließen es sich in der Tat gut gehen.

Faul statt fett

Doch irgendwas ist faul im Staate… Äh, eigentlich in keinem Staate, denn wie gesagt, Britisch-Ostafrika war eine Kolonie und die Europäerinnen und Europäer dominierten die Einheimischen nach Belieben. Daran lag es jedoch nicht, dass die Farm in den betreffenden knapp zwei Jahrzehnten kaum rentabel war. Fehlinvestitionen, schlechtes Wetter und Missernten, Krankheit, Beziehungsprobleme und allgemeine Rückschläge – in Britisch-Ostafrika so genannte „Shauries“ – verkomplizierten das Leben und den Betrieb vor Ort so sehr, dass nach weniger als zwei Jahrzehnten (und befeuert durch die Weltwirtschaftskrise) das Kapitel „Afrika“ auch schon wieder geschlossen wurde.

Denys Finch Hattons (ein langjähriger Liebhaber Blixens) Luftaufnahme von Tania Blixens zweiter Farm MBogani // © Rungstedlundsammlung der Königlichen Bibliothek (KB), Kopenhagen

Hätten nicht Tanias Onkel Aage Westenkamp sowie ihre Mutter stetig frisches Geld zugeschossen, wäre das wohl noch deutlich früher der Fall gewesen. Und dennoch hat Tom Buk-Siwenty hier fast zwei Jahrzehnte im Leben einer der bekanntesten Schriftstellerinnen Dänemarks aufgearbeitet, die ihre Existenz und die vieler weiterer Menschen mehr als nur deutlich geprägt hat.

Das Dicke

Das Bemerkenswerte an dieser Aufarbeitung fällt direkt ins Auge: die Dicke. Die Löwin hat deutlich Speck angesetzt, um im Bilde zu bleiben. Fast 800 Seiten hat Buk-Swienty Tania Blixen gewidmet, allerdings mit einem verhältnismäßig dicken Papier, nicht der allerkleinsten Schrift und vor allem vielen, vielen (überwiegend schwarz-weißen) Bildern, die das Buch wunderbar veranschaulichen und wohlkuratiert zur jeweiligen Passage passen. In der Löwin steckt also ein enormer Recherche- und Zusammenfassungsaufwand, der die Dicke des Buchs (und vor allem den Preis von gerade einmal 32 Euro) mehr als rechtfertigt. Die vielen Zusatzinformationen – Stammbäume oder Erläuterungen zur Zukunft der wesentlichen Personen nach Ende des Buchs – dürfen überdies nicht unerwähnt bleiben.

Tania Blixen auf ihrer Farm // © Rungstedlundsammlung der Königlichen Bibliothek (KB), Kopenhagen

Dennoch ist diese Dicke erst einmal abschreckend. Am Rande einer Lesung aus Babettes Gastmahl wurde dieses Buch wie auch Die Löwin von Pankebuch, der Partnerbuchhandlung der Nordischen Botschaften in Berlin, feilgeboten. Das Interesse schien jedoch eher gering, viele der Anwesenden äußerten recht eindeutig, dass ihnen das Buch zu dick sei. Schade, denn sie verpassen in der Tat eine spannende Zusammenfassung der afrikanischen Episode Tania Blixens.

Bis(s) zur Hybris

Und diese ist in der Tat sehr aufschlussreich, denn es sind so viele verschiedene Geschichten, die Buk-Swienty hier versammelt. Es ist die Geschichte einer starken und bemerkenswerten Frau, die sich in den 1910er- und 1920er-Jahren erst mit ihrem Mann und später allein als Unternehmerin versucht – und dabei vielfach auch durchaus Erfolg hat. Sie zeigt Biss und Inspiration, Tatendrang und Leidenschaft – nicht umsonst also wohl der Vergleich mit der Löwin. Diese Beharrlichkeit braucht sie tatsächlich, denn es liegen eben viele Stolpersteine auf ihrem Weg.

Ngoma im Park von MBogani anlässlich des Besuchs des Prince of Wales // © Rungstedlundsammlung der Königlichen Bibliothek (KB), Kopenhagen

Es ist aber zugleich eben auch eine Geschichte des Scheiterns. Das Scheitern der Farm und ihrer Arbeit und zwar sowohl an äußeren Umständen als auch an mancher Hybris, die Tania und ihr engeres Umfeld an den Tag legen. Krankheiten und Heuschreckenschwärme sind das eine, Fehlinvestitionen etwas anderes. Und dazu kommen persönliche Rückschläge: das Zerbrechen der Ehe mit Bror, die komplexe Beziehung mit ihrer großen Liebe Denys Finch-Hatton, ihre eigene Familie. All das ließe heute niemanden kalt und auch Tania Blixen hatte immer wieder mit solchen Rückschlägen zu kämpfen, wie Buk-Swienty ebenfalls sehr schön herausarbeitet, ohne dabei jedoch die Moralkeule herauszuholen.

Umgekehrte Fußnote

Drittens ist Die Löwin die Aufarbeitung einer Episode, die in unseren Geschichtsbüchern meist höchstens die Fußnoten füllt, wenn überhaupt. Die Geschichtsschreibung der 1910er- und 1920er-Jahre dreht sich meist (und durchaus begründet) um den Ersten Weltkrieg, wie es dazu kam, wie die Weimarer Republik sich schlug und wie die Nationalsozialisten langsam erstarkten. Vieles davon findet selbstverständlich auch in Die Löwin statt, dies jedoch eher am Rande.

Tania Blixen sorgte sich um ihre Angestellten und deren Kinder // © Rungstedlundsammlung der Königlichen Bibliothek (KB), Kopenhagen

Stattdessen geht es mehr um die Spätphase der Kolonialära. Kenia 1923? Wer weiß etwas hierüber? Dass beispielsweise der Prince of Wales Blixen auf ihrer Farm besuchte, dürfte vermutlich nur den wenigsten bekannt sein. Wie gesagt, viele lebten damals ihre „fetten Jahre“, beuteten Afrikanerinnen und Afrikaner und das Land, nein, den ganzen Kontinent, aus. Und auch auf Tania Blixens Farmen war das Leben hart, auch wenn sie – wie Buk-Swienty ebenfalls herausarbeitet – für ihre Bediensteten sorgte. Es gab eine Schule für die Kinder, sie bedachte sie mit medizinischer Betreuung, fuhr manche waghalsig ins Krankenhaus, wenn das sein musste.

Von Rassismus und Blutzoll

Selbst wenn aus heutiger Sicht viele Dinge aus Arbeitsschutz- oder schlicht Respektgründen unvorstellbar wären, für die damaligen Verhältnisse scheint Tania Blixen durchaus fortschrittlich gehandelt zu haben. Der Vorwurf, sie sei eine „Rassistin“ gewesen, kann auf Basis von Die Löwin jedenfalls nicht gehalten werden. Im Gegenteil, sie hat die Menschen auf der Plantage, die indigenen Massai und alle anderen Afrikanerinnen und Afrikaner geschätzt und um sich geschart, sie behandelt und gefördert wie „Ihresgleichen“. Manche konnten nur dank ihrer eine Ausbildung oder ein Studium aufnehmen und das darf nicht unter den Tisch fallen. Dass sie auch trotz allem Chefin und Farmverwalterin in der glücklicherweise ausgehenden Ära des Kolonialismus war und somit immer wieder die eine oder andere unangenehme Entscheidung treffen musste und natürlich Teil eines Problems war,, unterschlägt das Buch nicht.

Der Blutzoll, den Tania Blixen hinterließ, war sehr hoch // © Rungstedlundsammlung der Königlichen Bibliothek (KB), Kopenhagen

Was definitiv verstört, ist die Zahl und die Leichtigkeit, mit der wilde Tiere – primär Löwen, diverse Antilopenarten, Nashörner – abgeschossen wurden. Heute ist die Wilderei ein großes Problem für Afrika und die Artenvielfalt und der Blutzoll, der in Die Löwin auch von Tania Blixen aufgemacht wird, dürfte die Leserinnen und Leser einfach nur schmerzen.

So ist Die Löwin – die selbstverständlich immer wieder auf das Werk Blixens und vor allem Jenseits von Afrika rekurriert – ein überaus lesenswertes, wirkmächtiges und informatives Dokument der Zeitgeschichte, das eine enorme Recherche des Autoren Tom Buk-Swienty belegt. Selbst wenn im dritten der vier Teile ein kleiner Hänger drin ist, die fast 800 Seiten über das Leben der Tania Blixen haben es absolut in sich und gehören wohl zu den erstaunlichsten und anschaulichsten Biografien, die in der letzten Zeit erschienen sind. Wo die „fetten Jahre“ trotzdem eine lange Durststrecke sind, lässt sich in der Tat eine gute Geschichte erzählen.

HMS

PS: Berliner*innen finden das Buch, neben vielen anderen feinen Titeln, übrigens in der erwähnten offiziellen Partnerbuchhandlung der Nordischen Botschaften Pankebuch.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Tom Buk-Swienty: Die Löwin. Tania Blixen in Afrika; Oktober 2021; Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg; 768 Seiten, durchgängig illustriert mit teils exklusivem Bildmaterial; Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen; ISBN 978-3-328-60142-5; Penguin Verlag; 32,00 €

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