Weltanschauerinnen für unsere Weltanschauung

Das Beitragsbild zeigt die Kriegsjournalistin Julia Leeb vor der zerstörten libyschen Flugflotte Gaddafis im Jahr 2001.

Das schwache Geschlecht? Unabhängig davon, dass es despektierlich ist, Frauen heutzutage so zu bezeichnen, ist es vielfach schlicht falsch. Frauen sind quasi in alle Schichten der Gesellschaft vorgestoßen und können jeden Job ähnlich gut übernehmen wie ihre männlichen Kollegen. Auch wenn zahlenmäßig vielfach wohl noch Ausbaupotential besteht, aber gut.

Die Reporterin Janine di Giovanni verbrachte lange Zeit im belagerten Sarajewo //
Foto: © picture-alliance/dpa

Einer der wohl härtesten und sowohl körperlich als auch geistig anspruchsvollsten und gefährlichsten Jobs ist der in der Kriegsberichterstattung. Diese Art des Journalismus ist aber essentiell, damit wir wissen, was passiert, wie die Fronten verlaufen, wer gerade welche Offensive gestartet hat und – ja, auch das –, welche Gräueltaten sich ereignen. Und darauf haben Frauen oft einen ganz anderen Blickwinkel als Männer. Eine Sammlung solch mutiger Frauen, die aus Kriegsgebieten berichteten oder noch immer berichten, hat Rita Kohlmeier zusammengestellt. Ihr Sammelband Kriegsreporterinnen – Im Einsatz für Wahrheit und Frieden ist im Elisabeth Sandmann Verlag erschienen und beeindruckt sehr.

Frauen erobern die Frontlinien

Etwa 30 Kriegsreporterinnen aus aller Welt stellt Kohlmaier in ihrem Band vor und knüpft damit an einige vorherige Veröffentlichungen an, in denen sie mutige Frauen und Vorbilder porträtiert. Hier decken sie so unterschiedliche Medienbereiche wie Rundfunk (u. a. Christiane Amanpour, Katrin Eigendorf oder Antonia Rados), Fotografie (u. a. Lynsey Addario und Lee Miller) oder Literatur (z. B. Carolin Emcke, Janine di Giovanni oder Erika Mann) ab.

Erika Mann mit Kolleginnen im Zweiten Weltkrieg // Foto:
© Library of Congress, New York World-Telegram & Sun Collection

Während der erste Teil des Sammelbands also primär nach Mediengattungen strukturiert ist, decken die Kapitel 4 und 5 besondere Bereiche ab: In Kapitel 4 schreibt Kohlmaier über Frauen wie Anja Niedringhaus, Gerta Taro oder Anna Politkowskaja, die im Einsatz oder wegen ihres Berufs getötet wurden. Kapitel 5 wiederum widmet sich Frauen, die aus ihrer konfliktträchtigen Heimat berichten, so beispielsweise Gisèle Kahimbani oder Lyliane Safi aus dem Kongo, in den auch die Deutsche Judith Raupp ausgewandert ist. Oder auch Nataliya Gumenyuk und Yevgenia Belorusets, die aktuell über Putins Krieg in der Ukraine berichten. Abgeschlossen wird all dies durch einen kurzen, Mut spendenden Essay der Fotojournalistin Julia Leeb.

Perpektivwechsel

Margaret Bourke-White hielt die Grauen des Zweiten Weltkriegs für uns fest // Foto: © picture alliance/Associated Press

Krieg betrifft alle, ganz egal welchen Geschlechts. Während jedoch Männer auch heute noch überwiegend an der Front oder in Kampfhandlungen eingesetzt werden und männliche Journalisten vermutlich häufiger hierüber berichten, sind auch Frauen vielfach davon betroffen – und nur selten positiv. Sie – gemeinsam mit Kindern und gleichsam auch Männern – fallen oft unter die Gruppe der Zivilisten, die nicht selten zwischen die Fronten geraten. Gerade weibliche Berichterstatterinnen – so wird vielfach angenommen – werfen eher ein Schlaglicht auch auf diese Personen und ihr Leid im Krieg.

Der Journalismus war und ist in vielen Bereichen noch immer eine männerdominierte Sphäre. Bei der Bild sollen Männer ihre Machtposition gegenüber Frauen ausgenutzt haben und bis eine Frau ein Fußballspiel im Fernsehen kommentieren durfte (2011), hat es viel zu lange gedauert. Und gerade im Kriegsjournalismus gibt es bis heute eine starke Männerdominanz.

Wer kennt sie?

Das macht deren Arbeit auch nicht per se schlechter. Wir haben aber bereits in der Vergangenheit und in vielen anderen Gesellschaftsbereichen festgestellt, dass Diversität uns überall guttut. So ist es auch hier: Frauen nehmen häufig andere Positionen und Blickwinkel ein, berichten über andere Aspekte und anderes Leid als ihre männlichen Kollegen. Das ist gut und das ist wichtig, denn dadurch bekommen wir ein noch besseres Verständnis für unterschiedliche Konflikte.

Antonia Rados ist eine der hierzulande vielleicht bekanntesten Kriegsreporterinnen // Foto: © picture alliance/abaca/Abd Rabbo Ammar

Sichtbar sind diese Frauen oft dennoch nicht. Ja, Katrin Eigendorf und Antonia Rados kennen hierzulande mittlerweile viele Menschen und im angloamerikanischen Raum sind Frauen wie Christiane Amanpour (die bei Rita Kohlmaier als eine Art Grande Dame immer wieder in anderen Portraits auftaucht) oder Clarissa Ward echte Größen. Ähnlich wie Kristina Lunz in ihrem Buch Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch, in dem diese bekannte Diplomatinnen vorstellt, leistet auch Kohlmaiers Sammelband hier eine gute Arbeit und bringt uns die Köpfe und Lebenswege vieler Kriegsberichterstatterinnen näher, die uns als Vorbilder dienen können.

Geschichte(n) erzählen

Sie bedient sich ganz unterschiedlicher Darstellungsformen. Bei den meisten Frauen erfahren wir auf drei bis sechs oder sieben Seiten etwas über deren Leben und Wirken. Der oft verschlungene Weg zur Kriegsreporterin, die Motivation und der jeweilige Antrieb oder die Schwerpunkte, die sie in ihrer Berichterstattung setzt(e). Aber es gibt auch Kapitel, die deutlich kürzer sind und einen Auszug aus einem Buch oder einer bekannten Reportage der jeweiligen Journalistin enthalten. Manche Frauen lernen wir damit recht unmittelbar kennen. Eine kurze Biografie von wenigen Zeilen, ein Bild in Aktion und eine Art kurzes, zusammenfassendes Statement sind jedem Kapitelanfang beigefügt.

Die Italienerin Oriana Fallaci flieht in der Hölle von Vietnam vor Bomben- und Kugelhagel // Foto: © Estate of Oriana Fallaci

Das sorgt für eine gewisse und erfreuliche Abwechslung in der Darstellung, die natürlich immer noch weiter in die Tiefe gehen könnte. Auffällig ist außerdem, dass viele der Frauen vor allem in London und Paris ihre Homebase haben, was an der internationalen Ausrichtung und Bedeutung dieser Metropolen sowie an manch finanzkräftiger Medienorganisation liegen mag, die dort angesiedelt ist. Gerade aber die in die Vergangenheit blickenden Kapitel zeigen uns viel über den Medienmarkt und Medienevolution. Vanity Fair beispielsweise war lange nicht (nur) mit Mode und Lifestyle assoziiert, sondern hat über seine Reporterinnen auch wichtige Zeugnisse über den Zweiten Weltkrieg für die Nachwelt festgehalten.

Der Western Bias

Eine Sache muss an diesem ansonsten recht ausgewogenen und gut informierten Band dennoch kritisch angemerkt werden: Es ist eine sehr westliche Perspektive auf die Welt, die wir hier präsentiert bekommen. Die allermeisten Frauen, die Rita Kohlmaier uns vorstellt, sind aus „dem Westen“ oder aus einer westlichen Perspektive betrachtet. Viele der Frauen arbeiten für westliche Medien oder berichten aus einem westlichen Blickwinkel. Frauen wie Anna Politkowskaja werden uns (dankenswerterweise) aus einer putinkritischen Perspektive vorgestellt und auch die Frauen, die aus der Ukraine berichten, berichten für ein europäisches bzw. westliches Publikum.

Anisa Shaheed – eine der mutigen Frauen, die aus ihrer afghanischen Heimat berichteten // Foto: © Waheed Ahmadi

Aus Afrika gibt es allerdings nur die beiden bereits genannten Gisèle Kahimbani oder Lyliane Safi. Genuin aus Asien oder Lateinamerika stammende Frauen sind leider nicht Teil dieses Bandes. So eindrücklich die Zusammenstellung Kohlmaiers also ist – und in ihrem abschließenden Beitrag geht die in den Kongo ausgewanderte Judith Raupp auch kurz auf die Arbeits- und Lebensbedingungen von afrikanischen Journalistinnen ein –, leider erkennen wir hier auch den so genannten „Western Bias“, also die Tendenz, die Welt aus den Augen „des Westens“ zu betrachten. Das mag in Fällen wie Simone Schlindweins Studie Der grüne Krieg mehr oder weniger gut gehen, aber ist zu einem gewissen Grad dennoch nur bedingt ausgewogen.

Eine Bühne für die Frauen

Ein ansonsten überaus informativer Band weist hier also eine wesentliche Schwäche auf. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rita Kohlmaiers Sammelband Kriegsreporterinnen eine beeindruckende Zusammenstellung mutiger Frauen ist, die mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit verdient haben. Sie bietet diesen Frauen hier eine Bühne und schafft es so, uns trotz oder gerade wegen der vielen Krisenherde auf der Welt, eine neue Perspektive einzunehmen.

Marie Colvin – die Augenklappe war ihr Markenzeichen // Foto: © picture alliance/dpa/Ivor Prickett/The Sunday Times

Frauen sind beileibe kein schwaches oder schwächeres Geschlecht, ganz im Gegenteil. Sie leisten viel, sie bereichern unsere Welt und unsere Weltanschauungen. Eine Reihe solcher Weltanschauerinnen wird uns in auf charmante Weise in dieser Sammlung vorgestellt und das ist allemal überaus informativ und stärkt die Sichtbarkeit von Frauen, die sich in Kriege und Konflikte stürzen, um uns über diese nicht im Dunkeln zu belassen.

HMS

Rita Kohlmaier: Kriegsreporterinnen – Im Einsatz für Wahrheit und Frieden; September 2022; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; 176 Seiten, zahlreiche Fotografien; ISBN 978-3-949582-10-3; Elisabeth Sandmann Verlag; 28,00 €

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