Phase oder Farce? Weder noch.

Transgender-Themen werden zu selten in sogenannten Mainstream-Filmen behandelt und dann nicht zu selten als politisch-korrekter Sidekick oder simpler Kalauer umgesetzt. Mit Mein Sohn Helen hat die ARD bereits im Jahr 2015 einen humorvollen, vergleichsweise leichten, allerdings nicht trivialen, Film ausgestrahlt. Jannik Schümann, der sich kürzlich geoutet hat, in der Hauptrolle als Finn/Helen ist absolut klasse besetzt und spielt diese komplexe Rolle hervorragend. Bis Mitte August ist der Film noch in der ARD-Mediathek verfügbar.

Eben noch Finn und nun Helen

Der fürsorgliche, nach dem Unfalltod seiner Frau alleinerziehende Tobias Wilke (Heino Ferch) ist einigermaßen konsterniert als er seinen 17-jährigen Sonn Finn (Jannik Schümann) nach dessen einjährigem Auslandsaufenthalt in den USA vom Flughafen abholt und ihm statt Finn Helen gegenübersteht. Helen erklärt ihrem Vater, sich schon immer als Mädchen gefühlt und das Jahr bei ihrer Tante genutzt zu haben, um zu beginnen, ihre wahre geschlechtliche Identität als Frau zu leben.

Finn (Jannik Schümann) und sein Papa Tobias (Heino Ferch)… // © ARD Degeto/Britta Krehl

Wieder in Deutschland muss Helen noch den „Alltagstest“ bestehen: ein Jahr lang als Mädchen beziehungsweise junge Frau zu leben, die Zeit aus den USA wird nicht angerechnet. Ziel ist es, mit der Volljährigkeit eine geschlechtsangleichende Operation vornehmen zu lassen. Vater Tobias ist zuerst überfordert, glaubt an eine Phase Finns, zweifelt auch an sich als Vater und Ehemann und auch in Helens (ehemaligem) Freundeskreis brodelt es. Und ohne Bürokratie geht es natürlich auch nicht. 

Komplex und amüsant

Mein Sohn Helen gebührt erst einmal großes Lob für das nicht ganz einfach zu schnürende Gesamtpaket: Hier trifft eine schwierige Story auf eine zumeist lockere Erzählweise, sehr fähige und sensible Schauspieler*innen auf komplexe Rollen, ein sensibles Thema auf Zuschauer*innen mit gewissen Sehgewohnheiten und letztlich muss sich der Film natürlich auch der Kritik aus der queeren Community stellen.

Der Ton des Films liegt zwischen Komödie und Drama. So äußerte sich auch der Regisseur Gregor Schnitzler entsprechend, dass er das Dramatische nicht in der ganzen Schwere inszenieren wollte: „Ich finde die englische Herangehensweise, tragische Dinge ins Komische zu ziehen, oftmals menschlicher und befreiender.“ Da ist etwas dran und Mein Sohn Helen profitiert davon. Helen wächst an ihrer Entscheidung und beginnt ein neues, ihr wahres, Leben zu genießen, aller Rückschläge und Reaktionen zum Trotz. Ihre verständnisvolle Geduld allerdings ist oft nahezu atemberaubend fern der Realität, wenn auch wunderbar respektabel. Drehbuchautorin Sarah Schnier schafft es durchaus, Finn/Helen glaubwürdig als diesen verständnisvollen und guten Menschen zu zeichnen.

…und Helen (Jannik Schümann) mit ihrem Papa Tobias (Heino Ferch) und Schulrektor Roger Sattmann (Matthias Brenner). // © ARD Degeto/Britta Krehl

Helen hat aber auch das Glück, einen zwar nicht begeisterten, aber auch nicht völlig ablehnen Vater zu haben, ebenso hat sie in der Vertrauenslehrerin Diana Calis (Winnie Böwe) eine zwar im Alltag mit dem Umgang nicht immer ganz sicher agierende, aber dennoch hilfreiche Ansprechpartnerin. Ihre Mitschüler*innen sind eine fiktionalisierte und kompakte Mischung aus allem, was einer/einem so begegnen kann und bringen pubertären Schwachsinn, emotionale Unsicherheit und verletzte Gefühle und Eitelkeiten ganz gut, wenn auch schemenhaft, zusammen. 

Ebenso merken wir dem fiktiven Film die fleißige Recherche und eine konkrete und aufrichtige Auseinandersetzung mit dem Thema an. Beraten wurden die Filmemacher*innen vom Diplom-Psychologen Peter Keins, der sich auch deutlich dafür ausspricht, dass trans Personen von ihren Eltern und ihrem Umfeld unterstützt werden sollten. Und so hilft Mein Sohn Helen sicherlich auch dabei, die eine oder andere Bildungslücke zu füllen. Die beiden besten Freunde (Özgür Karadeniz, Thilo Prothmann) von Helens Vater zum Beispiel sind nach eigener Recherche ein kleines Lexikon für ihn, was wiederum den Zuschauer*innen Wissenswertes vermittelt. Allerdings sei auch hier erwähnt: Mein Sohn Helen ist kein Dokumentarfilm und nicht jede wichtige Nuance wird erarbeitet (zum Beispiel der Unterschied zwischen geschlechtsangleichender Operation und einer Geschlechtsumwandlung).

Bürokratie kennt keine Menschen

So dient der Film also nicht dazu, eine Komödie über irgendwas mit trans zu sein, sondern tatsächlich nimmt er sich diesem Thema mit der nötigen und einer für dieses Format gerade möglichen Tiefe an. Natürlich wird dem avisierten Publikum entgegengekommen, dennoch gibt es wenig Filme, die ohne moralinsauer zu sein zurecht das Wort „Bildungsauftrag“ tragen dürfen. Und ja, am Ende macht Mein Sohn Helen es sich ein wenig zu einfach, nicht jedoch ohne vorher solide darauf hinzuweisen, wie viel Schaden die (Berliner) Bürokratie mit wohlwollender, überkorrekter und empathiebefreiter, Linoleum-beflissener gefühlter Rechtschaffenheit anrichten kann. 

Erste Hürde: Sportunterricht. Schon in der Umkleidekabine erlebt Helen (Jannik Schümann) Anfeindungen. // © ARD Degeto/Britta Krehl

Wie erwähnt meistert Jannik Schümann, der die Wunschbesetzung von Regisseur Schnitzler und Produzent Ivo Alexander Beck war, die Rolle*n von Finn/Helen ziemlich bravourös und nicht ein einziges Mal sieht es nach durch Überforderung versehentlich geschehender Karikatur aus. Heino Ferch spielt seine Rolle einigermaßen routiniert, wir sehen allerdings die emotionalen Brüche in kleinen mimischen Ausdrücken, was schließlich in einer starken Szenenkombi kumuliert und einigermaßen groß ist. 

Mein Sohn Helen ist ein so dynamischer wie lehrreicher und aufrichtiger Film (mit toller Musik), der gerade für ein Publikum, das sich sonst nicht unbedingt mit dem Thema Transgender auseinandersetzt, sehr, sehr fein und empfehlenswert ist. Unterhaltsam ein Thema zu erschließen und Vorurteile abzubauen ist eine gute Sache.

Mein Sohn Helen ist noch bis zum 8. Dezember 2023 über den hr in der ARD-Mediathek verfügbar.

Mein Sohn Helen; Deutschland 2015; Regie: Gregor Schnitzler; Drehbuch: Sarah Schnier; Kamera: Jutta Pohlmann; Darsteller*innen: Jannik Schümann, Heino Ferch, Winnie Böwe, Kyra Kahre, Zoe Moore, Timur Bartels, Özgür Karadeniz, Thilo Prothmann, Sane Schnapp; Laufzeit: 89 Minuten; FSK 12; Eine Produktion von Ninety Minute Film im Auftrag der ARD Degeto für Das Erste.

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