Ein Foto kommt nie zweimal

Berlin ehrt die Fotografin Gundula Schulze Eldowy mit zwei beeindruckenden Ausstellungen im Bröhan Museum und in der Akademie der Künste am Pariser Platz

Von Nora Eckert

Die Doppelausstellung verdankt sich einem glücklichen Zufall. Tobias Hoffmann, Direktor des Bröhan Museums, traf Gundula Schulze Eldowy, als gerade die Vorbereitungen für die große Akademie-Ausstellung liefen. Und während des Gesprächs wurde sofort klar, in der Schau am Pariser Platz klafft eine Lücke in der Werkpräsentation. Und weil das, was da fehlt, mindestens genauso wichtig und bedeutend für die künstlerische Entwicklung der Fotografin war und ist, entschloss sich Tobias Hoffmann, mal eben sein Ausstellungsprogramm neu zu sortieren und eine Werkserie von Schulze Eldowy ins Programm zu nehmen, die den seltsamen Titel „Berlin in einer Hundenacht“ trägt.

So also kam die fotogeschichtliche Parallelaktion zustande und damit können nun alle sehen, was der Grund war, dass einer der unbestrittenen „Klassiker“ der US-amerikanischen Fotografie, Robert Frank, auf die Ost-Berlinerin Gundula Schulze aufmerksam wurde, sie spontan nach New York einlud, woraus am Ende eine intensive künstlerische Freundschaft wurde. „Wir waren Verbündete“, resümiert Schulze Eldowy ihr beider Verhältnis. In einem Brief beschrieb Frank die Kollegin so: „Du bist ein talentiertes Tier, fähig die Türen zu öffnen, und dann auf der Heimreise findest du diese Souvenirs in deiner Tasche.“ Das mit dem Türöffnen trifft Schulze Eldowys Arbeitsweise sehr gut. Denn sie lässt uns vorzugsweise in unbekannte Räume blicken.

Gundula Schulze Eldowy Berlin 1987 aus «Berlin in einer Hundenacht» © by Gundula Schulze Eldowy

Franks Einladung ließ sich nicht sofort realisieren, weil es da noch die DDR gab und eine Reiseerlaubnis in das imperialistische Feindesland so gut wie ausgeschlossen war. Damit Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank zusammenkommen konnten, musste also erst einmal die DDR in die Brüche gehen – und das tat sie glücklicherweise und schon recht bald (und nicht nur für die beiden).

Fotoästhetisch gesehen, markiert die Reise nach New York und der Aufenthalt dort, ein Vorher und Nachher in der fotografischen Seh- und auch Arbeitsweise von Schulze Eldowy, denn alles schien sich mit einmal zu verändern. Doch bleiben wir zunächst bei der künstlerischen Vorgeschichte und der Serie „Berlin in einer Hundenacht“, die zwischen 1977 und 1987 entstand und nun umfassend im Bröhan Museum gezeigt wird.

Es ist überhaupt, wie Tobias Hoffmann betont, die erste vollständige Präsentation in Berlin, nachdem es zur Jahrtausendwende im Postfuhramt in der Oranienburger Straße eine Werkschau gab und dort schon mal Einblicke gewährt wurden, also an dem Ort, wo zur gleichen Zeit das Projekt C/O Galerie geboren wurde, dass heute sein Domizil im ehemaligen Amerikahaus am Bahnhof Zoo hat.

Gundula Schulze Eldowy Berlin 1982 aus «Berlin in einer Hundenacht» © by Gundula Schulze Eldowy

Wilfried Wiegand, Kunstkritiker und eine Zeitlang Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schrieb über die Vernissage im Postfuhramt: „Wenn nicht alles täuscht, dann wird das Kunstleben […] um ein wirkliches Ereignis reicher sein.“ Dass diese Fotografin auch heute noch ein Ereignis bedeutet, steht für mich außer Frage. Und auch ihm fiel auf, was ich jetzt in den Fotos zu sehen glaube: „Niemals werden die Menschen von ihr belauscht, heimlich beobachtet oder zum Objekt einer interessanten Bildkomposition degradiert. So fotografiert nur jemand, der unter denen lebt, die er fotografiert, der wirklich einer von ihnen ist […].“ Richtig, ihre Fotos stellen Menschen nicht bloß und zeigen sie dennoch mit einer unverblümten Offenheit und mit einer – wenn es so etwas gibt – hemmungslosen Empathie.

Schulze Eldowys Bekenntnis zur Straight Fotografie, also zu einer Fotografie, die eins zu eins arbeitet und nichts bearbeitet, kommt in den frühen Arbeiten voll zur Geltung. Sie bezeichnet sie als ihre „geistige Heimat“. Entstanden sind daraus Straßenszenen, Momentaufnahmen, zufällige Passanten und alles in einer inzwischen verschwundenen Grau-in-Grau-Tristesse, die einen die modrigen Mauern förmlich riechen lässt, den staubigen Mief und die rauchenden Schlote. Sie verrät nie die Menschen, die sie zeigt, sondern sagt nur: Seht her, das alles gibt es. Sie weitet unsere Wahrnehmung und erweitert die Welt um genau das, an dem wir sonst achtlos vorbeigehen. Sie macht das Hässliche zur Attraktion.

Gundula Schulze Eldowy Berlin 1982 aus «Berlin in einer Hundenacht» © by Gundula Schulze Eldow

Hier ist es ein kleines Kind, das mit einer Pistole spielt, während an der Hausfassade die DDR-Säulenheiligen Wilhelm Pieck und Ernst Thälmann mit ihren Konterfeis darüber wachen. Dort ist es ein Mann, der mit großer Hingabe der Wachparade vorausläuft und sie zu dirigieren scheint. Auf einem Foto sehen wir einen Briefträger auf der Straße und auf einem weiteren sitzt er nackt auf einem Stuhl in seiner Wohnung, dahinter aufgereiht die leeren Schnapsflaschen auf dem Regalbrett wie in einer Ausstellung. Ein anderes Foto zeigt einen alten Mann, der ganz nahe mit verkniffenem Blick herankommt, als ob es hinter der Linse des Objektivs etwas zu entdecken gäbe, und wieder ein anderes präsentiert uns ein nachgeholtes Hochzeitsfoto mit einem recht ungleichen Paar.

Schulze Eldowy würde sich wohl nicht als politischen Menschen bezeichnen, aber unpolitisch war ihre Fotoarbeit in der DDR ganz und gar nicht. Denn was sie von ihr zeigt, könnte nicht nonkonformistischer sein. Das sind Bilder, die das Regime mit Sicherheit weder sehen noch wirklich zeigen wollte, die aber authentisch den real existierenden Sozialismus dokumentieren. Das Erstaunliche ist dabei immer wieder die menschliche Nähe, die der Fotografin so unverkrampft gelingt. Der sogenannte sozialistische Realismus in der Kunst ist gegen diese Fotografien eine glatte Lüge, zumindest künstlerisch betrachtet.

Gundula Schulze Eldowy Berlin 1979 aus «Berlin in einer Hundenacht» © by Gundula Schulze Eldowy

Und nun zum Pariser Platz, wo wir in eine ganz andere Welt und in eine völlig veränderte Ästhetik eintauchen. In einem Interview erklärte sie rückblickend die Beziehung zu Robert Frank so: „Hier hatten sich zwei Künstler getroffen, die sich in poetischer, künstlerischer Weise austauschten über alles, was sie betrifft. Wir waren uns in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich: Er legte ganz großen Wert auf Natürlichkeit, auf Authentizität und Individualismus, war unabhängig von Kunstbetrieb und Kunstmarkt. Mir ging es genauso.“

Frank, der ursprünglich aus der Schweiz stammte, wurde zum „Klassiker“ durch seine Fotoserie aus den 1950er Jahren, die als Buch unter dem Titel „Die Amerikaner“ erschien und einen Meilenstein in der Fotografiegeschichte markiert. Dass er und Schulze Eldowy zusammenfanden, ist mit Blick auf die Fotoarbeit der „Hundenacht“-Serie kein Wunder. Dass die Fotografin aber unter den ganz anderen Lebensbedingungen in New York zu einer für sie neuen Bildsprache fand, ist ebenso wenig ein Wunder und spricht auf jeden Fall für ihren künstlerischen Individualismus. Die Ausstellung ermöglicht immer wieder auch einen Blick auf Robert Franks Arbeiten, denen wiederum Arbeiten Schulze Eldowys gegenübergestellt werden.

Papst, New York, 1990 aus der Serie „In einem Wind aus Sternenstaub“ © Gundula Schulze Eldowy

Neu sind jetzt die kleinformatigen Farbfotos mit thematischen Schwerpunkten – beispielsweise ausschnitthaft Augen von Menschen und Tieren, dazu Serien von Porträts. Neu sind die Polaroids und neu ist die Vorliebe für Doppelbelichtungen und ebenso für Spiegelungen, die sich im Stadtraum etwa durch Schaufensterscheiben und Lichtreflexe ergeben. Die Realität verliert so an Eindeutigkeit, verliert auch ihre Gegenständlichkeit. Die Doppelbelichtungen funktionieren wie übereinander gelagerte Zeitschichten, wie die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

Die Fotografin erklärt die Doppelbelichtungen so: „Ich wollte meinem Unbewusst-Sein die Aktivität überlassen, so wie die Surrealisten. Ich wollte das nicht vom Kopf her bestimmen, ich wollte […] in meine pure Intuition gehen.“ Sie habe aufgehört, den Entstehungsprozess zu steuern – „und bin wirklich ins Blaue hineingegangen“.

ohne Titel, New York, 1990 aus der Serie „In einem Wind aus Sternenstaub“ © Gundula Schulze Eldowy

Lebensräume prägen uns, ob bewusst oder unbewusst. So gesehen war die Reise in die USA nicht nur die endgültige Verabschiedung der DDR, die es ja ohnehin nicht mehr gab, sondern vor allem die Entdeckung eines anderen Denkens. In der DDR habe es „kein Daneben und kein Darüber oder kein Darunter“ gegeben und in New York existierten plötzlich so viele Wahrheiten gleichzeitig nebeneinander und keineswegs feindlich, wie sie im Interview erklärt, sondern eher spielerisch, woraus ihr spielerischer Blick entstand.

Dass ich die beiden Ausstellungen wärmstens empfehle, ist ja wohl klar. Am besten mit dem Bröhan Museum beginnen und dann im großen Sprung hinüber zum Pariser Platz.

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverbandes Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

Roger Mehlis Gundula Schulze Eldowy Berlin, 1984

Die Ausstellung im Bröhan Museum ist bis zum 14. April zu sehen; in der Akademie der Künste könnt ihr euch bis zum 1. April (kein Witz) begeistern lassen.

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